Ode ans Garteln: Wunderbare Drecksarbeit

Gartenarbeit ist kontemplativ – man ist aufmerksam, ohne sich anzustrengen.
In der Erde wühlen, säen, schauen und Wunder erleben: Gartenarbeit macht zufrieden. Ein Essay über das unspektakuläre Glück.

Sie hätte jetzt endlich auch so Acryl-Dinger an ihren Fingern, erzählte die Berliner Mittvierzigerin, die ich vor einem Jahr kennengelernt habe. "Weißt du", sagte sie, "meine Nägel waren schon total abgerockt".

Sehr schön. Und lustig: Seit ich einen Garten habe, gehöre ich dem Club der abgerockten Damenhände an. Zu meiner Vorstellungswelt von Rupfen und Zupfen gehört nämlich, hüllenlos in der Erde zu wühlen. Nein, nicht falsch verstehen: artig bekleidet, aber ohne Gartenhandschuhe. Die Dinger geben mir das Gefühl, eingesperrt zu sein, im Fingerling-Gefängnis, kontaktarm, vom Spüren befreit. Warum ich das meinen Händen antue? Ich weiß es nicht so genau, aber ich habe eine Vermutung: Es hat etwas mit Sinnlichkeit zu tun.

Unspektakuläres Glück

Im Garten zu arbeiten, ist an sich schon eine sinnliche Erfahrung. Es ohne Handschuhe zu tun, mag zwar ziemlich blöd sein, verstärkt aber das Gefühl der Erdung. Frischen Humus oder Komposterde durch die Finger rieseln zu lassen, bedeutet ankommen. Auf dem Boden unter den Füßen, in meiner Gartenwelt, dem Epizentrum dessen, was gerne Glück genannt wird. Kleines, unspektakuläres Glück. Das heißt auch: eine kleinen Gärtnerei irgendwo am Land zu entdecken, wo es tatsächlich Vietnamesischen Koriander, afrikanischen Weihrauch und jede Menge rarer Minzarten gibt. Und wo man erst "gar nix kaufen wollte, nur schauen" – um dann alles, wirklich alles, mitzunehmen, wovon eine wie ich glaubt, es mache sich gut im Garten.

"Sauber" werden

Wunderbare Drecksarbeit – und Therapie: Das ist Gartenarbeit. Carl Gustav Jung, Begründer der Analytischen Psychologie und einer jener, die Naturerfahrung in ihren therapeutischen Ansatz integrierten, legte seinen Klienten nahe, "sich vom Alltagsschlamm der Zivilisation" zu befreien, indem sie sich mit der Natur verbanden: "Wann immer wir mit der Natur in Berührung kommen, werden wir sauber", schrieb er. Für den Garten-Arbeitsfall gilt: nicht an den Händen, aber an der Seele.

Gartentherapie ist kein esoterischer Hokuspokus, sondern wird schon seit Langem eingesetzt, um beispielsweise Kinder mit Entwicklungsdefiziten zu unterstützen, in der Therapie von Suchtkranken oder bei der Pflege alter, demenzkranker Menschen. Im Jahr 2006 wurde an der Donau-Universität Krems, gemeinsam mit der österreichischen Gartenbau-Gesellschaft, sogar ein eigener Lehrgang "Gartentherapie" ins Leben gerufen.

Die Arbeit im Grün und mit dem Grün entschleunigt, bettet Menschen in die Rhythmen der Natur ein, und gibt auf diese Weise Halt, Sinn, Sicherheit. Sie ist ein Säen, ein Ernten, ein Tun – und damit ein Bewirken.

Dieses unmittelbare Erleben von Leben kann sehr zufrieden machen. Und es kann trösten. Ebenso ein Aspekt: dass das eigene Stück Boden, in dem Fall der Garten, als mikrokosmisches Pendant des Ganzen, also der Erde, erfahren werden kann. Gemäß der Idee eines "Jardin planetaire", wie sie der französische Landschaftsarchitekt Gilles Clément skizziert. Er meint: "Alle Menschen sind Bewohner eines einzigen Gartens. Ob man in der Stadt oder auf dem Land lebt, es handelt sich immer um ein und denselben Garten: den Erdball."

Löwenzahn gewinnt

Da geht es um Hegen, Pflegen, Da-Sein und Sorgen. Und ja – auch um Toleranz. "Unkraut ist die Opposition der Natur gegen die Regierung der Gärtner", sagte Oskar Kokoschka. Mag ja sein, dass es als berauschend erlebt wird, die nächste Stufe einer Perfektion zu erreichen, die sich der ambitionierte Gartenfreund in irgendwelchen Hochglanz-Gardening-Magazin angelesen hat. Mich würde die logistische Herausforderung eines – beispielsweise – derzeit so angesagten Zen-Gartens nur ins Burnout treiben. Englischer Rasen? Die Garten-Queen ist sehr amused, aber: bedaure, nein. Stattdessen ernte ich lieber Gänseblümchen für den Salat und sage zum Löwenzahn "Okay, akzeptiert, du hast gewonnen." Da braucht es Respekt und Großzügigkeit.

So ein Garten ist ja ein bisschen so, wie man selbst gerne wäre. In meinem Fall eben : wuchernd, wild, ungezähmt. Zwei Stunden in diesem naturgewollten Chaos löschen acht Stunden Kontrolle, Sein-Müssen, Tun-Müssen, Funktionieren-Müssen. Man verliert sich, und gewinnt sich dennoch selbst. Ist aufmerksam, ohne sich anzustrengen. Plötzlich ist der Rückenschmerz nicht einfach nur Rückenschmerz, sondern das Ergebnis dessen, das mit Liebe getan wurde. Der Preis dafür, dass Zaungäste sagen: "Sie haben es aber schön hier, ein bisserl chaotisch, aber schön". Oder wenn sich die Rauchschwaden des sommerlichen Grillguts im Dickicht des geliebten Grüns verheddern.

Ich gebe zu, gerade jetzt, wo man den Pflanzen beim Wachsen zuschauen kann (was in manchen Fällen besser ist, als die ZiB anzuknipsen), bin ich täglich draußen. Bei Regen, bei Wind und naturgemäß, wenn sich die Sonne mit den jungen Salatpflanzen spielt, die ich heuer in mein – tata!–, erstes Hochbeet gesetzt habe. Es ist, als würde eine sorgende Mutter nach ihren Kindern sehen, um gleichzeitig begreifen zu müssen, dass jegliche Vorstellung von Sicherheit immer nur eine Illusion bleibt. Auch die Natur braucht ein Gewährenlassen – speziell im Garten.

Dabei gibt es viel zu erkennen: Etwa, dass wächst, was wachsen will. Und dass stirbt, was sterben möchte. Das lehrt jeden gärtnernden Menschen demütig zu werden.

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