Warum unser Freundeskreis nach dem 25. Lebensjahr schrumpft

Verlaufen Gespräche nur einseitig, sollte man respektvoll Grenzen setzen
Zusammenfassung
- Studien zeigen, dass Freundeskreise ab einem gewissen Alter schrumpfen.
- Neue Freundschaften entstehen oft durch aktive Suche, etwa über Apps oder den Arbeitsplatz, trotz Herausforderungen wie Isolation.
"Zu behaupten, man hätte sich einfach auseinandergelebt, wäre zu simpel, zu passiv", sagt Elma Hadžić über den Verlust von Freundschaften. Sie hat zwei Kinder im Schulalter, arbeitet in Vollzeit als Altenpflegerin in Wien und absolviert eine zweijährige Weiterbildung in Graz.
Ihre Woche besteht aus Pendeln: zwischen Städten, Aufgaben und Rollen. Mutter, Ehefrau, Kollegin, Pflegerin und hintangestellt Freundin. Die Freiheit, spontan Treffen mit Freundinnen auszumachen, gehört aufgrund des durchgetakteten Kalenders und "Mental Load" der Vergangenheit an - ebenso wie die festen Freundschaften, die einst das Versprechen trugen, durch dick und dünn zu gehen.
Einige ihrer Freundinnen waren selbst mit Kindern und Beruf ausgelastet, andere zeigten wenig Verständnis, wenn Hadžić erst nach Tagen auf ihre WhatsApp-Nachrichten antwortete, und von manchen entfernte sie sich schleichend, weil die gemeinsamen Gesprächsthemen fehlten. Aktive soziale Sabotage nennt sie das.
Nach 25 weniger Freunde
"Ich habe es vorgezogen, mit meiner Tochter zu spielen und habe mich leider immer seltener bei meinen Freunden gemeldet. Jetzt sehe ich sie maximal ein Mal im Jahr", so Manfred Baumann, Ingenieur aus Wien. Das Phänomen ist bekannt. Forscher der Aalto-Universität in Helsinki und der Universität Oxford haben anonymisierte Handydaten untersucht, um herauszufinden, mit wie vielen verschiedenen Personen Menschen regelmäßig Kontakt haben.
Das Ergebnis:
Bis zum 25. Lebensjahr erweitern wir unseren Freundeskreis stetig, doch danach schrumpft er. Das Knüpfen neuer Bekanntschaften wird seltener, während die Pflege bestehender Freundschaften oft vernachlässigt wird. Hadžićs Stimme wird eine Spur leiser und brüchiger als sie sagt: "Meine Freundinnen haben mich daran erinnert, wer ich eigentlich war, bevor ich Kinder hatte."
Ausbruch aus der Isolation
Lange trug sie diesen Schmerz mit sich und kämpfte mit Einsamkeit. Sie ist damit nicht alleine. Laut Einsamkeitsbarometer, der vom deutschen Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend herausgegeben wird und für den alle vier Jahre 30.000 Personen befragt werden, gaben bei der letzten Erhebung im Jahr 2021 etwa 12 Prozent der Familien mit Kindern an, von Einsamkeit belastet zu werden.
Daten für Österreich fehlen – eine 2023 von der Caritas in Auftrag gegebene und vom Sozialforschungsinstitut SORA (seit 2024 firmiert das Institut unter dem Namen Foresight Research Hofinger, Anm.) durchgeführte Umfrage zeigt zwar auf, dass sich 600.000 Personen in Österreich einsam fühlen, eine Aufschlüsselung oder demografische Auswertung fehlt.
Daten aus den USA und England sind eindeutiger. Eine 2024 vom Wexner Medical Center der Ohio State University in den USA durchgeführte Umfrage zeigt, dass 66 Prozent der 265 befragten Eltern Isolation, Einsamkeit und Erschöpfung aufgrund der Anforderungen der Elternschaft erleben. Im selben Jahr veröffentlichte die Wohltätigkeitsorganisation Home-Start UK eine Umfrage, die zeigt, dass 18 Prozent der Befragten Eltern Einsamkeit und 82 Prozent Isolation erleben. Manfred Baumann beschreibt es so: "Ich habe das Gefühl, dass es niemanden gibt, der sich dafür interessiert, wie es mir geht." Die genannten Umfragen zeigen, dass es eine große Sehnsucht unter Eltern, vor allem Müttern, nach sozialen Kontakten gibt. Care-Arbeit ist aber sehr zeitintensiv und ermüdend.
Weinen im Umkleideraum
Hadžić kann ein langes Klagelied davon singen. Sie vermisste den Austausch und damit den bitterbenötigten Ausgleich zum stressigen Alltag, doch es fehlte ihr oft die Energie, bestehende Freundschaften wiederaufleben zu lassen und Termine zu koordinieren. Da sie im Pflegebereich tätig ist, wusste sie, wie wichtig Freundschaften für die Gesundheit sind.
Eine intime Freundschaft konnte sie nur im Rahmen des Berufes suchen. Mit Arbeitskollegen kam sie in der Regel kaum über oberflächliche Gespräche hinweg. Mit einer Kollegin, Mehtap F., hatte sie öfter die gleiche Schicht, die beiden redeten vorerst über die Arbeit an sich, Urlaubspläne und Serien. Als Hadžić feststellte, dass sie mit ihrer Kollegin abseits vom Smalltalk auch tiefgründigere Gespräche führen konnte, tauschten sie Nummern aus. Diese aktive Suche nach sozialen Kontakten ist laut Psychotherapeutin Maria-Elena Antensteiner gesund für die eigene Psyche. "Gemocht oder gebraucht zu werden, sich anvertrauen oder zeigen zu können, wie man ist, geben ein gutes Gefühl und haben positiven Einfluss auf unseren Selbstwert", sagt Antensteiner. Häufig würden enge Freundschaften als oberflächliche Bekanntschaften beginnen, so Antensteiner. "Freundschaften entwickeln sich mit der Zeit. Vertrauen, Verlässlichkeit, Loyalität und Ehrlichkeit sind die Grundlage dafür", erklärt die Psychotherapeutin.
Vertrauensbasis aufgebaut
Hadžić und Mehtap investierten Zeit in ihre Freundschaft. Sie telefonierten regelmäßig und verabredeten sich anschließend außerhalb der Arbeit. Auch da verliefen die Gespräche harmonisch und zwanglos. "Wir haben die gleichen Interessen und Hobbys und kämpfen mit ähnlichen Herausforderungen, die das Leben mit Kindern so mit sich bringt", erzählt Hadžić.
Nach mehreren Verabredungen, gemeinsamen Kaffeepausen und einer Shoppingtour bauten die beiden Frauen eine Vertrauensbasis auf, die es ihnen ermöglichte, auch über ihre privaten Probleme zu sprechen. "Geht es einer von uns beiden nicht gut, legen wir eine kurze Pause ein, wo wir uns im Umkleideraum bei der anderen ausplaudern und wenn nötig ausweinen", sagt Hadžić. Das könne man im Job nicht mit jedem teilen.
"Wie Online-Dating, nur ohne Sex"
Doch Einsamkeit ist nicht nur ein Problem von Eltern mit kleinen Kindern, sondern auch die Realität von vielen Menschen nach der Corona-Pandemie geworden. Besonders betroffen davon sind auch Menschen, die in andere Städte oder Länder umziehen. Maike Karr, die als Content-Marketing-Managerin arbeitet, stellte nach ihrem Umzug aus Deutschland nach Wien – und das mitten in der Pandemie – fest, dass ihr das soziale Netzwerk fehlt. "Ich kannte hier nur zwei Leute. Während des Lockdowns habe ich ausschließlich online gearbeitet, es gab keine Sportkurse, keine gemeinsamen Hobbys, denen man nachgehen, und auch keine Partys, auf denen man neue Leute kennenlernen konnte", erzählt Karr.
Erdrückt vom allein sein, sucht sie nach Möglichkeiten, neue Kontakte zu knüpfen. Schließlich entdeckte sie bei der Dating-App Bumble eine zusätzliche Funktion namens "BFF" – Best Friends Forever. "Es ist wie Partnersuche, nur ohne Sex. Manche Leute findet man schon beim Schreiben sympathisch, aber das erste Treffen ist oft etwas seltsam, weil man nicht weiß, ob man die Person im echten Leben genauso mag", erklärt Karr. Verläuft die erste Verabredung positiv, kommt es zu weiteren. Besonders leicht fällt das, wenn man etwa denselben Sport betreibt oder ähnliche Interessen teilt. Ist das nicht der Fall, muss das nächste Treffen genauer geplant werden.
Nicht nur Bumble bietet die Möglichkeit, neue Freunde kennenzulernen, auch über die App Jodel oder Xperience kann man zum Beispiel neue Leute kennenlernen.
Typische Begegnung im realen Leben fehlt
Lernt Maike Karr jemanden über Bumble kennen, ist es ihr wichtig, sich öfter mit der Person zu treffen, um ein Gefühl für sie zu entwickeln. Ihre Faustregel lautet: Wenn man nach fünf Treffen keine Verbindung aufgebaut hat, sollte man sich nicht weiter verabreden. "Es wird immer Menschen geben, die uns so mögen, wie wir sind, und andere, die uns nicht mögen. Das ist völlig in Ordnung und hat nichts mit uns persönlich zu tun", erklärt Maria-Elena Antensteiner.
Maike Karr hat auf diesem Weg viele Freundschaften geknüpft. Zu etwa jeder vierten Person, die sie getroffen hat, entwickelte sie eine enge Verbindung. Lernt man sich über eine App kennen, fehlt zwar die typische Situation, dass man sich beispielsweise beim Studium begegnet und auf Anhieb sympathisch findet. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich die Freundschaft später weniger natürlich anfühlt. "Für schüchterne Menschen mag diese Art des Kennenlernens ungewohnt sein, aber wenn am Ende eine Freundschaft entsteht, ist es etwas Schönes", erklärt Karr.
Neben verschiedenen Apps, die darauf ausgerichtet sind, Menschen zusammenzubringen, gibt es auch soziale Orte wie Vereine, wo man Leuten mit gleichen Interessen begegnen kann. "Jedenfalls muss man selbst aktiv werden", so Maria-Elena Antensteiner. Manfred Baumann geht öfter zum Schachclub, wo er nicht nur seine Skills schärft, sondern auch Freundschaften festigt. "Ich habe das gebraucht", sagt er. Das sieht auch Elma Hadžić so, die trotz der schwierigen Alltagssituation mit Kindern, Haushalt und Job, den Arbeitsplatz als Möglichkeit gesehen hat, um eine neue Freundin zu finden. "Es geht mir viel besser, seit ich Mehtap als Freundin habe."
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