Land der Berge, Land der Pisten

Einer von mehreren mythologischen Orte in den Alpen: Das Kitzsteinhorn
Interview. Der Sporthistoriker Rudolf Müllner über österreichische Sehnsuchtsorte in den Alpen und eine Erfolgsgeschichte im Schnee.
Von Uwe Mauch

Wer mehr über die Geschichte des Wintersports in Österreich im Allgemeinen und die Entwicklung des Skisports im Speziellen erfahren möchte, muss früher oder später hinauf auf die Schmelz, zum Institut für Sportwissenschaft der Uni Wien.

Dort forscht und unterrichtet Univ.-Prof. Rudolf Müllner. Der ist nicht nur ein exzellent informierter, präzise formulierender Historiker und Sportwissenschaftler, sondern auch ein leidenschaftlicher Skifahrer und Skitourengeher.

KURIER: Herr Professor, das Land der Berge ohne Skifahrer: Ist das für Sie vorstellbar?

Rudolf Müllner: Nur hypothetisch. Es ist ja kein Zufall, dass "Land der Berge" schon in der ersten Zeile der Bundeshymne vorkommt. Jetzt muss man sich diese Berge natürlich nicht zwangsläufig mit Skiern aneignen. Andererseits macht man das schon seit gut 130 Jahren. Insofern kann man sagen: Skifahren ist ein essenzieller Bestandteil des Österreichischen.

Land der Berge, Land der Pisten
Sujet aus dem Brandstätter-Verlag. Darf nur in Verbindung mit dem Buch verwendet werden

Inwiefern hat der Skisport zur Ausbildung einer nationalen Identität in Österreich beigetragen?

Massiv. Beginnend mit dem Massenskilauf, ausgelöst durch den militärischen Skilauf im Ersten Weltkrieg, fortgesetzt durch den Aufstieg der Ski- und Wintersportindustrie, weiter verstärkt durch die mythologischen Orte wie Arlberg oder Hahnenkamm. Und nicht zu vergessen durch die zahllosen Heldinnen und Helden des Rennsports.

Hat der Skisport auch das Österreich-Bild in der Welt geprägt?

Die Außensicht auf Österreich wurde durch den Skisport sicherlich mitgeprägt, vor allem bei Menschen, die sich für sportliche Ereignisse interessieren. Ich wage zu behaupten: Das Sturzbild von Hermann Maier bei der Abfahrt der Olympischen Winterspiele 1998 in Nagano, das es auf die Titelseite des US-Magazins Sports Illustrated geschafft hat, hat dieselbe nachhaltige Wirkung erzielt wie drei Wiener Neujahrskonzerte.

Ein Sturz alleine macht allerdings noch kein Klischee.

Berge, Alpinismus, die Inszenierung des Winters als Naturparadies, die Erhöhung der beschneiten Berge als Sehnsuchts-orte: Diese Standardklischees und Ikonografien werden bereits seit den 1930er-Jahren auf den Werbeplakaten der Tourismusindustrie verwendet (siehe dazu die historischen Plakate). Und das zeigt natürlich Wirkung.

Land der Berge, Land der Pisten
Sujet aus dem Brandstätter-Verlag. Darf nur in Verbindung mit dem Buch verwendet werden

Wird sich Österreichs Beziehung zum Skifahren angesichts der anhaltenden globalen Migrationsbewegungen ändern? Das Skifahren selbst ist eine über Generationen eingeübte Kulturtechnik. Aber auch das gesamte Drumherum, die mediale Inszenierung und Rezeption, insgesamt die hohe Wertschätzung dieser Sportart, das kann man sich nicht von einem Tag auf den anderen aneignen. Das dauert. Es wird Zeit brauchen bis Menschen, die aus anderen Klimazonen und Kulturkreisen zu uns kommen, dies auch wertschätzen können.

Der ORF und der Österreichische Skiverband verkaufen uns Siege von rot-weiß-roten Athleten noch immer als weltbewegende Ereignisse. Doch welchen Stellenwert hat diese Inszenierung im internationalen Maßstab?

Tatsächlich ist dieses übersteigerte Interesse lokal begrenzt. In Sizilien interessiert die Übertragung eines Damen-Weltcup-Slaloms am Dienstagvormittag kaum jemanden. Für die Selbstvergewisserung sind solche medialen Inszenierungen dennoch sehr positiv und identitätsstärkend. Wintersport-Inszenierungen sind übrigens bei Weitem kein österreichisches Phänomen. Wenn ich bei Kongressen mit meinen Kollegen aus Norwegen zusammenkomme, dann berichten die von ganz ähnlichen Phänomenen der patriotischen Emotionen. So wird der Sieg eines Norwegers beim 50-Kilometer-Langlauf in den norwegischen Medien ähnlich abgefeiert wie bei uns der Sieg eines Österreichers bei der Hahnenkamm-Abfahrt.

In Zeiten, in denen viel über den ökologischen Fußabdruck diskutiert wird: Sind weitere Schneisen in die Natur und Einsatz von Kunstschnee heute noch zeitgemäß?

Zeitgemäß sehr wohl, denn früher hat man ja den Kunstschnee nicht gebraucht. Die Frage ist vielmehr, ob die künstliche Beschneiung auf lange Sicht Sinn macht.

Und die Antwort?

Land der Berge, Land der Pisten
Sujet aus dem Brandstätter-Verlag. Darf nur in Verbindung mit dem Buch verwendet werden

Die heutige Alpinskilaufkultur ist sicher kein ökologisches Vorzeigeprojekt. Auf der rein betriebswirtschaftlichen Ebene haben die Betreiber der Wintersportorte und der Bergbahnen dennoch die Antwort längst gegeben, indem sie hohe Summen in die Infrastruktur investiert haben. In Österreich hängen unglaublich hohe volkswirtschaftliche Werte an der Wintersportindustrie. So hängt laut einer IHS-Studie jeder 14. Arbeitsplatz in diesem Land direkt oder indirekt von der Wintertourismusindustrie ab. Österreich ist heute auch weltweiter Spitzenreiter, was die beschneiten Flächen angeht.

Könnte die Rechnung der Betreiber einmal nicht mehr aufgehen?

Es gibt ja schon erste Skigebiete, die geschlossen werden mussten. Weil sie zu niedrig gelegen sind und die Temperaturen kaum noch unter null gehen. Wenn die Saison zu kurz ist, wandern die Leute in die Topgebiete ab. Dann laufen die Anlagen nicht mehr rentabel.

Ischgl wird sich somit halten, Lackenhof hat ein Problem?

Die niedrigeren Destinationen sind zunehmend gefährdet. Vor allem in den prekären Skigebieten werden Arbeitsplätze verloren gehen.

Hat man schon Konzepte parat, die dagegen wirken?

Man weiß auch in Österreich, dass das Skifahren kein Selbstläufer mehr ist. Im Moment wird versucht, das Erlebnis des Aufenthalts zu verbessern und hochwertigere Angebote für die Event- und Wellness-Gesellschaft zu schaffen.

Gleichzeitig ist aber auch die Konkurrenz der sonnigen Ferndestinationen im Winter deutlich größer geworden.

So ist es, und es sei nun jedem selbst überlassen, wo er seinen ökologischen Fußabdruck hinterlassen möchte.

Was nun die Popularität der Sportikonen anlangt: Laufen derzeit die Alabas und Arnautovics den Atomic-Fahrern den Rang ab?

Land der Berge, Land der Pisten
Sujet aus dem Brandstätter-Verlag. Darf nur in Verbindung mit dem Buch verwendet werden

Das ist eine Momentaufnahme. Spätestens, wenn Marcel Hirscher oder ein anderer oder eine andere im Winter die nächste Siegesserie hinlegt, ist das alte Verhältnis wiederhergestellt. Andererseits ist schon zu beobachten, dass die Attraktivität der TV-Übertragungen von Skirennen deutlich abgenommen hat. In einer diversierten Medienlandschaft bringen nur mehr die Top-Events Top-Quoten.

Noch eine Frage zu einer österreichischen Errungenschaft: Ist der Schulskikurs noch zeitgemäß?

Die Wintersportwoche ist weiterhin ein großartiges, weltweit einzigartiges Modell. Ein Skikurs für Schüler ist nicht nur die größte Skischule der Welt, sein soziales Setting trägt auch zum besseren Miteinander in der Schule bei. So eine gemeinsame Woche bietet eine immense Chance für Weiterentwicklung und soziales Lernen. In der Wirtschaft werden für solche Teamentwicklungsseminare Top-Summen bezahlt. Der Schulskikurs hat auch heute das Potenzial, dass man sich ein Leben lang daran erinnert.

Leistet das nicht auch die Schullandwoche?

Leistet sie eh. Aber in einem Land, in dem – überspitzt formuliert – acht Monate lang Winter ist, ist es nur legitim, dass die Kinder auch lernen, sich im Schnee in den Bergen zu bewegen.

Sie unternehmen im Winter selbst Skitouren. Was fasziniert Sie dabei?

Land der Berge, Land der Pisten
Sujet aus dem Brandstätter-Verlag. Darf nur in Verbindung mit dem Buch verwendet werden

Es ist das Spüren und die Auseinandersetzung mit dem Winter, dem Schnee, dem Berg, der Natur. Es ist auch das Unterwegssein in der Gruppe, die Ruhe. Und dann ist es die Selbstermächtigung, die Kontrolle über das Gerät und sich selbst sowie das Tempo, mit dem man große Räume durchmessen kann. Skifahren ist eine sehr sensible Bewegung, die man sein ganzes Leben lang üben und sich so der Perfektion annähern kann. Es wird auch zu Recht auf die Analogie des Wedelns mit dem Tanz im Schnee verwiesen. Das hat etwas spielerisch Leichtes, etwas Befreiendes. Das hebt einen aus dem Alltag heraus und kann einen glücklich machen. Wahrscheinlich spüren das viele Menschen so.

2

Die historischen Plakate, die dem Interview mit Rudolf Müllner beigestellt wurden, stammen aus einem großformatigen Bildband des Brandstätter-Verlags. Das Buch zeigt 200 Abbildungen aus der weltweit größten privaten Sammlung zur Skikunst. Die Plakate wurden von den besten Grafikern ihrer Zeit geschaffen, für die mondänsten und beliebtesten Skigebieten der Welt, darunter auch österreichische.

Land der Berge, Land der Pisten
Sujet aus dem Brandstätter-Verlag. Darf nur in Verbindung mit dem Buch verwendet werden

Jenny de Gex: Die Kunst des Skifahrens. Vintage Plakate 1890– 1960. 160 Seiten; 29,90 Euro.

Der Sportwissenschaftler

Land der Berge, Land der Pisten
Sportwissenschafter Rudolf Müllner

Rudolf Müllner hat sich eingehend mit der Geschichte des Wintersports und des Skifahrens in Österreich beschäftigt. In etlichen Studien hat er den Beitrag des Breitensports und der sogenannten Sporthelden für die Identität des Landes analysiert. Der in Krems geborene Historiker und Sportwissenschaftler arbeitet als außerordentlicher Professor am Institut für Sportwissenschaft der Universität Wien. Seine Expertisen sind auch im European Committee for Sports History, der International Society for the History of Physical Education and Sport sowie in der Österreichischen Gesellschaft für Sportwissenschaften gefragt.

Der Skifahrer

Müllner ist einer von jenen, die den Gegenstand ihrer Studien auch selbst praktizieren. Er liebt den Firn.

In wenigen Tagen ist es fünfzig Jahre her: Am 12. Dezember 1965, heißt es in einer Aussendung der Gletscherbahnen Kaprun AG, wurden die ersten Skifahrer mit einer Gondelbahn zum Skifahren auf das Kitzsteinhorn hinauftransportiert. Und auch wenn fünfzig Jahre im Vergleich zum Gletschereis nicht unbedingt viel ist, muss das ordentlich gefeiert werden.

Also schicken die Medienbeauftragten der Bahngesellschaft historische Aufnahmen aus, alle im allerbesten Licht fotografiert. Und auch die Werbetexte zum Jubiläum sind flauschig formuliert. Wie der erhoffte Pulverschnee zum Saisonstart.

Land der Berge, Land der Pisten
Pressebilder NUR honorarfrei im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Kitzsteinhorns und Zell am See-Kaprun.

Die Wohlfühl-Textstrecken im Original: „In den 1960er-Jahren nach der visionären Idee von Ing. Wilhelm Fazokas als Sommerskigebiet geplant, hat sich das Kitzsteinhorn zum ganzjährigen Tourismusmotor weiterentwickelt.“ Es folgen „weite Gletscherhänge und vielfältige Pisten mit Schneegarantie von Oktober bis Juni“, ein Hinweis auf die „hochalpine Erlebniswelt direkt an der Grenze zum Nationalpark Hohe Tauern, mit Snowparks, Freeride- und Skitouren-Routen“ und Superlative („die mit 113,6 Metern höchste Seilbahnstütze der Welt“ oder „die Errichtung der weltweit ersten Schlepplifte auf einem fließenden Gletscher 1968“).

Kurz wird auch das dunkle Kapitel der Bahngesellschaft gestreift: „Untrennbar mit der Geschichte des Kitzsteinhorns verbunden ist aber auch die tragische Brandkatastrophe der Stollenbahn am 11. November 2000, bei der 155 Menschen ums Leben kommen. Das Unglück markiert eine schmerzvolle Zäsur für die Gletscherbahnen.“

Am Ende aber wieder Jubel: „Am 12. Dezember feiern die Gletscherbahnen Kaprun ihr 50-Jahr-Jubiläum und die offizielle Eröffnung der neuen Bahnen-Achse Gletscherjet 3 + 4, die den Gletscher schneller und komfortabler erreichbar macht.“

Kommentare