Jeder kann garteln - auch ohne Garten
Viel zu lange wurde Gärtnern wie eine Wissenschaft behandelt. Dieser akademische Zugang ermöglichte eine große Artenvielfalt bis hin zum Ziehen exotischer Pflanzen-Diven, aber er schreckte auch viele ab. Wer nur eine ordinäre Paradeiser und einen Schnittlauchtopf besaß, fühlte sich den Turbo-Gartlern unterlegen und verlor oft die Lust. Noch schlimmer: Wer nur ein paar Quadratmeter Balkon oder Terrasse zur Verfügung hat, sah gar keine Möglichkeit zum erfüllenden Pflanztum.
Aber die Zeiten änderten sich, Do-it-yourself-Bewegung und der Alles-ganz-easy-Zugang à la Jamie Oliver beseelten die Gesellschaft und es setzte sich die Erkenntnis durch: Garteln ist vor allem Leidenschaft, vieles ist erlaubt, fast alles ist möglich und verdammt noch mal ja, ich kann alles dorthin setzen, wo ich will, schlimmstenfalls geht es ein und dann kommt eben etwas Neues.
So ist die Natur, so ist das Leben.
Dieses neue Gartel-Gefühl lockte zwei neue Zielgruppen an: Jene, die bis jetzt höchstens auf dem kleinen Fensterbrett Kressesamen auf nasse Watte streuten. Und jene Tausenden, die eben nur über eine sehr kleine Außenfläche verfügen. Die Gartel-Dummies und die Balkonier. Ihnen gehört das Jetzt.
Im Vorteil
Balkongärtnerinnen und Terrassengärtner sind an sich in einer ganz hervorragenden Situation, findet Maria Hagmann und sie muss es wissen: „Sie haben eine Rückwand zur Verfügung und meistens eine Brüstung oder ein Geländer.“ Das eröffnet Gestaltungsmöglichkeiten. Hagman ist die Topfgarten-Expertin und Kräuterfachfrau bei der Arche Noah, dem Verein für Erhaltung, Verbreitung und Entwicklung der Kulturpflanzenvielfalt (www.arche-noah.at) . Das klassische Balkon-Setting hilft auch dabei, ein passendes Mikroklima zu schaffen, ein schattiger Winkel hier, eine Wärme-reflektierende Hauswand dort, man kann sich verwirklichen.
Grundsätzlich sind Städte beim Garteln ohnehin klimatisch im Vorteil: Im Durchschnitt ist es hier zumindest ein Grad wärmer als am Land, im Winter ist der Unterschied noch größer, es gibt weniger Frosttage und die dichte Verbauung schützt manchmal vor Wind. Das begünstigt wärmeliebende Pflanzen wie Paradeiser, gegen drohende Trockenheit oder Überhitzung durch massive Sonneneinstrahlung gibt es einige schlaue Tricks. „Und die Artenvielfalt ist so groß, dass man sowohl für schattige als auch halbschattige und sonnige Standorte etwas Passendes findet“, be tont Hagmann.
Hineinspüren
Entscheidend ist, dass man sich ohne Scheu und möglichst offen den Fragestellungen nähert. Zunächst sollte man nur auswählen, was einem wirklich Freude macht und entspricht – nur weil andere am Fließband Avocadobäumchen ziehen, muss ich das nicht tun. Das Gespür für den Standort kommt dann beim Probieren von selbst, man kriegt „den Blick“ dafür, bald sieht man den Pflanzen selbst an, wel che Ansprüche sie haben und wo sie am liebsten wachsen: Kräuter mit kleinen, harten Blättern wie Thymian oder Rosmarin sehen aus wie im Italienurlaub – dort ist der Boden karg, also wählt man nährstoffarme, trockene Bedingungen. Das großblättrige, prallgrüne Basilikum wird mehr Wasser und ein bisschen Sonnenschutz brauchen und dass es der Griechische Bergteegern warm hat ... ja, eben.
Im Bestfall spiegeln Terrasse und Balkon wider, welcher Typ man selbst ist: Bei einjährigen Pflanzen findet das Projekt im Spätherbst einen Abschluss, man muss sich um wenig kümmern und kann im nächsten Frühjahr alles neu und vielleicht anders machen. Andere wollen einem Gewächs lieber jahrelang beim Großwerden zu se hen oder blühende Klassiker wie Oleander bestaunen – die man aber ordentlich überwintern muss. Habe ich also Platz zum Einlagern? Vielen schießt beim Garteln die Kreativität ein, sie wollen möglichst originelle Pflanzgefäße und lieben Dekokitsch. Andere wollen den größten Kürbis des Grätzels auf nur zwei Quadratmetern ziehen.
Wie gesagt: Alles ist erlaubt. Auf der folgenden Doppelseite haben wir Tipps, Tricks, Ideen, Warnungen und Möglichkeiten zusammengefasst. Für jeden Typ, für jedes Wissen. Möge das Experiment gelingen.
Kommentare