Würden Sie also sagen, digitaler Hass ist eine Vorstufe zu realer Gewalt?
Hass ist Hass. Und ich würde sagen, auch verbale Gewalt ist Gewalt. Da ist die Trennlinie schwierig. Es ist schwer, die ganzen Botschaften, die man online bekommt, psychisch zu verarbeiten. Man liest ja selten: „Gutes Interview“, „Interessanter Punkt“, „Danke für Ihre Arbeit“. Die Kommentare triefen ja oft vor Hass. Irgendwann fragt man sich: „Wie sicher bin ich gerade?“ und überlegt sich Schutzmaßnahmen. Ich habe zum Beispiel eine Meldeauskunftssperre gemacht. Man braucht auch unbedingt ein Netzwerk, das einen stützt. Familie, Freunde und vor allem auch Arbeitskollegen, da der Hass oft in Zusammenhang mit dem beruflichen Engagement steht. Und natürlich braucht man Unterstützung von offiziellen Stellen, damit man das Gefühl hat, man wird nicht allein gelassen.
Was raten Sie jenen, die ins Visier solcher Hasskampagnen geraten?
Lassen Sie sich von dieser Welle nicht überrollen. Wenn Sie die Nachrichten stark belasten, fragen Sie Freunde oder Kollegen um Hilfe z. B. Ihre Mails vorzusortieren, anstatt selbst jede einzelne Reaktion zu lesen. Lassen Sie sich nur ungefähr auf den aktuellen Stand bringen. Ansonsten empfehle ich: „Don't engage“. Man muss sich nicht auf jede Wiese zerren lassen. Dadurch gibt man diesen Menschen eine Bühne und genau das wollen sie erreichen. Trolle wollen ja in erster Linie eine Reaktion provozieren. Daher überlegen Sie, was Ihnen wichtig ist, wo Sie sich engagieren wollen, und wo Sie es bleiben lassen – man muss nicht jedem antworten. Offensichtlich hat man bei einigen etwas ausgelöst, aber es ist besser als man hat nichts bewegt und nichts gesagt.
Und wie soll man sich verhalten, wenn man Zeuge von digitalem Hass wird?
Man muss Betroffenen wirklich zur Seite stehen - auch online. Gerade hier ist es ganz wichtig, dass andere einschreiten und sich zu Wort melden. Irgendwann kann und will man das selbst nicht mehr, und würde auch von der schieren Menge her gar nicht mehr nachkommen. Wenn jemand aber in einem Forum auf ein Hassposting keinerlei Widerworte bekommt, glaubt er, er spricht für die schweigende Mehrheit – das wird ja auch gern so behauptet. Da sollte man dann auch als Außenstehender Zivilcourage zeigen. Das Mindeste, das man einfordern kann, ist ein zivilisierter Umgang miteinander. Beratungsstellen wie Zara können Sie auch rechtlich unterstützen.
Und jenseits der Onlinewelt?
Auch hier braucht man Unterstützung. In einer Phase, in der ich besonders viel negative Post und Kommentare mit Beschimpfungen und Bedrohungen bekommen habe, und mir das zu schaffen gemacht hat, haben meine Schwestern mir liebe Postkarten und SMS geschickt. Es braucht gar nicht viel, es muss einfach ein Gegengewicht zum Hass geschaffen werden. Es hilft zu wissen, dass man nicht allein ist. Man verliert nämlich sehr leicht die Verhältnismäßigkeit aus dem Auge. Die Kommentare, mit denen man konfrontiert wird, sind oft so erschütternd und überdecken total, dass es vielleicht auch positive Rückmeldungen gibt. Man hat den Eindruck, alles kommt nur noch aus dieser einen Ecke. Um das wieder in Relation zu setzen, braucht man sein Umfeld.
Welche Konsequenzen haben Sie selbst gezogen?
Ich bewege mich in sozialen Medien fast gar nicht mehr. Wenn ich online aktiv bin, dann unter einem anderen Namen und thematisch sehr weit weg von politischen oder gesellschaftlichen Themen. Ich will auch nicht, dass jetzt alle aufhören sich zu engagieren. Wir brauchen diese Stimmen. Man muss aber auch die eigenen Ressourcen im Auge behalten und wissen, wann es reicht. Wenn Sie auf ein Posting antworten wollen, dass Sie ärgert, kommentieren Sie, was Ihnen wichtig ist und schauen danach nicht mehr rein - anstatt immer weiter zu antworten. So vermeidet man, sich allzu sehr in dieser Welt zu verlieren. Für eine Studie wurden norwegische Politikerinnen und Politiker nach dem Attentat von Utøya regelmäßig befragt, wie und wie oft sie bedroht werden. Da hat man ganz deutlich gesehen, wie stark die Drohungen in Anzahl und Massivität gestiegen sind. Die Konsequenz: Viele der Befragten haben sich aus der Politik zurückgezogen. Was machen wir aber, wenn Menschen aus der Wissenschaft, Politik, Medienvertreter, alle, die irgendwie Stellung nehmen, bedroht werden und das die erwünschte Wirkung zeigt. Wer bleibt denn dann über?
Die Anfeindungen kommen, besonders seit Pandemiebeginn, aus mehreren Ecken zugleich: Verschwörungstheoretiker, Impfgegner, Rechtsextreme, Sexisten. Welche Auswirkungen hat das?
Es wirkt dadurch in der Menge viel mehr und die einzelnen Gruppierungen sehen sich auch bestätigt. Wie jetzt beim Tod von Frau Dr. Kellermayr, der in manchen Kreisen ja als Erfolg gefeiert wird. Je mehr diese Gruppen merken, es hat keine Konsequenzen, wir können tun was wir wollen, wir verletzen damit unsere Kritiker, bringen sie zum Verstummen - umso mehr werden sie so weitermachen. Da müssen wir uns dann überlegen: Wie wehren wir uns zivilgesellschaftlich? Wie verhindern wir, dass immer weniger Menschen es wagen, ihre Stimme zu erheben - oder nur mehr die Falschen? Dabei müssen wir bei uns selber anfangen. Es sind leider nicht nur Rechstextreme und Querdenker. Wir tendieren grundsätzlich stärker zur gegenseitigen Abwertung und Konkurrenz als zur Solidarität. Genauso wichtig ist es, dass es entsprechende Gesetze gibt, die auch tatsächlich exekutiert werden. Da scheinen die Legislative und Exekutive der Dynamik des Internet noch hinterherzuhinken. Es bleibt zu hoffen, dass der Suizid von Lisa-Maria Kellermayr ein breiteres Bewusstsein für das Problem geschaffen hat und dringlicher überlegt wird, was nun geschehen muss.
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