Das schmutzige Geschäft mit der 24-Stunden-Betreuung

Das schmutzige Geschäft mit der 24-Stunden-Betreuung
In Österreich arbeiten 60.000 Personenbetreuerinnen aus Osteuropa. Viele klagen über Knebelverträge ihrer Agenturen.
Von Uwe Mauch

Die „Oma“ lächelt beim Kartenspiel in der Küche. Sie ist eine Gutmütige, eine Ruhige – eine dankbare Aufgabe, das weiß Elena Popa, die seit sechs Jahren für die 87-jährige Niederösterreicherin und ihre Angehörigen arbeitet.

Was Herz und Karo, Treff und Pik sind, weiß die „Oma“. Andere Unterscheidungen lässt ihre Demenz nicht mehr zu. Sie erhält daher 24-Stunden-Betreuung von einer 34 Jahre jüngeren Frau aus Rumänien. Popa wechselt sich im Rhythmus von 30 Tagen mit einer Landsfrau ab.

Das schmutzige Geschäft mit der 24-Stunden-Betreuung

30.000 auf Facebook

Elena Popa betont, dass sie von den Angehörigen der „Oma“ fair bezahlt wird: sie erhält 1800 Euro für zwei Monate – mehr als ihr Mann, der einen guten Job bei der OMV in Rumänien hat. „Dieses Glück haben nicht alle. Ich weiß von vielen Kolleginnen, dass sie für die Hälfte in Österreich arbeiten, weil sie von dubiosen Agenturen abgezockt werden. Bei mir war das am Anfang auch so.“

Wenn die Personenbetreuerin „von vielen“ spricht, meint sie auch viele. Vor vier Jahren hat sie eine Facebook-Gruppe gegründet. Heute sind in ihrem Forum 30.000 Frauen registriert – fast die Hälfte aller Betreuerinnen, die in Österreich einen Gewerbeschein besitzen.

24-h-Betreuung: Es fehlt an Transparenz

Ihre Berufskolleginnen berichten aus erster Hand von kriminellen Zuständen in ihrem Gewerbe: von rumänischen Agenturen, die Ausbildungszertifikate fälschen, von österreichischen Agenturen, die davon seit Langem wissen, von willkürlich festgesetzten Provisionen, Knebelverträgen und unverhohlenen Drohungen, sollten sie sie sich gegen diese zur Wehr setzen. Und von vielen österreichischen Familien, die ebenso Leidtragende sind.

Kurz muss sie jetzt „die Oma“ auf die Toilette begleiten. Als Elena Popa in die Küche zurückkommt, sagt sie mit ruhiger Stimme: „Ich habe immer gedacht, dass es die Mafia nur bei uns in Rumänien gibt, aber ich wurde hier in Österreich eines Besseren belehrt.“ Die Berichte in ihrer Facebook-Gruppe sind längst zu einem Image-Problem jener geworden, die sich in dieser boomenden Branche unseriös bereichern.

Elena Popa erzählt von einer brisanten Situation: „Mein Mann wurde in Rumänien aufgefordert, dass ich sofort die Facebook-Gruppe schließe. Und mir hat ein Salzburger Agenturbetreiber und noch dazu Funktionär der Wirtschaftskammer ins Gesicht gesagt, dass ich es mir ja aussuchen kann, wo ich lieber sterben möchte, in Österreich oder in Rumänien.“

Ihr Mann habe sie schon mehrfach gebeten, nicht ihr Leben zu riskieren. Doch die Interessensvertreterin fühlt sich ihrer Berufsgruppe weiterhin verpflichtet. Sie kritisiert, dass die Personenbetreuerinnen als Selbstständige geführt werden, obwohl sie de facto wie Haus-Angestellte arbeiten, und dass ihre Probleme trotz der aufopfernden Arbeit bisher weder von der Wirtschaftskammer noch von der Gewerkschaft ausreichend ernst genommen wurden.

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Wenn es dunkel wird

„Ich will meine Kolleginnen jetzt nicht im Stich lassen“, erklärt die Frau, die zuvor als Köchin in ihrer Heimat gearbeitet und dort drei Kinder groß gezogen hat. Nur abends, wenn es draußen in dem kleinen Ort im Marchfeld dunkel wird und sie die „Oma“ nach dem Abendessen zu Bett bringt, beschleicht sie ein zunehmend unangenehmes Gefühl: „Ich muss das schon sagen, ich habe in letzter Zeit öfters Angst.“

So leidet ein slowakischer Personenbetreuer bei seiner Arbeit in Wien

„Hallo“, ruft die betagte Frau aus ihrem Wohnzimmer. „Ja, Frau Valerie, ich komme gleich“, gibt ihr Betreuer zurück. Herr Vlado rotiert in der Küche zwischen Herd, Abwasch und Kredenz, hat alle Hände voll zu tun, damit das Gulasch nicht anbrennt und die Kartoffeln nicht verkochen. Was leicht passieren kann, denn der Herd ist fast so alt wie der Zins, und das Kochgeschirr fast so alt wie die Frau Valerie.

„Hallo!“ – „Hallo!“ – „Hallo!“ Die Rufe aus dem Wohnzimmer werden jetzt lauter, eindringlicher, böser. „Ganze Tag macht Bordell“, schimpft Herr Vlado in sich hinein. Er hat Schmerzen im Rücken, auch in der operierten Hüfte, und die Arbeit hier geht ihm psychisch nahe. Mit seinen 62 Jahren ist der Slowake am Ende eines langen Berufslebens, am Ende seiner Kräfte. Um Ungemach zu verhindern, verlässt er Gulasch und Kartoffeln und eilt ins Zimmer nebenan. An dieser Stelle muss festgehalten werden: Die Frau Valerie ist kein böser Mensch. Sie kann auch entzückend sein. Doch sie hat mit ihren 92 Jahren ein stolzes Alter erreicht. Und sie zahlt dafür einen hohen Preis. Die Wienerin ist schon vor Längerem an Alzheimer erkrankt, einer unbarmherzigen Krankheit im Gehirn, die Betroffenen wenig Wahlmöglichkeiten lässt.

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Seit 14 Tagen arbeitet Herr Vlado in einer Tour. Diese intime, intensive, körperlich wie geistig anstrengende Arbeit hat bei ihm Spuren hinterlassen. Sein Kreuz schmerzt höllisch, doch er beißt seit Tagen schon seine Zähne zusammen.

Sehnlich wartet er auf das Eintreffen seiner Kollegin aus der Slowakei, das ihm für heute Nacht angekündigt wurde. Wäre er Österreicher, könnte er in Altersteilzeit oder in Frühpension gehen. Doch er wurde auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs geboren. Auf ihn wartet zu Hause eine monatliche Pension von gerade einmal 235 Euro – diese nicht 14, sondern nur 12 Mal pro Jahr. „Dazu kommt, dass bei uns in der Slowakei die Lebensmittel teurer sind als hier.“

Auszug aus dem Buch von Uwe Mauch, Wolfgang Freitag und Franz Zauner: „Working pur. Reportagen aus der Arbeitswelt“, Verlag des ÖGB, 264 Seiten, 19,90 Euro.

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Konsumentenschützer und Gewerkschafter gegen unseriöse Agenturen

„Bei mehreren Agenturen, die wir uns angesehen haben, ist nicht ersichtlich, wie viel Provision sie sich einbehalten und wie viel Honorar ihre Personenbetreuerinnen erhalten“, berichtet Ulrike Docekal vom Verein für Konsumenteninformation. Sie beruft sich auf einen aktuellen VKI-Test, der im Dezember-Heft des konsument veröffentlicht wird.

Franz Binderlehner von der Gewerkschaftsinitiative vidaflex (für Ein-Personen-Betriebe und Kleinbetriebe) kritisiert wiederum die Knebelverträge und Inkassomethoden ausländischer und auch österreichischer Agenturen: „Laut Gesetz sind die Personenbetreuerinnen selbstständig tätig, doch in Wahrheit sind viele voll abhängig und erpressbar von ihren Vermittlern.“ vidaflex dokumentiert bereits seit einigen Monaten grobe Verfehlungen und will diese in einem offenen Brief an den Bundeskanzler weiterleiten.

Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz und einer Fachtagung mit der Arbeiterkammer und dem VKI wurde den Personenbetreuerinnen künftig mehr Unterstützung zugesagt. Renate Anderl, Präsidentin der AK Wien, fordert „mehr Fairness, Transparenz und Qualität“.

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Katarina Staronová  vom Institut für Personenbetreuung (ipb) begrüßt die Initiative. Die gebürtige Slowakin hat selbst als Betreuerin gearbeitet und vertritt die Interessen ihrer Kolleginnen. Staronová  kritisiert seit Langem die Wirtschaftskammer: „Im konkreten Konfliktfall kann uns diese Standesvertretung keine effektive Hilfe bieten.“

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