Tyrannenkinder: Eltern und Schule versagen

.
Familienberaterin Martina Leibovici-Mühlberger warnt, dass Eltern und Schule versagen.

In ihrem Buch "Der Tyrannenkinder-Erziehungsplan" zeigt Erziehungscoach Martina Leibovici-Mühlberger, was geschieht, wenn Eltern und Schule keine klaren Regeln aufstellen wollen.

KURIER: Viele Kinder machen nur noch, was sie wollen. Sehen Sie die Zukunft düster?

Martina Leibovici-Mühlberger: Nein, es kann steil bergauf gehen – wenn man es richtig macht. Sehr viele Menschen sagen mir: "Es muss sich etwas ändern." Wir leben in einem Erziehungsnotstand: Eltern wollen heute Begleiter, Freunde, Kumpel, Steigbügelhalter ihres Kindes sein, damit sie nicht in den Verdacht kommen, autoritär zu sein. Zu strenge Erziehung war das Übel der vorigen Generation. Jetzt wollen Erwachsene lieber gar keine Vorgaben machen.

Eltern erziehen heute zu wenig?

Ja, die Eltern halten sich zu viel heraus. Sie sehen ihre Rolle darin, Talente zu fördern, das geht in Richtung narzisstischer Individualismus. Es ist ein Erziehungsbankrott, wenn Eltern ihre Leitungsverantwortung zurücklegen und an das Kind delegieren. Eltern verlassen sich oft auf die Selbstregulation des Kindes. Sie strukturieren die Umwelt für das Kind nicht. Das überfordert es komplett. Außerdem lernen Kinder weder Frustrationstoleranz noch Bedürfniskontrolle. Eltern müssen altersadäquat Grenzen setzen.

Tyrannenkinder: Eltern und Schule versagen
Dr. Martina Leibivici-Mühlberger, MSc, Jurymitglied MYKI-Preis 2011, ZVG für Sonderbeilage

Für überforderte Eltern kleiner Kinder gibt es "Frühe Hilfen". Wer pubertierende Kinder hat, ist auch überfordert, bekommt aber keine Unterstützung.

Die Schule wäre ein guter Sozialraum, um über die Elternvereine Gruppen zu bilden, wo die Eltern gemeinsam erzieherisch tätig werden können und einander auch stärken. Ein Beispiel: In der achten Schulstufe gab es einige Klassenkameraden, die ausgegangen sind und sich betrunken haben. Sie setzten die anderen unter Druck, worauf wir als Eltern einen Schulterschluss gemacht haben – und gemeinsam entschieden haben, wie lange wir unsere Kinder ausgehen lassen. Davor war jeder einzeln unter Beschuss.

Aber viele Eltern haben das Gefühl, dass sie aus der Schule eher hinausgedrängt werden.

Ja, die Schul-Partnerschaft müsste gestärkt werden. Wir sollten uns bewusst werden, was Schule überhaupt leisten soll. Der alte Akademisierungsauftrag hat gegolten, als man zu Mittag nach Hause zur Mama ging. Heute verbringen die Kinder den größten Teil ihrer Tageszeit in einer Institution. Damit übernimmt diese, ohne dass es jemandem bewusst geworden ist, viele Aufgaben: Erziehung, Sozialarbeit, gruppen- und rangdynamische Prozesse. Für vieles davon ist ein Lehrer nicht ausgebildet – wir lassen die Pädagogen alleine mit all diesen Aufgaben und wundern uns, wenn sie ins Burnout schlittern oder das Pensum nicht schaffen. Wir brauchen einen Organisationsentwicklungsprozess und multiprofessionelle Teams, die mit Schülern und Eltern arbeiten.

Wo liegt das Problem, das von sogenannten Tyrannenkindern verursacht wird?

Im Rahmen eines Forschungsprojekts hatten wir in einem Gymnasium einen Erziehungsberater als Sozialmoderator installiert. Der war konfrontiert mit einem Schüler in einer dritten Klasse, der mit der Kapuze am Kopf in der Klasse gesessen ist und mit Kopfhörern laut Musik gehört hat. Der Lehrer bat die Mutter, dass sie auf ihren Sohn einwirkt. Daraufhin sagt sie: "Sie haben ihn doch den ganzen Tag! Wenn ich um halb sieben von der Arbeit komme, was soll ich noch machen?"

Was wurde getan?

Der Sozialmoderator hat dafür gesorgt, dass mit diesem Burschen daran gearbeitet wurde, warum er dieses Verhalten an den Tag legt. So etwas kann man einem Klassenvorstand nicht umhängen. Diese Spirale muss man kappen, weil die Drohung, dass er von der Schule fliegt, bei ihm nicht gewirkt hätte. Unter normalen Voraussetzungen wäre das nicht zu schaffen gewesen.

Mit Ihrem neuen Sozialprojekt "School for Life" wollen Sie noch weiter gehen.

Es gibt 8000 bis 9000 junge Menschen, die aus der Schule kommen und nicht fähig sind, sich selbst zu erhalten. Deren Karriereplanung ist die Sozialhilfe für die nächsten 70 Jahre – für die Gesellschaft eine Zeitbombe. Bei "School for Life" wollen wir sie für vier Wochen aus ihrem Alltag herausnehmen und Grundkompetenzen nachreifen – also Selbstorganisation, Impulskontrolle, Visionsbildung etc.

Was macht für Sie die Tyrannenkinder so zentral?

Wir reden immer von Potenzialen, aber die werden oft vergeudet. Wenn ich Tyrannenkinder auf der Couch sitzen habe, sehe ich ihre Anstrengung und Resignation. Sie sind enttäuscht, weil man ihnen gesagt hatte, wie lustig und toll alles ist, und dann knallen sie auf das harte Pflaster der Erfolgsgesellschaft. Sie erleben die Welt als ungerecht, weil sie schlecht darauf vorbereitet wurden.

Buchtipp: Martina Leibovici-Mühlberger: Der Trannenkinder-Erziehungsplan, edition a, 24,90 €

Kommentare