Noch am selben Abend wird Sandra an drei Polizeistationen abgewimmelt. Nur der letzte Polizist erinnert sich – er selbst hat Peter H. vor Jahren wegen Drogendelikts und Körperverletzung ins Gefängnis gebracht. Er nimmt ihre Anzeige wegen Sachbeschädigung auf, für eine gegen Stalking reicht es nicht: „Er hat Ihnen ja nichts getan“, tut er die Vorfälle ab. Sie hätte ihn auf allen Plattformen blockieren müssen. Weil sie manchmal geantwortet hat, habe sie den „armen Kerl herangezüchtet“, wird auch eine Richterin später sagen.
Erst auf Druck von Sandras Mutter wird sie an einen auf Stalking spezialisierten Kriminalpolizisten vermittelt. „Wenn ich den nicht gehabt hätte, wäre bis heute nichts passiert“, ist sie sicher.
Plötzlich geht alles schnell: Zwei Tage später lernt Sandra in der Roßauer Kaserne, wie sie sich im Ernstfall aus einem Würgegriff befreien kann. Sie wechselt die Nummer, trägt ein Alarmgerät bei sich und soll abends nicht alleine das Haus verlassen. Dann meldet sich die Opferschutzorganisation Weißer Ring bei ihr. „Erst als sie mir gesagt haben, ‚Sie sind ein Gewalt- und Stalking-Opfer‘ ist mir bewusst geworden, in was für einer Situation ich bin und dass das gefährlich ist.“ Zu diesem Zeitpunkt wird Sandra seit elf Jahren von ihrem Ex-Partner belästigt.
"Flucht- und Totstellmodus"
„Wer mich heute kennt, würde das nie glauben. Ich stehe mit beiden Beinen im Leben und habe in einer Männerdomäne Karriere gemacht.“ Doch sobald es um ihren Ex-Freund geht, verfalle sie „in einen Flucht- und Totstellmodus“.
Dass Männer nach Trennungen besonders häufig zu Stalkern werden, bestätigt Barbara Ille, Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle. Viele waren bereits im Vorfeld gewalttätig, andere haben keinerlei Gewalt gezeigt. „Sie glauben, wenn sie beharrlich genug sind, können sie erreichen, dass die Frau zurückkommt. Ein Nein akzeptieren sie nicht.“
Auch als Peter H. vor Gericht nach seinen Beweggründen gefragt wird, ist er überzeugt: Sandra liebt ihn noch „und wir werden irgendwann wieder zusammenkommen – nur weiß ich das halt noch nicht“, gibt Sandra seine Aussage wieder. Wie sie wollen viele Frauen das Problem zunächst selbst in den Griff bekommen. Ihnen rät Ille, ihre Situation öffentlich zu machen. „Gewalt hört nie von selbst auf. Es ist wichtig, dem Stalker ein klares Stoppsignal zu senden.“
Betroffene fordern ihn am besten schriftlich, (z. B. per Chat oder eMail) auf, sein Verhalten zu unterlassen. Danach solle man nicht mehr auf die Kontaktaufnahme reagieren. Wichtig ist auch, alles so gut wie möglich zu dokumentieren und, „wenn dieses Verhalten anhält, bei der nächsten Polizeiinspektion Anzeige zu erstatten“, so Ille. Parallel dazu empfiehlt sie, Opferschutzorganisationen zu kontaktieren.
In 25 Jahren bei der Wiener Interventionsstelle hat Barbara Ille oft gesehen, dass Stalking-Opfer die (Mit-)Schuld bei sich suchen. Jedoch: „Die Verantwortung liegt immer beim Täter und nicht beim Opfer – das müssen wir immer wieder sagen.“ Auch die Täter-Opfer-Umkehr durch Institutionen sei nach wie vor ein Problem – „bewusst oder unbewusst“.
Bei Betroffenen führt beharrliche Verfolgung, wie Stalking im österreichischen Strafgesetzbuch heißt, meist zu starken psychischen Belastungen, Schlaflosigkeit, Angst- oder Panikattacken. Viele haben Angst, das Haus zu verlassen oder neue Kontakte zu knüpfen.
In Lokalen saß Sandra etwa viele Jahre nicht mit dem Rücken zum Raum. Noch heute hat sie eine Geheimnummer und ist auf Social Media nie mit Klarnamen unterwegs. Handwerker lässt sie nicht alleine in die Wohnung und sie geht ungern im Dunkeln raus. Seit der Gerichtsverhandlung im Jahr 2016, die mittels Diversion endete, hat sie nichts von ihrem Ex-Freund gehört. Ganz vergessen kann sie ihn nie. „Jetzt ist er ruhig. Aber irgendwann wird er wieder auftauchen.
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