Darüber sprechen
Und das ist gleichzeitig auch eines ihrer Anliegen: Menschen, in deren Leben und Umfeld sich der Tod ankündigt, dazu anzuregen, mehr miteinander darüber zu sprechen. Dabei ist die Psychologin gegen Allgemeinrezepte. Manche wollen sich eben so wenig wie möglich mit dem Tod beschäftigen. Es kann aber eine große Hilfe sein.
„Oft wissen beide, der Sterbende und der Zurückbleibende genau, was los ist und jeder versucht es vor dem anderen zu verbergen. Dabei können diese Gespräche noch ganz intime, tiefe Momente sein. Die sollte man sich nicht unnötig wegnehmen“, findet die Psychologin. Doch wir sind kulturell geprägt, den Tod gedanklich eher von uns wegzuschieben. So sei es Nolde „schon fast unanständig“ vorgekommen, noch in den letzten Lebenstagen ihrer Mutter den Bestatter aufzusuchen. Dabei sei es so wichtig, hier jemanden zu finden, mit dem man harmoniert.
„Das kann man ruhig machen, deswegen stirbt der Opa nicht eher – auch wenn es sich vielleicht so anfühlt“, sagt sie mit einem Lachen.
Löcher im Käse
Obwohl Marianne Nolde den Sterbeprozess ihrer Mutter als friedlich und positiv erlebt hat, ist ihr bewusst, dass nicht jedem dieses Glück beschieden ist. „Bei uns in der Familie ist das jetzt gut gelaufen, dafür anderes nicht so gut. Ich will mit der Erzählung kein neues Ideal schaffen und Standards setzen, die andere im Vergleich unglücklich machen. So wie das ja auch oft bei Erzählungen von Geburten der Fall ist, wo die einen Mütter ihre wunderschönen Erlebnisse teilen, und die anderen traurig sind, weil ihre Erfahrung eine andere war. Ich möchte viel mehr anderen die Angst vor dem Tod ein Stück weit nehmen und zeigen, dass auch ein ruhiges, schönes Ende möglich sein kann.“
Sie bemüht ein Beispiel des Palliativmediziners Gian Domenico Borasio. Er beschreibt einen Schweizer Käse – je reifer dieser ist, desto mehr und größere Löcher kann er vorweisen. Ohne die Löcher wäre er kein richtiger Schweizer Käse. So ähnlich ist das auch im Leben. Es fehlen immer mehr Menschen, Pläne müssen aufgegeben und manch ein Wunsch begraben werden.
Jeder dieser Verluste, jedes entstandene Loch, hat seinen Platz im Leben und gehört zu unserer Identität und menschlichen Reifung dazu. Waren die persönlichen Erfahrungen mit dem Tod schwierig, soll man an dieses Beispiel denken, sagt Nolde. „Geben Sie Ihrer Trauer Raum, auch der Trauer über einen Abschied, den Sie sich vielleicht anders vorgestellt hatten.“ Denn auch das ist eines der Löcher im Leben.
Heilung
Auch jenen, die zu ihren Angehörigen nicht das beste Verhältnis haben, will sie mit ihrem Buch Hoffnung machen. Noldes Beziehung zu Mutter Fine war nicht immer ganz einfach. Doch über die elf Tage am Schluss sagt sie: „Das war nicht meine Mutter, wie ich sie von früher kannte. Das war die beste Version von ihr, die ich je gesehen habe.“ Auch am Ende des Lebens gibt es eben noch viel Potenzial zur Heilung, meint die Psychologin.
„Meine Mutter lebte mir bewusstes Sterben vor, bei dem man noch alles erledigte, wozu man vorher nicht gekommen war, das man aber bereinigt zurücklassen wollte“
Seit dem Tod ihrer Mutter sind mittlerweile drei Jahre vergangen. Drei Jahre, die Nolde als gute Zeit bezeichnet. Das Bewusstsein über die eigene Endlichkeit kann man als Schreckgespenst sehen, oder als Einladung, die Zeit, die einem bleibt, gut zu füllen. Marianne Nolde entschied sich für Letzteres. „Ich schätze das Leben jetzt sehr“, sagt sie.
Mit ihrer Geschichte will sie andere auf diesem, oft schweren Weg unterstützen. Sie will „vermeidbares Elend“, wie sie es nennt, lindern und Mut machen, über Unvermeidbares zu reden. Und sie will zur Erkenntnis beitragen, dass am Ende oft „nichts anderes mehr bleibt als die Liebe. Die Liebe bleibt“.
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