Tinder-Betrüger: So gefährlich ist "Love Scamming"
Als Cecile Fjellhoy, eine 29-jährige, in London lebende Studentin, einen 28-jährigen Diamanterben auf Tinder nach rechts „wischte“, war sie sicher, ihren Traumprinzen gefunden zu haben.
Simon Leviev war gut aussehend, charmant und führte einen schwindelerregenden Lebensstil. Er versprach ihr Diamanten, Luxus und ewige Liebe. Doch schon bald entpuppte sich der vermeintliche Prinz Charming als ihr schlimmster Albtraum.
Levievs richtiger Name ist Shimon Hayut, heute besser bekannt als „Der Tinder-Schwindler“: So heißt die mehrteilige Dokumentation, die seit Anfang Februar beim Streamingdienst Netflix abrufbar ist. Fjellhoy und zwei andere Frauen haben sich dafür zusammengetan, um ihre Geschichte zu erzählen und andere Frauen zu warnen.
Vorgehensweise
Wie viele Frauen Hayut belog und betrog, ist unklar. In Summe soll sich der 31-jährige Israeli mittels Lügen und emotionaler Manipulation von seinen Tinder-„Matches“ über Jahre hinweg 10 Millionen Dollar erschlichen haben.
„Love Scam“ oder „Romance Scam“ (to scam = jemanden übers Ohr hauen) heißt diese Form des Internetbetrugs, die durch die rasante Verbreitung von Online-Datingportalen stark zugenommen hat. In der Regel handelt es sich bei den Opfern um intelligente, formal hoch gebildete Single-Frauen mittleren Alters, die eine feste Beziehung eingehen wollen.
Die Täter können – wie Shimon Hayut – einzelne Hochstapler sein, immer öfter sind sie aber Teil professionell organisierter Banden aus dem Ausland. Sie geben sich als Ingenieure oder Unternehmer aus, überschütten ihre Auserwählten mit Zuneigung („Love Bombing“), schaffen über Wochen hinweg eine Vertrauensbasis. Und dann beginnen sie, immer höhere Geldsummen zu erbitten.
Schamgefühle
In der Kriminalstatistik wird Love Scamming nicht als eigenes Delikt erfasst. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein, weil Betroffene den Betrug oft nicht zur Anzeige bringen. Wenn die psychische Last zu groß wird, landen viele in der Praxis von Nicole Siller, die in Wien als Beziehungscoach und Sexualberaterin tätig ist.
„Im Bereich Love Scamming ist die Scham, jemandem mit Zuneigung, Liebe und Verständnis auf den Leim gegangen zu sein, oft sehr groß“, weiß die Expertin. „Tatsächlich erzählen Betroffene oft nicht einmal ihren Freundinnen davon, weil es ihnen so unangenehm ist.“
Kontaktaufnahme
Die verwendete Sprache ist oft, jedoch nicht immer, Englisch. Achten Sie auf den Stil und mögliche Grammatikfehler. In Folge werden Treffen in Aussicht gestellt, aber immer wieder verschoben, weil „Notfälle“ oder „Dramen“ eintreten, die das Opfer in eine Art Seifenoper integrieren
Rette mich!
Oft handelt es sich um vermeintliche Witwer mit Kindern, die vorgeben, Opfer der Umstände geworden zu sein. Sie befinden sich in Krisen (Schulden, Krankheit, Unfälle) und suggerieren, dass sie gerettet werden müssen
Warm-Kalt-Warm
Intensiver Austausch wechselt mit tagelanger Stille, um alle möglichen Emotionen im Gegenüber zu triggern. Nach einigen Tagen des Beziehungsaufbaus, oft auch durch Telefonate, werden Krisen stärker, die Not massiver. Dann folgt die „Bitte“ bzw. die „Forderung“ um Geld
Was man tun kann
Auf Widersprüche achten, um weitere Fotos bitten, niemals Geld überweisen, eine Vertrauensperson einbeziehen
So wie jene Frau in ihren Vierzigern – sie möchte anonym bleiben –, die sich über eine renommierte Online-Partneragentur in einen englischsprachigen Isländer mit attraktiven Fotos und ausgezeichneten Umgangsformen verliebte. Nach wochenlangem, intensivem Kontakt wollte er von ihr 12.000 Euro für ein vermeintliches Gerichtsverfahren – danach, so erklärte er in blumigen Worten, werde endlich ihre gemeinsame Zukunft beginnen.
Sie schaffte rechtzeitig den Absprung, vielen gelingt das nicht. Es sei daher wichtig, derlei Erfahrungen öffentlich zu machen, sagt Siller. „Es ist keine Schande, jemandem vertrauen zu wollen. Und es ist keine Schande, sich Unterstützung zu holen, denn die wird man brauchen, um sich zu sortieren und nötige Schritte zu setzen.“
Dies gelang schließlich auch Cecile Fjellhoy und ihren Leidensgenossinnen. Mit ihrem „Outing“ tragen sie dazu bei, dass andere Frauen achtsamer sind und es Betrüger wie Shimon Hayut nicht mehr so einfach haben. Dieser ist – nach einer kurzzeitigen Inhaftierung – nun nämlich wieder auf freiem Fuß.
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