Warum die Genderdebatte so emotional verläuft

Warum die Genderdebatte so emotional verläuft
Bundeskanzler Karl Nehammer machte mit seinem geplanten Genderverbot eine alte Debatte wieder aktuell. Ein Überblick über die Fronten:

Soll gegendert werden? Wie soll gegendert werden? Sternchen, Doppelpunkt, Unterstrich, Schrägstrich, Binnen-I und gesprochener Glottisschlag, doppelte Nennung beider Geschlechtsformen generisches Maskulinum, generisches Femininum. Bundeskanzler Karl Nehammer möchte ein Gender-Verbot in der Verwaltung durchsetzen. Damit hat er einer schwelenden Debatte in Österreich neuen Schwung verliehen.

Doch worum geht es?

Die Wogen der Empörung gehen auf allen Seiten hoch, denn sowohl am Esstisch mit der Familie als auch in politischen, medialen sowie akademischen und literarischen Kreisen und Institutionen wird seit Jahren darüber diskutiert. Gleichberechtigungsforderung versus Sprachterror. Feminismus versus Patriarchat. Während manche Menschen nicht verstehen, warum die sprachliche Sichtbarmachung der Frauen im Jahr 2023 noch infrage gestellt wird, wenden andere ein, dass es sich um eine Verkomplizierung und Verschandelung der Sprache handle, die negative Folgen für alle nach sich ziehe.

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156.000 unterschrieben ein Anti-Gender-Volksbegehren

So sieht das auch der Initiator des heimischen Anti-Gendern-Volksbegehrens. Es trug unter anderem den Wortlaut: „Natürliche oder juristische Personen, die nicht gendern, dürfen keine Nachteile erfahren. Nicht zu gendern muss in unterschiedlichsten Bereichen, Hochschulen, Ämtern, Firmen frei von Zwang sein.“ Mit rund 156.000 Unterschriften übersprang es eine wesentliche Hürde: Ab 100.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern muss es als Gesetzesmaterie im Parlament behandelt werden. In erster Lesung im Plenum wurde es emotional diskutiert - wenig überraschend.

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Da wird ein enormer Druck ausgeübt.

von Unternehmer Stefan Grünberger

Anti-Gendervolksbegehren

Der Initiator ist Stefan Grünberger. Er betreibt ein kleines Unternehmen in Wien. „Ich beschäftige mich mit Software und Mikroprozessortechnik. Darüber hinaus fand ich die Gendersituation in Österreich dermaßen prekär, dass ich beschlossen habe, aktiv zu werden“, sagt er bestimmt. Weil das Gendern sprachlich so kontraproduktiv wäre und mehr Schwierigkeiten als Nutzen bringe. „In unseren Hochschulen wird man jetzt schon schlechter gestellt, wenn man nicht gendert. Da wird ein enormer Druck ausgeübt.“

Warum die Genderdebatte so emotional verläuft

Die Literaturwissenschafterin Susanne Hochreiter ist an der Uni Wien für Gleichbehandlungsfragen zuständig. 

Dass Studierende, die nicht gendern, benachteiligt würden, weist sie zurück. Viel mehr sei es so, dass die Generation der 18- bis 25-Jährigen von sich aus „sehr selbstbewusst“ eine gendersensible Sprache einfordere. Immer mehr Junge würden zudem das binäre Geschlechtersystem, also die eindeutige Einordnung in weiblich oder männlich, für sich ablehnen (was sich in der Sprache mit dem Gendersternchen widerspiegelt).

Doch warum emotionalisiert das Thema überhaupt so? „Gendern rüttelt an bestehenden Verhältnissen“, sagt die Germanistin. „Indem ich genderkorrekt spreche, benenne ich die Personen, die involviert sind. Aber ich mache auch sichtbar, wo und wie oft Frauen unterrepräsentiert sind. Es zeigt, dass es immer noch Asymmetrien und Machtverhältnisse gibt, die in der Gesellschaft eine große Rolle spielen.“ Ein Beweis für die Sinnhaftigkeit von inklusiver Sprache sei die Regelung aus den 80er-Jahren, in Stellenausschreibungen beide Geschlechter ansprechen zu müssen, sagt Hochreiter. „Frauen fühlten sich sonst nicht angesprochen. Jetzt haben wir das dritte Geschlecht auch dabei.“

 Sprache lässt sich nicht konservieren. Sie dient dazu, dass wir in einer Gesellschaft gut miteinander kommunizieren können.

von Susanne Hochreiter

Gleichbehandlungsbeauftragte

Die linguistische Forschung dazu ist noch jung, legt aber nahe, dass bei ausführenden Bezeichnungen wie „der Bäcker“ oder „der Politiker“ tatsächlich vorwiegend an Männer gedacht wird. Bei Begriffen wie „Impfgegner“ sei dies nicht so stark der Fall. Im Spanischen, wo es „la luna“ und „el sol“ heißt, wird der Mond laut Untersuchungen eher mit weiblichen Attributen assoziiert und die Sonne eher mit männlichen. Also genau anders als im Deutschen, wo der Mond maskulin und die Sonne feminin ist.

„Absurdes Argument“

Auch Gender-Gegner Grünberger hat mittlerweile verstanden, dass man „das Gendern nicht abschaffen kann, ohne eine Alternative zu liefern“. Sein Vorschlag klingt bekannt: „Wir verwenden einfach das generische Maskulinum für alle Geschlechter.“ Frauen also mitgemeint. Hierzu steht auch schon sein zweites Volksbegehren in den Startlöchern, das kommendes Jahr ins Rennen gehen soll. Auf die Frage, warum das generische Femininum, bei dem Männer mitgemeint sind, keine Lösung wäre, antwortet Grünberger: „Das ist doch noch weiter entfernt von einer sprachlichen Konsistenz und Klarheit der Ausdrucksweise. Die eleganteste Art und Weise ist das generische Maskulinum.“

Eleganz steht für Germanistin Hochreiter nicht im Vordergrund. Debatten gebe es nicht nur beim Gendern, sondern auch – apropos – bei der Verwendung von Anglizismen oder darüber, welches Maß an Höflichkeit, etwa in Mails, noch geboten ist. „Dass man durch Gendern der Sprache etwas antun würde, ist das absurdeste Argument. Sprache lässt sich nicht konservieren. Sie dient dazu, dass wir in einer Gesellschaft gut miteinander kommunizieren können.“ Zumindest in diesem Punkt dürften sich Gender-Befürworter und -Gegnerinnen einig sein.

Die Probleme der Behörden

Im Mai 2022 entschied man sich im österreichischen Parlament, von nun an im Schriftverkehr beim Gendern nur noch den Doppelpunkt zu verwenden. Seither tauchen in den Papieren zum Beispiel nur noch „Politiker:innen“ auf. Der Doppelpunkt sei gendergerecht, schließe alles ein und sei auch barrierefrei, so die Auskunft aus dem Hohen Haus.

Die Parteien müssen sich nicht daran halten, die FPÖ etwa tut es auch nicht. Die Vorgabe gilt für das Parlamentsteam im Haus. Dessen oberster Hüter ist Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), der aber in seinen eigenen Schriftstücken eher auf die Version „Politikerinnen und Politiker“ setzt.

Derzeit hat so ziemlich jede Behörde ihren Gender-Leitfaden

Dieser Leitfaden wird von Bundesland zu Bundesland anders gehandhabt. 

  • Im Bundeskanzleramt zum Beispiel wird auch gezielt auf geschlechtsneutrale Formulierungen gesetzt. So heißt es in einem Text zur sprachlichen Gleichbehandlung: „Umformulierungen zum Beispiel Bedienstete oder Beschäftigte (statt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter), Leitung (statt Leiterin oder Leiter), alle (statt jeder und jede), niemand (statt keiner) sind ebenfalls geschlechterneutrale Formulierungen. Damit können Personenbezeichnungen und komplizierte Formulierungen vermieden werden.“ Im Bundeskanzleramt gilt grundsätzlich die Paarform als Regel. Auf einem achtseitigen Papier sind alle möglichen Formulierungen dafür zusammengefasst. Mit dem Hinweis, dass man sich auf eine Erklärung des Rats für deutsche Rechtschreibung aus dem Jahr 2021 beruft.

Der „Bauer“ soll in Zukunft nur noch „landwirtschaftlicher Beschäftigter“ heißen

von Geplantes Kärntner Gender-Wörterbuch

Ad acta gelegt.

Die Leitfäden der Bundesländer wurden zuletzt heftig diskutiert. 

  • Etwa in Niederösterreich, wo nach der schwarz-blauen Einigung eine Abkehr von den Regeln vermutet wurde. Was nicht der Fall ist, weil der Leitfaden, der auf rund 20 Seiten niedergeschrieben ist, noch immer gilt. Darin wird das Binnen-I ebenfalls als gute Variante forciert. Keine Verwendung findet hier der Doppelpunkt.
  • Für den größten Wirbel hat im Vorjahr ein Leitfaden in Kärnten gesorgt. Unter der Federführung der damaligen Landesrätin Sara Schaar (SPÖ) wurde sogar ein kleines, gendergerechtes Wörterbuch erstellt. Darin fanden sich unter anderem folgende Vorgaben: Der „Bauer“ soll in Zukunft nur noch „landwirtschaftlicher Beschäftigter“ heißen; der „Polizist“ wird zu einer „Polizeikraft“, aus dem „Gast“ wird eine „Besuchsperson“, aus „Mitarbeitergesprächen“ nun „Mitarbeitendengespräche“. 
  • Der Leitfaden schaffte es im Dezember sogar in eine Sitzung der Landesregierung, wurde danach aber von Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) nach heftiger Kritik wieder in eine Schublade verbannt. Dort wurde er auch nach den Landtagswahlen im Frühjahr nicht mehr hervorgeholt.

Gendern: Berücksichtigung des Geschlechteraspekts. Das englische „gender“ bezeichnet – im Gegensatz zu „sex“ – das soziale Geschlecht

Generisches Maskulinum: Männliche Wortformen, die alle Geschlechter mitmeinen: „Ärzte“

Glottisschlag: Kehllaut, der eine Sprechpause erzeugt. Wird etwa durch Doppelpunkt oder Binnen-I markiert: Schüler:innen, SchülerInnen

81 Prozent der Personen in Österreich meinen laut KURIER-OGM-Umfrage, Gendern in der Alltagssprache sei für die Gleichstellung zwischen Mann und Frau nicht zielführend

Gendersternchen: Inklusivste Form, „Leser*innen“ richtet sich auch an nicht binäre oder diverse Personen

Partizipien: „Fahrende“ statt „Fahrer“. Neutral, aber umstritten, weil die Tätigkeit in dem Moment nicht immer ausgeführt wird

Gendern in den Medien

Die Frage, wie und ob gegendert werden soll, beschäftigt Medienhäuser in besonderem Ausmaß. Vor allem der ORF ist immer wieder Angriffsfläche für Gender-Kritiker. Wie vergangene Woche bekannt wurde, soll die geschlechtergerechte Sprache im Öffentlich-Rechtlichen nun neu geregelt werden.

Basis dafür ist eine Integral-Studie, bei der verschiedene Gender-Methoden abgefragt wurden. Der sogenannte Glottisschlag (siehe re.), den etwa die „ZiB“-Moderatoren Armin Wolf und Tarek Leitner verwenden, kam dabei nicht gut weg, auch von Konstrukten wie „Frauschaft“ soll künftig abgesehen werden. Vom Publikum bevorzugt werden neutrale Benennungen – wie eben „das Publikum“ statt „die Zuschauer“ – sowie die Verwendung der männlichen und weiblichen Form. Beim schriftlichen Gendern zeigte sich, dass Sonderzeichen wie Binnen-I, Doppelpunkt, Unterstrich oder Sternchen am wenigsten Fans haben.

Auch in Texten soll die ORF-Belegschaft fortan Doppelnennungen verwenden bzw. das generische Femininum, sofern es sich um eine Personengruppe mit überwiegend Frauen handelt. Keine verpflichtenden Vorgaben gibt es bei den Privatsendern.

Texte, Podcasts und Videos

Wie viele andere nationale und internationale Medien führt auch der KURIER intern die Diskussion, wie eine geschlechtergerechte Sprache am besten Einzug in unsere Texte, Podcasts und Videos finden kann. Die Doppelnennung (Kolleginnen und Kollegen) femininer und maskuliner Formen sowie das Verwenden neutraler Formulierungen (Menschen, Personen) scheint uns am praktikabelsten. Innerhalb dieses Rahmen gibt es keine verpflichtenden Vorgaben. Klar ist aber, dass wir etwa das Binnen-I in der Redaktion zu vermeiden versuchen, auch auf heftigen Wunsch der Leserinnen und Leser. Darüber hinaus wird seit geraumer Zeit in den Redaktionskonferenzen ein großer Wert darauf gelegt, auch genügend Frauen in der Zeitung abzubilden.

Laut einer Marketagent-Umfrage von vor einem Jahr sind jedenfalls 71 Prozent der heimischen Journalistinnen und Journalisten überzeugt, dass sich genderneutrale Sprache in der Medienbranche durchsetzen wird. Deutlich mehr als im Publikum, wie eine Studie des WDR offenbarte: 41 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen das Thema nicht so wichtig sei. Unterschiede zwischen den Geschlechtern gab es kaum, jedoch achten Jüngere deutlich mehr auf gegenderte Sprache als Ältere.

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