Notstand: Wer heute noch in die Pflege geht
Wie man alte Menschen bei der Körperpflege unterstützt. Wie man sie richtig angreift. Wie man mit ihnen möglichst respektvoll spricht. Wie man ihnen die Zähne putzt. Wie sich das anfühlt, wenn einem ein Mitschüler die Zähne putzt: Das und noch einiges mehr haben sie in den ersten Wochen ihrer Ausbildung zum Sozialbetreuer gelernt.
Händeringend gesucht
Die Schüler Sümeyra Celepci und Macualy Epenisi sind sich einig. Auf die Frage in einer Schulpause, wie sie mit ihrer Ausbildung bis dato zufrieden sind, sagen sie: „Wir bereuen unsere Entscheidung keine Sekunde.“
Celepci und Epenisi zählen zu den 400 Schülern, die in Gallneukirchen bei Linz in einer Einrichtung der Diakonie eine duale Ausbildung erhalten und dabei zu Sozialbetreuern qualifiziert werden.
Menschen wie sie braucht das rasch alternde Land: Sie werden – verstärkt durch die Pandemie – händeringend gesucht, jedoch nicht angemessen honoriert, weshalb ihre Berufskollegen am Mittwoch österreichweit streiken wollen. Zumindest aus der Sicht der Schüler hat der zu Recht beklagte Pflegenotstand auch seine Vorteile: In nur wenigen anderen Branchen finden angehende Profis leichter Arbeit, gibt es noch so etwas wie eine echte Job-Garantie.
Sümeyra Celepci ist mit ihrer dualen Ausbildung sehr zufrieden. Die Woche der erst 17-jährigen Freistädterin teilt sich so: Zwei Tage pendelt sie nach Gallneukirchen, zur Schule für Sozialbetreuungsberufe. Die drei anderen Tage kann sie das hier Gelernte in einem örtlichen Altenheim in der Praxis erproben. Schnell hat Celepci festgestellt: „Ich kann sehr gut mit älteren Menschen.“ Besonders freut sie an diesem Beruf das direkte Feedback der von ihr Betreuten: „Wenn ich helfen kann, bekomme ich ganz viel Positives von ihnen zurück.“
Macualy Epenisi erzählt mit einem Lächeln, dass er bei seiner Berufswahl dem Rat seiner Tante gefolgt ist: „Sie hat in mir einen jungen Menschen gesehen, der sich gerne für andere einsetzt.“ Der 20-jährige Linzer macht sein Praktikum übrigens in einer Einrichtung der Caritas. Das sei für den Ausbildner Diakonie kein Widerspruch, so Epenisi – im Gegenteil.
Sein erstes Praktikum in einem Seniorenwohnhaus ist für ihn eine hochspannende Erfahrung: „Jeder Tag ist dort anders. Fad wird mir nicht. Besonders interessant sind für mich die Geschichten, die mir Menschen erzählen, die bereits viel erlebt haben.“
Das ist Leidenschaft pur: Die beiden Schüler sind froh, dass ihr Unterricht wieder beginnt und sie zurück in ihre Klasse gehen können. Über ihre durch die Bank positiven Erfahrungen freut sich auch die Direktorin der Schule. Dennoch will Susanne Kunze nicht verschweigen: „Leider sind die Rahmenbedingungen für angehendes Pflegepersonal weiterhin schwierig.“
Trotz Pflegenotstand, der Zugang zum Beruf sei alles andere als attraktiv, so Kunze. „Diese Ausbildung muss man sich leisten können.“ Das Land Oberösterreich finanziert den zweijährigen Lehrgang. Das ist bei Weitem nicht in allen Bundesländern so. Doch auch in Oberösterreich müssen die Schüler oder ihre Familien die Kosten für das tägliche Leben selbst tragen. Für ihre Praktika bekommen sie keinen Euro Entschädigung.
Sinnvolle Arbeit gesucht
Ein Blick in den Klassenraum von Sümeyra Celepci und Macualy Epenisi zeigt, dass die meisten ihrer Mitschüler älter als dreißig Jahre sind.
„Zwei Drittel unserer Schüler sind Quereinsteiger“, erläutert Direktorin Kunze. Unter ihnen seien auffallend viele Frauen, die nach ihrer Karenzzeit nicht mehr in ihren früheren Beruf zurück möchten. Öfters hört die Schulleiterin auch den Satz: „Ich suche eine Arbeit, die mir sinnvoll erscheint.“ Ein Bewerber erklärte ihr: „Ich will nicht nur mit nackten Zahlen zu tun haben, ich möchte in meiner Arbeit für andere Menschen da sein.“
Gut hört Sümeyra Celepci während ihres Praktikums zu, wie ihr eine Bewohnerin vom Christkind erzählt. Und Macualy Epenisis Tante hätte eine Freude, könnte sie sehen, wie galant er Kaffee serviert.
So schön kann Pflege sein. Direktorin Kunze sieht – mit Blick auf den Streik – die Politik gefordert: „Es gilt, Stichwort Pflegereform, die finanzielle Abgeltung für die Auszubildenden zu verbessern.“
Was für den Beruf der Pfleger und Pflegerinnen spricht:
+ Ihre Berufsausbildung ist theoretisch fundiert und zugleich praxisnah.
+ Ihre Arbeit mit Hilfsbedürftigen stiftet Sinn.
+ Sie erhalten dafür sofort positives Feedback.
+ Aufgrund des hohen Bedarfs können sie sich zwischen verschiedenen Arbeitgebern entscheiden und diese auch jederzeit wieder wechseln.
+ Ihr Job ist bis auf Weiteres krisensicher.
+ Immer gibt es auch Arbeit in unmittelbarer Wohnortnähe.
Gegen den Beruf in der Pflege spricht:
– Anders als in anderen Mangelberufen geht die Ausbildung ins Geld: Die meisten Schüler müssen das Schulgeld aus dem eigenen Börsel bezahlen.
– Anders als zum Beispiel bei Lehrlingen gibt es keine Entschädigung für die geleistete Arbeit während der Praktika.
– Die Pflegereform lässt weiterhin auf sich warten. Pfleger und Pflegerinnen klagen daher aufgrund der personellen Engpässe in den Einrichtungen über hohe Arbeitsbelastungen. Unregelmäßige Arbeitszeiten und unzählige Überstunden können die Work-Life-Balance sehr durcheinanderbringen. Viele Beschäftigte sind auch mit ersten Anzeichen für bzw. mit Symptomen eines beruflich bedingten Burn-outs konfrontiert.
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