Detransition: Erst Frau, dann Mann, nun wieder Frau?
Eli Kappo wurde als Mädchen geboren. Oder wie er es nennt: "Ich war ein Baby, das als Mädchen aufwachsen musste." Schon im Kindergarten, so erzählt der 30-Jährige dem KURIER, "wusste ich, dass ich eines Tages ein erwachsener Mann sein werde“. Eli Kappo wollte kurze Haare haben, mit den Buben spielen und hat sich in Filmen immer an einer männlichen Figur orientiert – "typischerweise am Bösewicht“.
2011 outete sich Eli Kappo als Transmann. Leicht war die Entscheidung für den damals 19-Jährigen nicht, "weil ich wusste, wie problematisch das für die Gesellschaft immer noch ist". Dennoch entschied er sich für eine Geschlechtstransition, begann eine Begleit- und Hormontherapie und ließ sich die Brüste entfernen. Einige Jahre lebte der studierte Biologe als Mann, doch es taten sich Zweifel auf: "Es gab einen Teil von mir, den ich vor der Welt verstecken musste.“
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Nach langem Überlegen entschied sich Eli Kappo für eine Detransition, die vollständige oder teilweise Rückkehr einer Transperson zu ihrem Geburtsgeschlecht. Er ließ sich den Bart weglasern und setzte das Testosteron ab. Das Geschlecht im Ausweis ließ er von männlich auf weiblich ändern. Bis sich Eli Kappo 2016 zum zweiten Mal in seinem Leben outete: als nicht-binäre Person, also weder männlich noch weiblich. Zwei Jahre später bezeichnete er sich zum ersten Mal wieder als Frau*.
*Aktuell lebt Eli Kappo als Mann. Daher wird in diesem Artikel die männliche Form "er" verwendet
Detransition ist ein kontroverses Thema. Denn es wirft regelmäßig die Frage auf, wann und in welchem Umfang Menschen geschlechtsangleichende Maßnahmen durchführen lassen können sollen. Auch in der LGBTIQ-Szene sehen viele das Thema als Tabu. Zu groß ist die Angst, Kritikerinnen und Kritiker liberaler Regelungen könnten sich bestätigt sehen oder Trans-Rechte allgemein in Gefahr geraten.
"Eine Detransition wurde lange Zeit als der Worst Case gesehen, also die totale Katastrophe, die verhindert werden muss", bestätigt Eli Kappo. "Implizit wird erwartet, dass jede Transition eine kleine Erfolgsgeschichte darstellen soll. Wenn ich diese Erwartung nicht erfülle – wenn ich z.B. nach der Transition nicht gut aussehe oder sozial in die komplette Isolation gerate – dann kommt das nicht gut an. Natürlich war das Eingeständnis, das ich das sein könnte, schwierig."
Detransitionen in Österreich
Offizielle Zahlen über Menschen, die eine Transition rückgängig gemacht haben, gibt es nicht. Eine der größten Studien diesbezüglich ist die U.S. Transgender Survey aus dem Jahr 2015, eine Querschnittsstudie mit rund 27.700 Transgender-Erwachsenen. Sie ergab, dass acht Prozent der Befragten zu irgendeinem Zeitpunkt eine Detransition vollzogen haben, wobei die Mehrheit dies nur vorübergehend tat.
Wenn das Umfeld die Entscheidung nicht akzeptiert, gibt es - vereinfacht gesagt - zwei Möglichkeiten: entweder diese Kontakte kappen und neu durchstarten - oder den Weg zurückgehen
Menschen, die detransitionieren, landen mitunter bei Sarah Fuchs vom Transgender Team Austria (TTA). Seit 2006 arbeitet sie als Psychotherapeutin. Vor 2015 hat Fuchs zwei Detransitionen begleitet, seit 2015 insgesamt sechs. "Es hat sich also in gewisser Weise doch vermehrfacht", sagt Fuchs. Dennoch bleibe es eine kleine Minderheit. "Nachdem die Zahl jener, die sich als trans oder nichtbinär identifizieren, in den letzten Jahren größer geworden ist, ist automatisch auch die Zahl jener, die den Weg zurückgehen, größer geworden."
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Die Beratungsstelle Transgender Team Austria (TTA) berät und unterstützt Menschen unter anderem beim Coming-Out, bei Mobbing oder bei der Jobsuche. Pro Jahr erreichen sie zwischen 6.000 und 7.000 Kontaktaufnahmen. In den letzten Jahren ist der Anteil der Jugendlichen, die sich Beratung suchen, gestiegen, erzählt die Psychotherapeutin Sarah Fuchs: "Jugendliche hinterfragen ihr Geschlecht heute mehr. Für viele ist nicht mehr klar, wo sie hingehören. Social-Media-Kanäle forcieren das Thema natürlich auch." Die jüngste Klientin war fünf Jahre alt, ihre Eltern haben per eMail Kontakt aufgenommen. Der älteste Klient, ein Transmann, war Mitte 60.
Die Gründe, warum Menschen wieder in ihr altes Geschlecht zurück wollen, sind vielfältig, erklärt Fuchs. Manche haben starke Anfeindungen oder großen sozialen Druck in ihrem neuen Geschlecht erlebt - oder die Entscheidung überstürzt getroffen. In der US-Studie aus dem Jahr 2015 waren familiärer Druck, eine (zu) schwierige Transition sowie soziale und berufliche Diskriminierung die am häufigsten genannten Gründe.
Fuchs: "Oft macht die Familie sehr viel Druck. Wenn das Umfeld die Entscheidung nicht akzeptiert, gibt es - vereinfacht gesagt - zwei Möglichkeiten: entweder diese Kontakte kappen und neu durchstarten - oder den Weg zurückgehen."
Eli Kappo sieht seine Detransition nicht als Rückkehr zum Frausein: Auch die geschlechtsangleichenden Eingriffe bereut er nicht. Sein androgynes Aussehen gefällt ihm. "Ich denke, es war kein Fehler, weil ich am Ende beides bin – ein Mann und eine Frau. Die Jahre, in denen ich nur als Mann lebte, waren eine Perspektive, die ich nicht gehabt hätte, wenn ich diese Transition nicht gemacht hätte."
Als Transperson kennt man die Einsamkeit schon vor dem ersten Coming-out. Und wenn man dann endlich seine Gruppe gefunden hat und dann detransitionieren will, ist das hart
Operationen umkehren?
Nach einer Mastektomie ist in manchen Fällen - so die Aussage von Chirurgen - noch ein Brustaufbau möglich, erklärt Fuchs. Andere chirurgische geschlechtsangleichende Maßnahmen sind jedoch irreversibel. "Einem Transmann kann man keine Eierstöcke mehr einpflanzen, nach einer Vaginoplastik ist ein Penoidaufbau kaum möglich. Insofern muss man lernen, damit zu leben." Vereinzelt würden Menschen diese Entscheidungen bereuen, erzählt Fuchs. "Unzufriedenheit beschreibt die Gefühlslage aber meistens besser."
Sie erinnert außerdem: "Ich lerne immer nur die Spitze des Eisberges kennen. Viele Leute, die detransitioniert haben, gehen nicht nochmal in Therapie, weil sie Angst und Scham empfinden." Ob sie eine Detransition als Worst-Case-Szenario beschreiben würde? "Wenn man es rein vom 'Transitioning' her betrachtet, ja. Aber vom Menschlichen her ist es kein Worst-Case-Szenario. Eine Person hat einen neuen Weg für sich gefunden, wie sie ihr Leben gestalten möchte - und ja, vielleicht war das Leben im Geschlecht konträr zum Geburtsgeschlecht nicht das richtige."
Die Datenlage zu Transmenschen in Österreich ist dünn. Laut einem Bericht der Österreichischen Sozialversicherung soll es in Österreich zwischen 400 und 500 geschlechtsinkrongruente Personen geben. Im Jahr 2017 wurden "191 Aufenthalte bei 172 Personen mit der Hauptdiagnose F64 (Transsexualität, Anm.) registriert“. Aus dem Spektrum geschlechtsanpassender Operationen wurden 309 Leistungen durchgeführt, am häufigsten in der Altersklasse 15 bis 29 Jahre und häufiger maskulinisierende (64,1 Prozent) als feminisierende Eingriffe.
Mehr Raum für Zwischentöne
Eli Kappo lebt heute als nicht-binäre Person. "Ich habe versucht, als typische Frau, als typischer Mann zu leben. Es hat am Ende beides nicht gepasst. Irgendwie hab ich meinen Weg dazwischen gefunden." Allgemein wünscht er sich mehr Platz für Zwischentöne - auch innerhalb der Trans-Community: "Ich wünsche mir weniger Wettbewerb, wer denn jetzt wirklich trans ist und wer nicht."
Anfeindungen erlebe der studierte Biologe heute vor allem im Netz. Seine Geschichte erzählt er dennoch: "Als Transperson kennt man die Einsamkeit schon vor dem ersten Coming-out. Und wenn man dann endlich seine Gruppe gefunden hat und dann detransitionieren will, ist das hart. Ich will den Leuten zeigen, dass sie nicht alleine sind. "