Kevin Germanier: So glamourös kann nachhaltige Mode sein
Während der Pariser Fashion Week darauf zu warten, dass eine Modeschau beginnt, erfordert ein wenig Geduld. Mindestens eine halbe Stunde später als auf der Einladung vermerkt, geht es üblicherweise los. Selbst jene Gäste, die ihre akademische Viertelstunde ausreizen, nützen die Zeit meist, um in ihre Handys zu starren. Nicht so an diesem Abend.
Designer Kevin Germanier hat in die Räumlichkeiten des Kristallherstellers Baccarat geladen, die normalerweise als Restaurant und Museum fungieren. Die Gäste nehmen zwischen mit ausgefallenen Gläsern und Vasen bestückten Vitrinen Platz – es gibt bereits vor der Präsentation viel zu sehen.
Und einen Vorgeschmack auf Germaniers Vision für sein gleichnamiges Label. Der gebürtige Walliser kreiert ultraglamouröse Kleidung für den großen Auftritt. Mit sämtlichen Ingredienzien, die dazugehören: Pailletten, Federn und Perlen verarbeitet der 30-Jährige en masse.
Grüner Trendbegriff
Jedoch mit einem großen Unterschied zu vielen anderen Marken aus der Kategorie „Abendmode“. Kevin Germanier hat sich als einer der wenigen seiner Zunft voll und ganz dem Upcycling verschrieben. Heißt: Nichts neu Produziertes kommt während dem Designprozess zum Einsatz, sämtliche Stoffe und Applikationen entstehen aus Altplastik und Deadstock (aus verschiedenen Gründen nicht verwendete Neuware).
Finden Glamour und Nachhaltigkeit also endlich zusammen? „Ehrlich gesagt kann ich letzteres Wort nicht mehr hören“, gibt der Schweizer nach seiner Show im KURIER-Gespräch zu. Nachhaltigkeit sei zu einem Trendbegriff verkommen. „Und seit wann sollte die Rettung der Welt ein Trend sein? Es sollte so normal sein, dass wir nicht mehr darüber sprechen müssen.“
Die Entscheidung zwei scheinbar konträre Welten zu vereinen, war bereits während seines Studiums am renommierten Central Saint Martins College in London gefallen: „Für meine Abschlusskollektion beschloss ich, dass sie verrückt sein sollte. Zu diesem Zeitpunkt gab es kein nachhaltiges Glamour-Modehaus auf dem Markt.“
Dennoch kommt es regelmäßig vor, dass er für den Einsatz von Federn und Plastik kritisiert wird. „Ich antworte darauf, dass der Vogel dann zumindest nicht umsonst gestorben ist. Oder wäre es etwa besser, wenn die Federn einfach verbrannt werden?“
Streben nach Großem
Die Herausforderung bestehe darin, Müll nicht mehr wie solchen aussehen zu lassen. „Die Menschen realisieren gar nicht, wie viel Abfall zur Weiterverwendung zur Verfügung steht“, weiß Germanier. Auf Ausreden, warum andere Modehäuser und Marken (noch) nicht nachhaltig arbeiten, reagiert er dementsprechend mit Unverständnis: „Ich möchte keine Ausreden mehr hören. Jetzt ist die Zeit, um zu handeln. Und ich versuche, den Weg zu weisen.“
Dass vor allem bei größten Modehäusern Veränderungen dieser Art dauern, sei oft den langwierigen internen Prozessen zu schulden, die bei jeder noch so kleinen Entscheidung notwendig sind. Die finanziellen Mittel sind jedenfalls da.
Deshalb ist Kevin Germaniers Ziel für die nächsten zehn Jahre: „Ich hoffe, dass ich zusätzlich als Chefdesigner bei einem großen Modehaus arbeiten werde. Auf diese Weise könnte ich das Modesystem von innen heraus ändern. Mit Germanier allein wird die Neuausrichtung der Modewelt nicht möglich sein.“
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