Was bräuchte es, um die Bedingungen für behinderte Menschen zu verbessern?
Wir brauchen Sensibilisierung und Sichtbarkeit. Repräsentation ist ganz wichtig: Wir sehen im Fernsehen, dass behinderte Rollen von nicht behinderten Schauspielern verkörpert werden. Damit wird ein falsches Bild reproduziert. Wir brauchen Gesetze, die uns helfen, Teilhabe umzusetzen. Individuell kann jede Person dazu beitragen, indem sie sich informiert und ihr Umfeld sensibilisiert. Am wichtigsten wäre, sich Stimmen von behinderten Menschen anzuhören und diese lauter zu machen. In den sozialen Medien, in Büchern oder Blogeinträgen. Wenn man hört, dass „behindert“ als Schimpfwort missbraucht wird oder sich jemand über eine behinderte Person lustig macht, sollte man als nicht behinderte Person einschreiten. Denn gesunden, privilegierten Menschen wird ganz sicher eher zugehört.
Sie sprechen selbst von „behinderten Menschen“, viele scheuen vor dieser Bezeichnung zurück. Welche Sprache sollten nicht behinderte Menschen verwenden?
Ich bevorzuge die „Identity first“-Sprache, also „behinderter Mensch“. Um herauszustreichen, dass die Behinderung ein Teil unserer Identität ist. Da gibt es diese Metapher, dass wir unsere Behinderung ja nicht wie einen Rucksack aufhaben, den wir mal eben absetzen können. Dann gibt es noch die „Person first“-Sprache, „Menschen mit Behinderung“, um den „Menschen“ hervorzuheben. Auch diese Bezeichnung finde ich in Ordnung, obwohl es hoffentlich klar ist, dass wir Menschen sind. Was nicht in Ordnung ist, sind Euphemismen: „Menschen mit Beeinträchtigung“, „gehandicapte Menschen“, „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“. Es sei denn, Betroffene wählen das als Selbstbezeichnung.
In Österreich gibt es eine Debatte über die Signalwirkung von Spendengalas wie „Licht ins Dunkel“. Wie stehen Sie zum Thema Wohltätigkeit?
Ich bin keine Freundin davon. Weil ich der Meinung bin, dass es die Zuständigkeit verschiebt; der Staat fühlt sich nicht zuständig, solange es Organisationen immer wieder als ihr Thema verkaufen. Man muss hinter die Kulissen schauen: In Deutschland haben wir die „Aktion Mensch“, da wird man rasch feststellen, wie viele nicht behinderte Menschen in der Organisation sitzen, aber sich herausnehmen, für uns zu sprechen. Letztlich sind die Charity-Organisationen oft dazu da, damit sich nicht behinderte Menschen besser fühlen, weil sie den „armen Behinderten“ geholfen haben. Dabei ist Teilhabe ein Menschenrecht. Wir sollten weder dankbar sein noch darum betteln müssen. Und wir möchten nicht als bemitleidenswerte Menschen dargestellt werden, die dankbar sind, wenn man ihnen einmal im Jahr ein paar Euro spendet.
Wurden behinderte Menschen in der Pandemie vergessen?
Ja, absolut. Das fing an mit dem Impfangebot, das viele von uns gar nicht oder erst spät bekommen haben. Jetzt geht es um die Maßnahmen, die noch eingehalten werden. In Deutschland trägt die Mehrheit keine Maske mehr, Schnelltests werden kaum benutzt. Als Person der Risikogruppe ist man nicht sicher, auch wenn man sich selbst schützt und aufpasst.
Ihr Buch heißt „Behindert und stolz“. Welche Botschaft verbirgt sich dahinter?
Den Begriff „disabled and proud“ gibt es in der Bewegung schon lange. Es geht darum, auch auf diesen Teil seiner Identität stolz zu sein, obwohl dir die ganze Welt signalisiert, dass deine Behinderung etwas ist, das du verstecken solltest. Ich habe selbst lange mit mir gehadert und musste erst verstehen, dass ich mich nicht schämen muss und nicht alleine bin. Heute bin ich stolz darauf, dass ich eine Community gefunden habe und in diesem System Probleme ansprechen kann. In der Hoffnung, dass wir zukünftige Generationen von behinderten Menschen besser aufwachsen sehen.
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