Sie schreiben allerdings nicht über den kleinen Psychopathen in uns allen, sondern über echte Psychopathen-Chefs. Wie gefährlich ist der Arbeitsplatz, wenn man so einen Chef hat?
Wir alle haben Erlebnisse, wo wir uns schon mal gefragt haben: Warum ist ausgerechnet der Chef geworden? Das ist wie bei einem Bauer, der Kühe hat, die Milch geben sollen. Wenn der auf die Tiere einprügelt, dann geben sie keine gute Milch. Wenn Sie mit Mitarbeitern nicht pfleglich umgehen, funktioniert Ihr Unternehmen nicht. Solche Chefs können das Unternehmen gegen die Wand fahren.
Bevor wir über den volkswirtschaftlichen Schaden sprechen: Gibt es tatsächlich so viele Psychopathen in den Führungsebenen?
In der gesamten Bevölkerung gibt es zwischen 0,5 und 2 Prozent an Menschen, die tatsächlich den Titel Psychopath verdient haben. Klinisch wird dieser Begriff für Menschen benutzt, die in ihrem Fühlen, in ihrem Denken und in ihrem Handeln weit von der Norm abweichen. In Chefetagen fängt dieser Prozentsatz bei ungefähr 5-6 Prozent an. Und es gibt sogar Studien, die sagen, dass es bis zu 25 Prozent sind, die diesen Titel verdient haben.
Kann man den volkswirtschaftlichen Schaden beziffern?
Das kann man. Der volkswirtschaftliche Schaden insgesamt durch schlechte Führung oder Führungsversagen, und dazu gehören ja auch die Gesundheitskosten, liegt in Deutschland bei etwa 5 bis 10 Milliarden Euro. Und insoweit muss man sagen, das größte Sparpotenzial liegt, glaube ich, darin, in der Wirtschaft an den wichtigen Stellen, wo es um Personalführung geht, bessere Leute auszuwählen. Ist das jemand, der wirklich Verantwortung übernehmen kann? Oder ist es jemand mit starken psychopathischen Zügen, der natürlich auch eher wieder dazu neigt, Leute auszusuchen, die ganz ähnlich sind wie er?
Zum wirtschaftlichen Schaden kommt noch der individuelle Schaden, der ist noch nicht mit eingerechnet.
Ja genau, mir fällt eine Frau ein, die war 15 Jahre sehr erfolgreich in einem Unternehmen. Als ein neuer Chef kam, wurde sie zur Arbeit in den Keller geschickt und musste im Archiv arbeiten. Sie hat das zwei Jahre lang durchgehalten, aber sie hat einen Suizidversuch unternommen und zwei Psychiatrieaufenthalte gehabt. Bis ein neuer Chef kam, der sie wieder nach oben geholt hat. Da ich die Person selbst kenne, habe ich auch immer mit der Frage gehadert, warum lassen Sie sich das gefallen? Aber diese Person konnte sich offensichtlich nicht angemessen zur Wehr setzen.
Psychopathen suchen sich im Alltag die passenden Opfer. Muss man sich selbst hinterfragen, wenn man für so einen Chef arbeitet?
Schrecklicherweise ist da was dran. Deswegen richten wir in unserem Buch immer auch die Frage an den Leser: Was davon kennen Sie aus eigener Erfahrung bei sich? Und insoweit ist es wichtig zu erkennen, ich neige dazu, mir den falschen Chef auszusuchen, damit ich wirklich etwas verändern kann. Man darf deswegen aber nicht die Mitarbeiter verantwortlich machen.
Sie unterscheiden in Ihrem Buch zehn Psychopathen-Typen. Es gibt den Narzissten, den Egomanen, den Depressiven oder den Theatralischen. Gibt es so etwas wie den schlimmsten Psychopathen?
Jeder ist für sich schlimm. Ein depressiver Chef, das ist zwar ein netter und vordergründig einfühlsamer, aber letztendlich sind das Bremser. Das sind Spielverderber. Egomanen sind ganz schrecklich. Das ist ein neuer Typus, der sich in unserer Gesellschaft entwickelt hat. Der denkt nur daran, wie er seine eigenen Taschen möglichst schnell füllt. Narzissten sind auch keine angenehmen Menschen und der Tyrann ist ganz schrecklich. Insoweit fällt mir das sehr schwer, eine Entscheidung zu treffen. Aber, je nachdem, aus welchem Material ich psychisch gebaut bin, komme ich mit dem einen besser und mit dem anderen schlechter klar.
Bei Psychopathen-Persönlichkeiten denkt man zunächst an Donald Trump oder an Wladimir Putin. An wen denken Sie?
Richard Fuld, der ehemalige Chef der US-Bank Lehman Brothers. Der ist schon ein Bilderbuch-Beispiel. Skrupellos, selbstherrlich, verbal aggressiv und verantwortlich für den 600-Milliarden-Dollar-Bankrott, der 2008 eine weltweite Wirtschaftskrise auslöste.
Was könnte man gesellschaftspolitisch tun, um gegen diese Art von Führungspersönlichkeiten vorzugehen?
Denken Sie an die #Metoo Bewegung, ausgelöst durch Schauspielerinnen, die hat etwas in Bewegung gebracht haben. Ich will das nur als Beispiel benutzen, dass wenn in der Gesellschaft ein Bewusstsein da ist, dass etwas schiefläuft, dann ist das schon der erste Schritt in die richtige, bessere Richtung. Oder denken Sie an die Grausamkeiten, die Kinder in Heimen erleiden mussten. Ich glaube, dass das heute nicht mehr so einfach funktioniert, dass es mehr Kontrollmechanismen gibt. Entscheidend ist, dass wir ein Bewusstsein dafür entwickeln. Unser Buch sollte ein Beitrag dazu sein, das Thema ernst zu nehmen.
Es kommen auch immer mehr Frauen in Führungspositionen, langsam, aber doch. Ist Psychopathie männlich oder müssen wir PsychopathInnen sagen?
Vor ein paar Jahren hätte ich noch gesagt Frauen sind viel besser in der Führung. Das würde ich heute so pauschal nicht mehr sagen, weil sich Frauen leider Gottes angleichen. Aber man muss schon sagen: Frauen gehen etwas konstruktiver mit Menschen um. Ich habe ein Lieblingsbeispiel. In einer Untersuchung hat man Mädchen und Jungen in einem Zimmer mit Bauklötzen eine Stadt bauen lassen. Am nächsten Tag kamen sie wieder. Die Mädchen haben die Stadt weiterentwickelt. Die Jungs haben jeden Morgen die Stadt kaputt gemacht und neu gebaut. Im Prinzip hoffe ich, dass Frauen in Führungspositionen einen deutlich besseren Umgang haben.
Wie sieht denn der Chef oder die Chefin von morgen aus?
Es gibt Untersuchungen, die haben 20 elementare Erwartungen von Mitarbeitern an den Chefs erfasst. Und es gibt Schlüssel-Adjektive, die einen guten Chef ausmachen. Zum Beispiel ein respektvoller Umgang. Der Chef muss Zeit haben, er muss mich ernst nehmen. Das sind so ganz, ganz wichtige Dinge. Letztendlich ist es gar nichts Außergewöhnliches, was da gewünscht wird. Und wenn ich es erklären muss, dann denke ich immer Herrgott, so schwierig ist es doch gar nicht. Wenn Sie eine Familie haben, dann haben Sie doch auch ein Gefühl dafür, was der Partner, die Partnerin von Ihnen erwartet. Es muss deshalb nicht immer eitel Freud und Sonnenschein sein. Da kann es Divergenzen geben, da kann es Streit geben und man wird nicht immer befriedigende Kompromisse finden. Aber wichtig ist doch, dass ich überhaupt daran denke, dass man sich einigen kann, damit es vorangeht.
In Ihrem Buch gibt es eine Anleitung, wie man als Angestellter oder Angestellte mit diversen Psychopathen umgehen kann. Gibt es eine allgemeine, kurze Empfehlung für Betroffene, die sich angesprochen fühlen.
Erstens natürlich sollte man in sich gehen und über die Situation nachdenken. Was kommen für Gefühle auf? Warum bin ich an dieser Stelle so verletzbar? Und dann muss man abschätzen: Kann ich mit meinem Chef darüber ins Gespräch kommen? Der zweite Punkt ist. Was kann ich unternehmen, um mit anderen zusammen die Situation für alle erträglicher zu machen? Also wende ich mich etwa an den Chef, über meinem Chef? Oder vernetze ich mich mit anderen Mitarbeitern? Und der dritte ist mutig zu sein und einfach das Unternehmen zu verlassen, bevor ich schweren Schaden erleide.
Wer sollte Ihr Buch unbedingt lesen?
Na ja, ich sage jetzt mal wir haben in Deutschland fünf 45 Millionen lohnabhängig Beschäftigte und sagen wir mal ganz grob 50 % aller Menschen, die hier in Arbeitsverhältnissen sind, hatten schlimme Erlebnisse oder leiden aktuell. Und an die richtet sich in erster Linie das Buch. Aber es gibt auch viele Chefs, die durchaus in einer lukrativen Gehaltsstufe sind, die wiederum unter ihren Chefs leiden. Was ich mir da anhören muss an Klagen über den viel größeren Chef, das ist auch nicht unerheblich. Insoweit weiß ich, dass gerade kleine Chefs, die in der Sandwich-Position sind, einen starken Druck verspüren. Auch sie werden zur Leserschaft gehören. Im Prinzip ist das Buch ein Beitrag, um überhaupt wieder mal das Bewusstsein für den Umgang Vorgesetzte/Mitarbeiter zu schärfen.
Welche Kategorie Chef wären Sie denn, würde der kleine Psychopath in Ihnen größer werden?
Das habe ich mich auch schon gefragt. Also jemand, der mit mir Filme gemacht hat für den MDR und später für RTL, der hat gesagt Du bist eine Rampensau und ich weiß, dass ich, wenn ich öffentlich auftrete, dass ich das genieße. Insoweit habe ich sicherlich narzisstische Züge. Auch ein klein wenig schizoide Züge habe ich, weil manchmal hört man mal ein Jahr nichts von mir und dann melde ich mich plötzlich aus der Versenkung. Ich bin auch schrecklich ungeduldig. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe bestimmt von allen Typen etwas. Vielleicht ist der große Vorteil nur, dass ich das selbstkritisch reflektieren kann.
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