"Ich musste wissen, ob mein Kind lebensfähig ist"
Der kleine Armin ist das vierte Kind, das Bettina zur Welt bringt. Wie auch bei den anderen Babys war sie auf eine "normale" Geburt eingestellt. Erste Probleme traten bereits in der sechsten Woche auf. Ein Hämatom. Drohender Abort. Glücklicherweise konnte der Arzt medikamentös behandeln. In der 20. Woche dann aber der Schock. Ein Organscreening zeigt Auffälligkeiten im Gehirn. Flüssigkeitsansammlung. Es folgt eine Überweisung ins SMZ Ost, wo ein Pränatal-Ultraschall durchgeführt wird. Er zeigt, dass die Hirnventrikel stark erweitert sind, weitere Schäden im Herzen seien nicht abschätzbar, so der damalige Arzt.
Das Baby sei ungefähr vier Wochen entwicklungsverzögert. Kurz darauf fällt das erste Mal eine Diagnose. Trisomie 18. Der Arzt sagt, die Wahrscheinlichkeit für das Syndrom liegt bei 50 Prozent. "Er hat das in einem sehr seltsamen Tonfall gesagt und dann die Liste mit möglichen Symptomen recht herzlos runtergerattert. Ich arbeite als Sozialpädagogin jeden Tag mit behinderten Kindern. Ich verspüre da keine Angst, aber meinen Mann hat dieses Gespräch sehr verunsichert." Der Arzt sagt zu Bettina, dass so ein Kind nicht überlebt. Zudem würde er eine Fruchtwasserpunktion empfehlen. Immer wieder hätte sie sich rechtfertigen müssen, warum sie keine Nackenfaltenuntersuchung zuvor durchführen ließ.
"Wir waren total überfordert"
Schließlich informiert der Arzt ungefragt über einen Schwangerschaftsabbruch und gibt Bettina eine diesbezügliche Broschüre in die Hand sowie ein Formular. Er erzählt von der Spritze, die ihr ungeborenes Kind töten werde. "Wir waren total überfordert, das war heftig." Doch für Bettina kommt ein Abbruch nicht infrage.
Auf das Anraten einer guten Freundin wechselt sie ins AKH, wo sie die Fruchtwasserpunktion durchführen lässt. "Ich musste wissen, ob ich ein Kind habe, das lebensfähig ist."
Unbestimmtes Syndrom
Neue Tests zeigen, dass keine Chromosomenstörung vorliegt, keine Trisomie 18. Ein Syndrom liege aber vor, jedoch könne nicht gesagt werden, welches. Der neue Arzt zeigt sich außerdem verwundert über bisherige Behandlungsmethoden. "Bei jeder Untersuchung war plötzlich eine Psychologin dabei." Sie fragt Bettina, ob sie weiß, worauf sie sich einlässt, aber ohne sie in eine Richtung zu drängen. "Das war sehr angenehm, sie war neutral." Denn bisher habe sie immer nur gehört, was an ihrem Kind alles vielleicht falsch sein könnte.
Heute ist Armin ein Jahr alt. "Wir wissen immer noch nicht genau, was er hat. Aber es geht ihm gut. Wir müssen seine Entwicklung abwarten, derzeit schaut alles recht positiv aus. Die Ärzte reden heute nicht von großen Beeinträchtigungen. Er wird gehen, er wird reden. Er wird vermutlich eine leichte Lernschwäche haben und etwas entwicklungsverzögert bleiben, aber er ist ein ganz normales Kind."
Bettina sagt, dass jedes Leben wertvoll ist, weil wir nicht über das Leben eines anderen Menschen hinweg entscheiden sollten und dürften. "Und weil ich in meiner täglichen Arbeit mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen ständig erleben darf, wie glücklich diese Menschen sind und innerlich zufrieden." Diese Vorstellung, dass die betroffenen Kinder arm sind, passiere nur in unserem Kopf. "Mein Kind ist unglaublich ausgeglichen und fröhlich. Und mittlerweile ist es mir egal, ob sich ein Syndrom irgendwann herausspiegelt oder nicht. Unvorstellbar, dass ihn andere abgetrieben hätten."
"Zwang oder Verbot sind nie gut"
"Ich bin nicht für Spätabbrüche, außer es handelt sich wirklich um Kinder, die nachher immer Schmerzen hätten und leiden würden. Immer, wenn ich etwa Kinder mit Trisomie 21 sehe, die mich anlachen, werde ich ein Stück traurig, dass so viele nicht leben dürfen und bin zeitgleich glücklich, dass sich diese Mama für dieses Wunder entschieden hat. Aber ich denke, wenn eine Frau ein Kind abtreiben will und es nicht darf, also bekommen muss, dann ist das extrem schwierig." Für die Frau, aber auch für das Kind. Die Frage sei: was würde dann mit dem Kind passieren? Zwang oder Verbot seien nie gut.
Bettina wünscht sich bessere Unterstützung in einer komplizierten Schwangerschaft. "Nicht nur medizinisch, sondern auch psychologisch. Man trifft im Schock leicht eine Entscheidung, die man mit Unterstützung nicht treffen würde. Die Mama darf in so einer Extremsituation nicht alleine gelassen werden."
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