Wachstumsexperte Reinhold Kerbl sieht die Veränderungen auch in der Praxis. „Tatsächlich werden die Kinder heute größer; und vor allem werden sie früher größer“, sagt der Leiter der Abteilung für Kinder und Jugend am LKH Leoben und Mitglied der Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ). Warum das so ist, liege sehr an einer sogenannten Akzeleration. „Das heißt, die Pubertät verschiebt sich kontinuierlich nach vorne.“ Als Folge beginnen auch die durch die Pubertät bedingten Veränderungen früher. Allerdings mittlerweile auf einem eher abflachenden Niveau, im Gegensatz zu den 1950er- bis 1970er-Jahren. „Damals hatte man eindeutig den Trend einer Größenverschiebung nach oben und dem früheren Beginn der Pubertät“, ergänzt Klaus Kapelari, ebenfalls ÖGKJ-Mitglied und leitender Oberarzt der Hormonambulanz der Uni-Kinderklinik in Innsbruck.
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Eine Vermessung von zirka 15.000 Kindern vor einigen Jahren in ganz Österreich kam ebenfalls zu diesem Ergebnis. „Im Wesentlichen sind die Perzentilenkurven (statistische Tabellen zur Beurteilung des Wachstums, Anm.) nur geringfügig von den Durchschnittswerten von 1976 abgewichen.“ Er gibt allerdings zu bedenken, dass in der jüngeren Erhebung der österreichischen Population alle Ethnizitäten vertreten sind. Denn: „Für jede Ethnizität gibt es ein eigentliches Normalwachstum.“ Etwa Nordeuropäer sind tendenziell größer als Südamerikaner oder Indonesier.
Pubertäre Sprünge
In der Pubertät passieren die meisten körperlichen Veränderungen – auch die Körpergröße, da in dieser Phase die dritte und letzte Wachstumsphase eines Menschen stattfindet. Ein faszinierendes Feld, findet Kerbl. Großteils ist das Wachstum programmiert, verläuft im Kindesalter „relativ kontinuierlich“, mit dem pubertären Wachstumsschub erfolgt dann der markante Sprung. Und das hormonelle Programm läuft nach ausgeklügelten Schaltungen, erklärt Kerbl. „Das Wachstum wird auch wieder gestoppt. Und zwar dann, wenn etwa bei Burschen der Testosteronspiegel hoch ist.“ Kapelari: „Die Natur regelt vieles selbst.“
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Warum die Pubertät heute früher beginnt, darüber gebe es unterschiedliche Meinungen. Einen wesentlichen Faktor machen allerdings Umweltfaktoren aus, sagt Kerbl. „Heute wissen wir: Die Epigenetik ist extrem wichtig.“ In unserer Gesellschaft herrscht kein Mangel, die Ernährungs- und Gesundheitsversorgung ist auf hohem Niveau. Kapelari: „Durch gute Ernährung werden Wachstum und Gewicht stimuliert.“
Aber nicht ins Unermessliche, beruhigt der Experte. Abklärungsbedürftig sei eine frühe Pubertätsentwicklung erst, wenn sie bei Mädchen vor acht, bei Buben vor neun Jahren beginne. Zum Vergleich: Durchschnittlich beginnt sie derzeit bei Mädchen und bei Buben ca. ein bis zwei Jahre später.
Was ist (noch) normal?
Die Bandbreite einer als normal geltenden Körpergröße ist in jedem Alter sehr groß, betont Kapelari. „Bei einem neunjährigen Buben liegt sie zwischen 1,25 und 1,45 Meter. Das sind immerhin 20 Zentimeter, die Normalität bedeuten.“ Bei Erwachsenen werde dieser Normalbereich im Übrigen noch größer: Er liegt bei Männern zwischen 1,65 und 1,95 Metern, bei Frauen zwischen 1,51 und 1,76 Metern.
Dass dennoch viele meinen, sie seien zu klein, liegt für Kapelari an einer „verschobenen Normalität in der Wahrnehmung“, etwa durch TV-Formate. Eine dadurch verstärkte Awareness bemerkt er auch an der Klinik. „Das Hauptproblem für uns ist, zu vermitteln, was normal ist.“ 1,68 Meter seien für einen Burschen, dessen Eltern so groß seien, normal. „Das ist die Vorgabe seiner Familie.“
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