Einsamkeit muss enttabuisiert werden - analog oder digital

Einsamkeit muss enttabuisiert werden - analog oder digital
Plädoyer für einen Hype des Anteilnehmens am Gegenüber. Ein Gastkommentar von Constanze Dennig.

Einsamkeit darf man nicht mit Alleinsein gleichsetzen. Bei Einsamkeit fühlen sich die Gedanken wie ein unerträglicher, nicht abzustellender Lärm im Kopf an, während „Alleinsein“ eine beruhigende Stille, frei von Gedankenlärm, bedeutet. Die Menschen fühlen sich einsam, im Stich gelassen, abgeschnitten von einem sozialen Umfeld, das entweder nur als digitale Blase – wie bei den Generationen Y, Z, Alpha –, als Arbeitsumfeld der Generation X oder als die Verwaltung von Pflegebedürftigkeit bei den Babyboomern wahrgenommen wird.

Schon die Bezeichnung einer Generation als XYZ etc. sagt etwas über unseren gesellschaftlichen Zugang zu immerhin „Menschen“ aus, die, um sie statistisch zu erfassen, einer Abgrenzung und Katalogisierung bedürfen. Doch die Bedürfnisse jedes Menschen sind die gleichen. Wir wollen wahrgenommen, anerkannt, geachtet und geliebt werden.

Einsamkeit muss enttabuisiert werden - analog oder digital

Constanze Dennig

Während junge Leute glauben, diese Bedürfnisse im Netz befriedigen zu können, wartet der alte Mensch darauf, dass ihm die Gesellschaft aufgrund seiner vergangenen Verdienste Zuwendung schenkt.

Jeder einsame Mensch – sei er im digitalen Netz gefangen oder sei er isoliert, weil ihm seine Familie und Freunde weggestorben sind – ist depressiv. Ob die Depression die Ursache der Einsamkeit oder die Einsamkeit die Ursache der Depression ist, ist für diese Tatsache belanglos. Die Zugänge zur Erleichterung dieses Zustandes sind allerdings unterschiedlich.

Während für die Jungen eine Karenz von den sozialen Medien unumgänglich ist, wäre für die Alten gerade die Kommunikation mittels dieser Medien günstig. Alle äußerlichen Maßnahmen zur Bekämpfung von Einsamkeit werden allerdings nicht erfolgreich sein, wenn nicht eine Depression und Angsterkrankung behandelt wird. Denn um erfüllenden Kontakt mit anderen Menschen aufnehmen zu können, bedarf es auch angstbefreiter Kommunikation des Betroffenen. Die ist aber bei einem depressiven Menschen nicht möglich, weshalb er sich schon aus Angst, nicht akzeptiert zu werden, zurückzieht.

Damit sich einsame Menschen „outen“ können, muss der Zustand der Einsamkeit enttabuisiert werden. Man fragt sein Gegenüber zwar nach dem Befinden mit der Floskel: „Wie geht’s dir?“, aber niemand stellt die ehrlich gemeinte Frage: „Bist du einsam?“.

Gerade diese Frage ist aber der Schlüssel, um in Kontakt treten zu können. Wie können wir es anstellen, dass wir die viel gepriesene „Achtsamkeit“ nicht nur auf unser Ego konzentrieren, sondern auch unserem Gegenüber zukommen lassen? Wollen und können wir analog und vor allem digital einen Hype des Anteilnehmens auslösen? Die Ansätze sind da, wie man an den vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern sieht, aber es fehlt noch das gesellschaftliche Prestige, um die Fähigkeit zur Anteilnahme zu einem hippen Trend hochzukatapultieren.

Constanze Dennig ist Nervenfachärztin in Graz und Wien, Autorin, Regisseurin, Theatermacherin und Leiterin des Theaters am Lend

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