Pflegenotstand: Hier arbeiten besonders viele Männer in der Pflege
Mit 90 kann das Leben richtig kompliziert werden. Eröffnet die alte Dame, die heute in der Nähe vom Prater in Wien wohnt. Nach ihrem etwas längeren Aufenthalt in einem Krankenhaus kann sie nicht mehr alleine aus dem Bett oder vom Sessel aufstehen.
Drei Mal am Tag kommen daher mobile Pflegekräfte von Malteser Care zu ihr in die Wohnung, um ihr sodann bei der Körperpflege und bei der Zubereitung der Mahlzeiten jene Handgriffe abzunehmen, die sie selbst nicht mehr zusammenbringt.
"Er motiviert mich"
Heute ist wieder einmal Peter Pilat ihr Engel. Und es zeigt sich schnell, dass dieser erfahrene Pflegefachassistent ihr volles Vertrauen genießt. Aus gutem Grund: Pilat ist nicht nur ausreichend kräftig, um ihr beim Aufstehen und beim Gehen zu helfen. Er hat auch eine sehr feine Art, sie in ihrem Alltag zu begleiten.
„Wenn mir der Herr Peter hilft, gewinne ich wieder an Sicherheit“, freut sich die alte Dame nach dem assistierten Aufstehen. „Er motiviert mich. Und er sagt nie, dass er für mich keine Zeit hat. Öfters muss er auch unangenehme Sachen bei mir machen. Aber er erledigt das alles wie selbstverständlich. Ich bin froh, dass er da ist.“
Ein Hahn im Hühnerstall
Peter Pilat ist einer von sieben Männern im 25-köpfigen Malteser-Mobil-Team. Das ist in Österreich einigermaßen rekordverdächtig, weiß auch sein Vorgesetzter Esmir Kavazović. Der kann sich noch erinnern: „Als ich im Jahr 1980 mit der Ausbildung begonnen habe, waren in meiner Klasse achtzig Frauen – und ich. Als einziger Mann.“
Seither habe sich zwar das Verhältnis ein bisschen verändert. Doch die Pflege ist noch immer per se weiblich. Männer sind in diesem Beruf weiterhin die Ausnahme.
Der gelernte Gärtner und Florist Peter Pilat hat durch seinen Freiwilligendienst beim Roten Kreuz das Talent als ein einfühlsamer und verlässlich hilfsbereiter Pfleger entdeckt.
Er erinnert sich noch sehr gut an seine Ausbildung zum Stationsgehilfen im Heeresspital in Stammersdorf und dann an seinen ersten Einsatz („Das war nach dem Lainz-Skandal“) im Jahr 1989 – im Pflegeheim Baumgarten.
Nicht vergessen hat Pilat das Bonmot des Betriebsrats, der damals der Meinung war: „In jeden Hühnerstall gehört ein Hahn.“ Ein wohl hehres Ziel, denn in den allermeisten Abteilungen gab es de facto keinen männlichen Pfleger.
Die alte Dame hat dank der Hilfe des Fachassistenten zuletzt deutliche Fortschritte gemacht. Das freut sie. Das freut ihren Sohn. Das freut natürlich auch den Helfer.
Es hat hier den Anschein, als hätte Herbert Grönemeyer in seiner Männer-Brüll-Hymne Recht behalten. In einer der Liedzeilen heißt es: „Männer geben Geborgenheit.“
Wo Herzblut fließt
Mehr Peter Pilats braucht das Land. Der 55-jährige Weinviertler ist auch die beste Werbung für diesen Beruf. Er bewirbt sein Tun auch aktiv: „Es gibt bei uns ein riesiges Spektrum an Möglichkeiten. Wenn du jung bist und Action haben willst, beginnst du in einer Notambulanz. Da fließt Blut. Später kannst du deine eigene Nische finden, dich fortbilden, dich spezialisieren, womöglich auch in die Forschung gehen.“
Auf sich selbst aufpassen
Ein g’rader Mich’l wie Peter Pilat vergisst allerdings nicht, auch die Herausforderungen in seinem Beruf offen anzusprechen: „Es bedarf einem extrem hohen Grad an Selbstfürsorge. Wenn du nicht auf dich selbst aufpasst, kannst du schnell physisch und vor allem mental ausbrennen.“
Zudem müsste man in der Pflege teamfähig sein und für die Dienste am Wochenende, an Feiertagen und in der Nacht zu haben sein. Dass er in seinem Beruf trotz „der großen Verantwortung, die ich zu tragen habe“, keine Millionen verdienen kann, sollte einem auch klar sein.
Die alte Dame erweist sich im täglichen Tun als eine echte Kämpferin. Sie hat sich noch lange nicht aufgegeben. Schritt für Schritt arbeitet sie sich in ihr Leben zurück. Die Übungen, die ihr Pfleger für sie parat hat, zeigen Wirkung.
Ihr Sohn, der als Arzt viel zu tun hat, bedankt sich für die externe Hilfe. Nichts zu danken. Peter Pilat ist froh, dass „mir so viel Vertrauen entgegengebracht wird“.
Versorgungskrise: Durch die Pandemie wurde der Engpass in der Pflege zuletzt offensichtlicher. Es fehlen überall Fach- und vor allem auch diplomierte Pflegekräfte
Die Gründe dafür: Zum einen kamen und kommen die extrem altersstarken Geburtenjahrgänge in ein Alter, in der sie fremde Pflege dringend benötigen. Zum anderen gehen viele Pflegekräfte in Bälde in Pension. Parallel gibt es viel zu wenig Nachwuchs
100T Tausend Pflegekräfte: Diese Zahl klingt höchst dramatisch, ist sie auch. Denn schon im Jahr 2030 werden – laut einer Prognose vom Roten Kreuz – so viele Beschäftigte schmerzlich vermisst
Hintergrund
Schön langsam dämmert es auch bei jenen, die politische Weichen dafür stellen müssen: Wird die Pflege nicht reformiert, steuert Österreich direkt auf einen eklatanten Pflegenotstand zu. Schon jetzt fehlen in etlichen Bereichen im Gesundheits-, vor allem aber im Pflegebereich personelle Kapazitäten.
Selten, sagen Insider, war das Thema so heiß. So folgt am Ende des zweiten Jahrs der Pandemie ein Krisengipfel auf den nächsten.
Zu Beginn der Corona-Krise wurde den Menschen, die in der Pflege arbeiten, öffentlich applaudiert. Die 24-Stunden-Betreuerinnen aus Osteuropa wurden sogar mit Sonderzügen ins Land geholt. Später hat man die in den Spitälern Tätigen verächtlich gemacht und sogar persönlich angegriffen. Jetzt gibt es wieder runde Tische.
Die Frage, ob Österreich vor einem Pflegenotstand steht, verneint Martina Lackner, Pflege-Expertin beim ÖGB, um hinzufügen: „Wir sind bereits mitten im Pflegepersonal-Notstand.“ Auf Österreichs Pflege kommt laut Lackner eine Pensionierungswelle zu. „Zugleich verlassen Menschen, die den Pflegeberuf ausüben, im Schnitt nach zehn Jahren ihre Branche, weil sie nicht mehr können.“
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