Traumforscherin: "Mit den vielen Krisen werden Schlafprobleme ärger"

Traumforscherin: "Mit den vielen Krisen werden Schlafprobleme ärger"
Wir schlafen Rund ein Drittel unseres Lebens. Wie wichtig Schlaf ist, zeigt sich, wenn Angst und Stress ihn stören.

Im alten Griechenland glaubte man, dass gute Träume die Götter und schlechte die Dämonen bringen. Hippokrates wollte mit ihnen Krankheiten vorhersagen und für König Xerxes bot eine Traumdeutung Anlass zum Krieg. Die Auseinandersetzung mit Träumen ist so alt wie die Menschheit selbst und ruft "einerseits großes Interesse hervor, andererseits gibt es auch sehr viele Berührungsängste“, erzählt David Riedl, Psychologe an der Medizinischen Universität Innsbruck. 

In vielen Köpfen geistert noch immer das Bild der Traumdeutung herum, bei der andere Menschen die eigenen Träume entwirren können. "Das hat etwas sehr magisches, funktioniert in der Praxis aber so nicht“, sagt der Experte. Traumdeutungsbücher oder Websites dienen maximal dem Amüsement.

Träume als Hilfsmittel

In der analytischen Therapie werden Träume heute als Hilfsmittel eingesetzt, um unterbewusste Konflikte und Dynamiken besser zu verstehen: "Die Patientinnen und Patienten werden eingeladen, von ihren Träumen zu erzählen. Dann versucht man, anhand der Trauminhalte auf mögliche Konflikte zu schließen. Manchmal tauchen auch Personen in Träumen auf, an die man gar nicht gedacht hat und es gibt neue Anknüpfungspunkte“, erklärt Riedl.

Geträumt wird vorwiegend in den REM-Phasen (Rapid Eye Movement, Anm.). "Hier sind Gehirn und Sehrinde fast genauso aktiv wie im Wachzustand“,  erklärt der Traumexperte. "Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass wir in diesem Moment Bilder verarbeiten.“ Unsere Gehirnzentren für Hören, Riechen oder Schmecken bleiben hingegen weitgehend inaktiv. Auch unser Körper ist im Ruhemodus.

Mittlerweile geht man in der Forschung  davon aus, dass  Schlafphasen auch wichtig für die Hirnentwicklung sind. So hat man herausgefunden, dass kleine Kinder mehr REM-Phasen haben und diese mit dem Alter abnehmen. 

Außerdem wurden während der Schlafphasen Lernvorgänge im Gehirn beobachtet: Im Traum werden Geschehnisse von untertags "offline nachbearbeitet“. Erinnerungen werden gelöscht oder gespeichert und vom Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis übertragen. 

Schlaf in der Pandemie

Wie wichtig schlafen und träumen ist, weiß auch Brigitte Holzinger, Leiterin des Instituts für Bewusstseins- und Traumforschung in Wien: "Guter Schlaf macht uns robuster. Traum und Albtraum dienen dazu, Krisen zu bewältigen und mit Themen besser zurechtzukommen.“

Die Corona-Pandemie  habe sich bei vielen Menschen negativ auf die nächtliche Erholung ausgewirkt. "Wir wissen, dass Kinder und Jugendliche vermehrt unter Albträumen  und Schlafstörungen leiden.“ Ihre Studiendaten aus dem Sommer 2021 zeigen, dass sich Schlafstörungen insgesamt verdoppelt haben. Das hänge mit allgemein zunehmenden Ängsten und Depressionen zusammen. Vor allem junge Menschen und Frauen sind häufiger von Ein- und Durchschlafstörungen betroffen.  

Traumforscherin: "Mit den vielen Krisen werden Schlafprobleme ärger"

Brigitte Holzinger ist Leiterin des Studienganges Medizinisches Schlafcoaching an der MedUni Wien

Neben Ängsten und Anspannung kann auch eine Covid-19-Infektion unseren Schlaf und die Träume beeinflussen. Holzinger, die auch den Studiengang Medizinisches Schlafoaching leitet, wertet mit ihrem Team Studien über Schlaf und Traum und Corona aus. Ihre ersten Ergebnisse zeigen: Neben Fatigue oder Ermüdbarkeit, einem der Hauptsymptome von Long Covid, ist auch Schläfrigkeit, also ein tiefes Schlafbedürfnis, ein weiteres Symptom von Long Covid. 

Krisenbewältigung

Spielen – wie in der aktuellen Situation  – mehrere Krisen zusammen, "potenzieren sich für fragilere Menschen die Auswirkungen weiter“, erklärt die Traumforscherin. Mit neuen Krisen nehmen Ängste und Angespanntheit erneut zu. Der Schlaf wird dadurch oberflächlicher, man schläft schlechter ein oder durch. "Wir müssen davon ausgehen, dass unsere Schlafprobleme mit diesen vielen Krisen, die sich auf uns zubewegen, ärger werden.“ 

Zumindest wissen wir heute – im Gegensatz zur Antike –, dass Albträume keine schicksalhaften Voraussagen sein müssen. 

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