„Beide Buben sind seit zwei Monaten bei mir“, erzählt die Helferin. Der Ältere ist der Sohn von einem Paar, das im Gefängnis sitzt; der Jüngere wurde von einer Frau zur Welt gebracht, die ihn wegen ihrer psychischen Probleme freiwillig abgegeben hat.
Beide kamen in einem mitleiderregenden Zustand zu ihr: „Schütter, ohne Glanz ihre Haare, fahl im Gesicht, lethargisch, ohne Mimik, wund im Windelbereich, ihr Strampler nach Zigaretten und Urin riechend.“
Dominik hat sich soeben alleine aufgerichtet, in Kürze wird er die ersten Schritte in seinem bis dato turbulenten Leben tun. Kaum zu glauben, wie schnell und wie gut er sich zuletzt entwickelt hat.
Miriam Köhler freut das: „Schön ist es, wenn sie aufblühen.“ Klar zermürbt es, wenn mitten in der Nacht die Zähne schmerzen und lautstark um Zuneigung gebeten wird. Oder wenn sie die beiden Buben samt Kinderwagen vier Stockwerke hinauf in die Wohnung trägt. Reich wird man als Retterin in der Kindernot auch nicht. „Doch darum geht’s mir nicht“, erklärt diese stille Helferin. „Ich wollte immer mit Kindern arbeiten, nicht im Kindergarten.“
Martin ist bereits ihr Krisenkind Nr. 20. An alle, die sie vor ihm wieder aufpäppeln konnte, erinnert eine bunte Fotogalerie an der Wand. Die Bilanz ist positiv, betont die Helferin, während sie mit Martin um die Wette strahlt: „Ich muss viel von mir geben, aber ich bekomme viel mehr von den Kindern zurück.“
Von ihrer Arbeit hätten im Übrigen auch ihre eigenen beide Kinder, zwei Mädchen im Teenageralter, profitiert: „Unfassbar, wie selbstständig meine Mädels sind – und wie ich mich auf sie verlassen kann.“ Wichtig ist der Krisenpflegemutter daher auch der Hinweis, dass sie diese Arbeit nur dank der Toleranz ihrer Töchter ausüben kann und dass sie kündigen würde, sollten sie sich dagegen wehren.
Nach der täglichen Rush Hour in der Früh verläuft der Vormittag im Hause Köhler etwas ruhiger. Jetzt muss sie gleich zum Einkaufen los, vier Stockwerke runter, dann wieder vier Stockwerke rauf. Anschließend kocht sie für die Mädchen, bevor diese aus der Schule heimkommen.
In wenigen Tagen wird ihr Telefon wieder läuten. Eine Sozialarbeiterin der Stadt Wien wird ankündigen, dass erst für den einen und dann für den anderen Buben eine dauerhafte Lösung gefunden werden konnte. Eine Woche dauert dann der Prozess der Übersiedlung und damit des Abschiednehmens.
Gefühlsmäßig sei Krisenpflege eine Gratwanderung: „Auf der einen Seite muss ich viel Zuneigung geben, auf der anderen Seite muss ich mich lösen können“, sagt Miriam Köhler. Nur wenige Stunden später wird sie das nächste Kind in ihre Arme nehmen.
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