Kurdische Filmtage: Eine Heldin und Alltagsfrauen

Szenenfoto aus Toz Bezi/Staubtuch
Sercavan-Festival: Zwei Filme über kurdische Frauen am internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen.

Update: 26. November 2016, 17.39 Uhr: Ergänzt um Filmkritik und Gespräch mit Regisseur des Eröffnungsfilms - und Fotos vom Festival. Update: 27. November 2016, 13.34 Uhr: Ergänzt um weitere Filmkritiken.

Update: 29. November 2016, 15.49 Uhr bzw. 16.54 Uhr: Ergänzt um weitere Filmkritiken.

„Sara“, eine berührende Dokumentation über die heroische vor fast vier Jahren in Paris ermordete kurdische Freiheitskämpferin Sakine Cansız eröffnete den zweiten Tag der diesjährigen kurdischen Filmtage „Sercavan“. Der in Dersim geborene Sakine, die früh eigene Frauengruppen für den Kampf gegen die Unterdrückung ihres Volkes in der Türkei gegründet hat, wird in realen alten Filmaufnahmen sowie in vielen Interviews mit Verwandten und Weggefährt_innen von Regisseurin Dersim Zerevan ein filmisches Andenken gesetzt. Das Festivalteam hatte diesen Film bewusst an diesem Tag, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, programmiert.

Putzfrauen-Alltag

Kurdische Filmtage: Eine Heldin und Alltagsfrauen
Szenenfoto aus Toz Bezi/Staubtuch

Völlig anders, gar nicht heldenhaft, war der zweite für diesen Tag angesetzte Film: Toz Bezi/Staubtuch. Zwei Kurdinnen arbeiten in Istanbul als Putzfrauen. Ein Film, der noch dazu in vielen, wahrscheinlich den meisten Städten der Welt so oder ähnlich spielen könnte. Arbeit unter nicht sozialversicherten Verhältnissen, abhängig von Launen der Auftraggeber_innen, oft deren Willkür ausgesetzt. Und nicht selten Angehörige von ethnischen Minderheiten oder Migrantinnen. Völlig unaufgeregt kommt dieser Spielfilm daher, immer aus einer Perspektive gedreht, manchmal ein bisschen wackelig zeichnet Ahu Öztürk in ihrem ersten Spielfilm zwei unterschiedliche Frauen, die im selben Haus wohnen. Nesrin, die immer ihre kleine Tochter Asim mit in die Wohnungen nimmt, die sie putzt, und deren Ehemann sich aus dem Staub gemacht hat, auf der einen Seite. Hatun, mit einem Mann verheiratet, der zu Hause nur auf der faulen Haut herumliegt, wagt es sogar von einer Kundin mehr Lohn zu verlangen – worauf ihr diese sogar die Dienste kürzt. Aber sie fügt sich nicht in ihr Schicksal, will weg aus dem Underdog- in ein besseres Stadtviertel. Nicht zuletzt, weil sie um ihren pubertierenden Sohn fürchtet, dass der in schlechte Kreise kommen könnte. Und sie belebt die Dialoge immer wieder mit sarkastisch, witzigen Sprüchen.

Kurdische Filmtage: Eine Heldin und Alltagsfrauen
Szenenfoto aus Toz Bezi/Staubtuch

Einziger Wermutstropfen: Asim ist dafür, dass ihre Mutter Nesrin aufgrund deren eigener Probleme, sich nicht wirklich emotional auf sie einlassen kann, als Rolle zu passiv angelegt, eine, die sich allzu brav in ihr Schicksal ergibt.

Spurensuche

Kurdische Filmtage: Eine Heldin und Alltagsfrauen
Aus dem Eröffnungsfilm "Die Schwalbe":

Eröffnet worden war das Festival mit einem Doku-Drama (oft auch als Doku-Fiction bezeichnet). Der kurdische Schweizer und Internationalist Mano Khalil lässt in „Die Schwalbe“ die junge Schweizerin Mira draufkommen, dass ihr Vater noch leben dürfte – im irakischen Teil Kurdistans. Die Mutter hat ihr wenig erzählt und behauptet, er sei heldenhaft im Kampf in Kurdistan gestorben. Also macht sie sich mit auf dem Dachboden gefundenen Briefen auf den Weg, um diesen wenigen Spuren zu folgen. Wo immer sie nach ihm fragt, keine und keiner weiß was – oder will was wissen. Abgesehen davon, dass sie sozusagen beschattet wird von Ramo, der so scheint’s doch einiges weiß, erfährt sie, dass es auch nicht so wenige Verräter unter den Kurden gab, die sich auf die Seite des damaligen Diktators Saddam Hussein geschlagen hatten, Serok Dschasch (kleiner Esel des Präsidenten/Führers/Diktators) genannt. Nach anfänglicher offener Gastfreundschaft sieht sich Mira zunehmend mit Zurückweichen, ja Feindseligkeit konfrontiert. Ramo, ihr Chauffeur und Übersetzer, scheint sie nicht immer ehrlich zu behandeln. Dafür entwickeln er und sie Gefühle füreinander, und da ist er ehrlich.

Kurdische Filmtage: Eine Heldin und Alltagsfrauen
Eröffnungsabend: Çihan/Jean, Schwalbe-Regisseur Mano Khalil und Hauptdarsteller Ismail Zagros

Show-Down mit dem Vater, der in einer überüppigen, dafür geschmacklosen „Barbie“-Villa lebt und der sich zunehmend verdichtende Verdacht bestätig. Bruch. Die Tochter hat Gewissheit und haut ab. Ramo entscheidet sich für die Liebe, weshalb er von jenen, Rächern, die wollten, dass er den „Esel“ erledige, selbst getötet wird. „Ein Happy-End wäre sch... gewesen“, meint Regisseur Mano Khalil nach dem Film im Gespräch mit dem KiKu und einigen andere Besucher_innen. „Das tragische Ende entspricht auch mehr der kurdischen Geschichte“, die seit Jahrhunderten von Unterdrückung gekennzeichnet ist. Als während der Dreharbeiten eine Verwandte des Hauptdarstellers Ismail Zagros bei einem IS-Angriff in Kobanê getötet wurde, wollte dieser sofort dorthin aufbrechen, um zu kämpfen. „Unser Kampf ist es, Filme zu machen, das können wir. Und hoffentlich werden wir alle eines Tages nur mit den Mitteln der Kultur kämpfen“, konnte der Regisseur seinen Hauptdarsteller zur Weiterarbeit überzeugen. Wir Filmemacher können Esel fliegen lassen!“

Besprechungen der weiteren Filme, siehe eigenen Abschnitt

Mehr zum Festival, siehe Abschnitt unten

Kurdische Filmtage: Eine Heldin und Alltagsfrauen
Szenenfoto aus He bû tune bû / Es war einmal

Eine wunderbare, fast witzig wirkende Kamerafahrt durch die Gitter eines Einkaufswagens in den ersten Minuten des Films He bû tune bû / Es war einmal endet mit einem großen Salatkopf, der in den Wagen gelegt wird und das Bild füllt. Von hier geht’s auf Felder, wo ganze Familien samt Kinder die Plänzchen in die Erde stecken, daneben in „Häusern“ aus Holzleisten und Plastikfolien wohnen und leben – mit notdürftigen Öfen. Und unter fast militärischem Drill für den Eigentümer dieser Salatplantagen für wenig Geld 12-Stunden-Schichten schuften.

Regisseur Kazim Öz hat all das nicht als Spielfilm, sondern als Doku gedreht, eine Doku, deren Verlauf er selber nicht im Vorhinein wusste. Während der Dreharbeiten verlieben sich eine junge Frau und ein junger Mann aus zwei Familien, die hier ihre fast sklavenähnliche Arbeit verrichten, ineinander. Doch die Frau ist von der Familie schon jemandem anderen „versprochen“, ihr Vater daher gegen die sich anbahnende Liebe. Das Pärchen sieht nur einen Ausweg: abhauen. Das hätte auch fast den Regisseur bedroht. Im Gespräch nach der Vorführung im Spittelbergkino meint er – nur mit einem kleinen Schuss Ironie – er habe schon ein Ende vor Augen gehabt, wenn der Vater ihn getötet hätte – Kamera fällt zu Boden. Cut. Aus. Ende. So reichte es, trotz Low- bis fast No-Budget-Produktion, den Vater finanziell zu entschädigen.

Kurdische Filmtage: Eine Heldin und Alltagsfrauen
Szenenfoto aus He bû tune bû / Es war einmal

Im Zentrum steht dennoch nicht die dramatische Liebesgeschichte, sondern – mit einem Ende wieder im Supermarkt – am Beispiel des Salates das Auseinanderklaffen von Konsum und Produktion, von Reichtum und jenen, die ihn eigentlich – unter ärmsten Bedingungen – erschaffen.

Über die Schwierigkeiten, einen Film über die Wahrheit zu drehen

Kurdische Filmtage: Eine Heldin und Alltagsfrauen
Szenenfoto aus: Bîranînen li ser kevîrî / Memories On Stone

Und wieder (wie abends zuvor am internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, siehe oben) ist dem engagierten Festivalteam eine spannende Klammer für zwei völlig unterschiedliche Filme an einem Abend gelungen. Hier ist es die Schwierigkeit, überhaupt einen Film zu drehen. Der beim Festival anwesende Regisseur des obigen Films hat seine im Kino erzählt. In Bîranînen li ser kevîrî / Memories On Stone sind sie sogar zentraler Bestandteil des Films selber.

Regisseur Hussein und ein kleines engagiertes Team möchte in einem der Foltergefängnisse des vormaligen Saddam-Hussein-Regimes einen Film über die „Operation Anfal“ drehen, den systematischen Völkermord des Diktators gegen die kurdische Bevölkerung im Nordirak. Statisten können sie genug auftreiben – in Flüchtlingslagern. Auch männliche Hauptdarsteller, dafür lässt sich sogar ein berühmter Pop-Star, der in seinem Aussehen ein wenig an Saddam erinnert, gewinnen.

Familiäre Verbote

Kurdische Filmtage: Eine Heldin und Alltagsfrauen
Szenenfoto aus: Bîranînen li ser kevîrî / Memories On Stone

Nur für die weibliche Hauptrolle sagen reihenweise Frauen ab – deren Familien erlauben es ihnen nicht. Da meldet sich eine junge Frau namens Sinur, die vom Filmprojekt und der Suche nach einer Darstellerin in den TV-Nachrichten erfährt. Die junge Lehrerin für blinde Kinder hat dazu eine eigene, mehr als schmerzliche persönliche Geschichte, die sich nach und nach im Verlauf des Films erahnen lässt und schließlich enthüllt. Sie war als Kind hier mit ihren Eltern im Gefängnis, ihr Vater wurde hier ermordet und hat davor in seiner Zelle ihren Namen in die Mauer geritzt. Ihr Onkel, nun Vormund der Familie, will ihr die Dreharbeiten nicht erlauben, weil er die junge Frau schon dem Sohn eines Freundes zur Heirat versprochen hat und diese sich dagegen aussprechen. Da hilft alles nichts, fast. Die junge Frau geht ihren Weg – trotz Hindernissen.

Der Film entsteht – trotz eines Attentats auf den Regisseur...

Poetischer Kampf um die Würde einer Toten - und der Lebenden

Kurdische Filmtage: Eine Heldin und Alltagsfrauen
Szene aus Bîranîna hespa res/Black Horse Memories: Mit dem Pferd am Bahnhof...

Mit einem wunderbar poetischen, tieftraurigen, doch in keiner Sekunde der fast 90 Minuten auch nur ansatzweise kitschigen Film gingen die neunten kurdischen Filmtage „Sercavan“ im Wiener Spittelberg-Kino zu Ende. Bîranîna hespa res/Black Horse Memories erzählt den Kampf einer Gruppe politischer Aktivist_innen um die Würde einer Toten. Eine Mitkämpferin wurde von türkischen Militärs erschossen, ihre Leiche in einen Brunnen geworfen. Die Genoss_innen bergen die Leiche und sorgen allen Widernissen, Hindernissen und Gefahren zum Trotz dafür, ihren letzten Wunsch zu erfüllen, erhalten den Leichnam mit Eisblöcken frisch, transportieren sie über weite Strecken, sowie ihr Lieblingspferd zu ihr, wobei auch die Konfrontation mit den Besatzern nicht gescheut wird. Und trotz aller Action und der Trauer, der so „nebenbei“ mit transportierten Geschichte vom Kampf gegen die Unterdrückung usw. ganz ohne Holzhammer, lebt der Film auch von vielen schönen, berührenden Bildern. In einer Szene wird in Steinruinen in den Bergen durch eine harfe spielende Frau in wunderbar besticktem Kostüm auch die Legende von „Şahmaran“, einer Schlangenkönigin bzw. einer Art Göttin der Weisheit in kurdischer Mythologie angesprochen. Der Film zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, dass eine Reihe prominenter Schauspieler_innen auch aus türkischen TV-Serien hier mitwirken, was in kurdischen Filmen nicht so oft vorkommt.

Jogurt und Eis - Kurzfilme

Kurdische Filmtage: Eine Heldin und Alltagsfrauen
Szene aus Mast/Joghurt

Davor wurden vier Kurzfilme gezeigt, von denen besonders Mast / Joghurt und „Ice Cream“ zu erwähnen sind. Bei beiden spielen die titelgebenden Nahrungsmittel eine ganz andere Rolle. In einem Joghurt-Kübel wird eine Kassette mit kurdischer Musik versteckt, damit sie bei einer Kontrolle durch türkische Uniformierte nicht auffällt. Jahrzehntelang war kurdische Sprache, Kultur und Musik in der Türkei verboten. Der erst im Vorjahr gedrehte Film erzählt eine reale Geschichte aus den 60er Jahren. Doch die Geschichte holte leider sogar die Filmemacher wieder ein. Der von der türkischen Führung im Vorjahr gestoppte Friedensprozess mit den Kurd_innen und die Angriffe auf Zivilisten, Städte und Dörfer hat auch einigen Beteiligten des Films „Mast/Joghurt“ mittlerweile das Leben gekostet, berichtet Asiya Fidan Yeter, eine der Darstellerinnen.

In „Ice- Cream“ – so auch der Originaltitel – kommt nur ab und zu ein Motorradfahrer mit einem Eiswagen in entlegenste Bergdörfer. Das ist ein Auflauf. Aus allen Ecken und Enden stürmen die Kinder herbei, um diese für sie nur ganz seltene süße, kühlende Abwechslung schlecken zu können. Eier, Metall, Plastik oder andere Gegenstände müssen sie dem Eisverkäufer bringen, wenn sie kein Geld haben. Der 11-jährige Rojhat bettelt seine Mutter an. Nichts da. So klaut er aus dem Hühnerstall zwei Eier, läuft zum Eisverkäufer... – und fällt hin. Also, retour. Nun entwendet er der Mutter einen Plastik-Schlapfen... Doch der Eisverkäufer ist schon weg. Was der 11-Jährige noch alles anstellt, um doch zu seinem Ziel zu kommen ...! Der sehr realistische Filme (so eine in den kurdischen Bergen aufgewachsene Besucherin) zeigt aber „nebenbei“ eine dunkle Seite: Kinder kriegen viele Watschen, Gewalt in der Erziehung ist leider alltäglich.

Kulturschock

Kurdische Filmtage: Eine Heldin und Alltagsfrauen
Szene aus Zimane Ciye /Die Sprache der Berge

In „Zimane Ciye /Die Sprache der Berge“ wird ein anderes noch immer alltägliches strukturelles Problem aufgezeigt. Der sechsjährige Xemgin, Spitzname Pizot (Fackel), kommt neu in die Schule und verliebt sich auf den ersten Blick in seine Lehrerin. Allerdings redet die in einer für ihn völlig unverständlichen Sprache: Türkisch. Woraus sich mitunter schräge Missverständnisse ergeben. Und ein arger Bruch zwischen dem in den Bergen stets nur mit einem Rad mit Stange dahin flitzenden und nun still sitzen müssendem Kind.

Schließlich spielt der kleine Junge Robin im siebenminütigen „Li Ezmani/ Im Himmel“ viel mit einem Flugdrachen. Wie dieser vom Wind hin und her, auf und ab bewegt wird, so geht es ihm mit seiner Such nach seinem Vater, der schon vor Robins Geburt unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen war.

Kurdische Filmtage: Eine Heldin und Alltagsfrauen

Sercavan, kurdische Filmtage 2016
Kurdische Filmtage: Eine Heldin und Alltagsfrauen

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Sercavan 2016
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