Elizabeth Holmes: Wie eine Hochstaplerin die ganze Welt täuschte
Im Jahr 2015 gab es nichts, so schien es, das Elizabeth Holmes aufhalten konnte. Mit 31 Jahren galt sie als jüngste Selfmade-Milliardärin der Welt, landete auf der Time-Liste der 100 einflussreichsten Personen – und wurde vom damaligen Vize-Präsidenten Joe Biden nach einem Besuch in ihrem Biotech-Start-up als „Inspiration“ gepriesen.
Heute weiß man: Für den hohen Besuch wurde ein eigenes Fake-Labor eingerichtet. Holmes Diagnostikunternehmen Theranos, das mit einer revolutionären Technologie für Bluttests warb, entpuppte sich als Bluff. Vergangene Woche wurde sie wegen Betrugs zu elf Jahren Haft verurteilt.
Elizabeth Holmes zog die Massen in den Bann
Dabei hatte die Idee der Stanford-Abbrecherin ursprünglich Begeisterung ausgelöst: Mit einem Blutstropfen aus der Fingerkuppe sollte ein kleines Analysegerät umfangreiche Testresultate bringen. Dutzende Krankheiten bis hin zu Krebs und HIV könnten so entdeckt werden – viel schneller und billiger als in herkömmlichen Labors. Dass Holmes obendrein noch jung, charismatisch und weiblich war, zog die Massen endgültig in ihren Bann. Medien verglichen sie mit Apple-Gründer Steve Jobs; um ihren Idol noch ähnlicher zu sein, begann Holmes mit tieferer Stimme zu sprechen.
Ihr mächtiger Kreis an Unterstützern (u. a. US-Politiker Henry Kissinger) tat ein Übriges. Unter anderem die Drogeriekette Walgreens verkaufte ihre Bluttests. Holmes habe „den Hunger der Öffentlichkeit nach einer weiblichen Unternehmerpersönlichkeit“ in der männerdominierten Tech-Welt gestillt, fasst Journalist John Carreyrou zusammen. Seine Artikel im Wall Street Journal sollten die Star-Gründerin letztlich aber zu Fall bringen.
Die Technologie von Theranos funktionierte nicht
Denn es stellte sich heraus, dass Holmes Technologie gar nicht funktionierte. Die Bluttests wurden nicht mit der eigens entworfenen Maschine „Edison“, sondern heimlich mit der Labortechnik anderer Hersteller durchgeführt. Da dafür größere Mengen Blut notwendig waren, wurden die Proben gestreckt – was zu ungenauen Ergebnissen führte.
Die innovative Idee alleine reicht nicht, wie neben Theranos auch das Beispiel Amabrush zeigt. Das Wiener Start-up entwickelte eine automatische Zahnbürste, die das Gebiss in zehn Sekunden reinigt. Amabrush war medial sehr präsent – in kurzer Zeit wurden rund acht Millionen Euro gesammelt – über Crowdfunding. Tatsächlich erhielten manche das Gerät, die versprochene Putzleistung wurde jedoch nicht erfüllt. Eine große Zahl der Geräte wurde aber erst gar nicht ausgeliefert.
Konsumentenschützer Peter Kolba meldete Zweifel an der Qualität der Zahnbürste an, ein Verfahren bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wurde eingeleitet. 2019 ging das Unternehmen in Konkurs. Das Verfahren wurde 2020 eingestellt. Im Jänner 2022 präsentierte dann ein französisches Unternehmen die Y-Brush, die sehr stark an die Amabrush erinnert. Wann bzw. ob diese auf den Markt kommt, ist allerdings unklar.
„Damals war eine Kollegin in den USA und hat mich darauf angesprochen, warum wir das eigentlich nicht machen. Ich habe mich dann damit beschäftigt und gesehen, dass es gar keine Forschung, keine Validierungsdaten gibt. Das ist sehr komisch, denn wenn man eine bahnbrechende neue Technologie hat, müsste das gut und vielfach publiziert sein“, sagt Labormediziner Gregor Hörmann von der Österreichischen Gesellschaft für Labormedizin.
Es sei zwar möglich, Informationen aus dem Blut der Fingerkuppe zu gewinnen – etwa Blutzucker, den Diabetiker messen. „Man hat im Blutstropfen aus dem Finger jedoch etwas andere Werte als im Blut, das über die Vene abgenommen wird. Vereinfacht gesagt, ist beim Blut aus dem Finger mehr Gewebeflüssigkeit enthalten, sodass es eigene Referenzbereiche braucht, wenn man etwas aus der Fingerkuppe misst“, erklärt Hörmann.
Große Abweichungen bei Blutwerten
Im sogenannten peripheren Blut aus dem Finger kann es zu Abweichungen von zwanzig bis dreißig Prozent im Vergleich zum venösen Blut kommen. Bei manchen Analysen, bei denen ein exakter Messwert keine große Rolle spielt, wo also der Unterschied zwischen gesund und krank sich in sehr großen Wertunterschieden niederschlägt, sei dies machbar. Ein weiteres Beispiel ist etwa die Blutabnahme aus der Ferse bei Babys nach der Geburt – hier wird untersucht, ob Stoffwechselerkrankungen vorliegen. Diese können über peripheres Blut nachgewiesen werden, da es im Fall einer Erkrankung zu einer massiven Abweichung kommt.
Die Behauptung von Theranos, über die Fingerkuppe Viren und Bakterien nachweisen zu können, hält er demnach für wenig nachvollziehbar. Zwar könnten manche Viren im peripheren Blut nachgewiesen werden, etwa HIV. Dazu müsse die DNA des Virus aber vervielfältigt werden, wozu PCR-Geräte benötigt werden. Das von Theranos eigens entwickelte Verfahren war dazu jedenfalls nicht im Stande.
Bei Bakterien sind Blutkulturen Standard, das heißt, es wird versucht, Krankheitserreger durch Kultivierung zu vermehren, um sie nachweisen zu können. Dies dauert bis zu sieben Tage und erfordert größere Blutmengen als jene aus der Fingerkuppe. „Der Nachweis von Bakterien im Blut ist aber nur bei schwerkranken Patienten ein Thema, nämlich bei jenen mit Sepsis. Das ist kein Test, den man für den Verkauf im Supermarkt brauchen kann. Und auch bei der Sepsisdiagnostik im Krankenhaus wird man die maximal mögliche Diagnostik einsetzen und nicht nur auf Blut aus der Fingerkuppe zurückgreifen“, betont Hörmann. Bei weniger schwerwiegenden bakteriellen Infekten wie einem Harnwegsinfekt sind keine Bakterien im Blut.
Keine Kontrolle bei Holmes Diagnostikunternehmen
Es stellt sich also die Frage, wo die Technik – so es sie denn eines Tages tatsächlich gäbe – wirklich eingesetzt werden könnte. „Eine Patientenselbsttestung ohne Arzt ist in nur wenigen Bereichen, etwa wie beim Blutzucker, sinnvoll. Wenn ich mich nicht wohl fühle, hilft es nicht, irgendeinen Bluttest zu machen, sondern es soll sich ein Arzt überlegen, welche Symptome ich habe und welche Erkrankungen sowie Tests dafür in Frage kommen.“ Hinzu komme, dass Theranos sowohl Hersteller als auch Testanbieter war, also keine kontrollierende Stelle dazwischen war und Regulationsbehörden einige Zeit getäuscht werden konnten. Innerhalb des Unternehmens sollen kritische Mitarbeiter zudem unter Druck gesetzt oder gekündigt worden sein.
Holmes wies die Betrugsvorwürfe bis zum Schluss zurück. Sie habe aufrichtig an die Technologie von Theranos geglaubt – und machte ihren Ex-Freund und früheren Geschäftspartner Ramesh „Sunny“ Balwani verantwortlich. Ihre Beziehung verheimlichte sie all die Jahre vor dem Aufsichtsrat. Mit ihrem Ehemann erwartet sie nun das zweite Kind. Die Haft muss sie nicht vor dem 27. April 2023 antreten.
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