Fantastisches Grausen: Wie Spider-Man bei Spinnenphobie hilft
Feine Härchen bedecken die filigranen Beine; mal bewegen sie sich vorsichtig tastend voran, mal kräuseln sie sich blitzschnell: Wenn jemanden der bloße Gedanke an Spinnen schaudern lässt, lautet die Diagnose Spinnenphobie. Während die Vorstellung der achtbeinigen Gliederfüßer für Betroffene mehr oder weniger erträglich ist, löst der tatsächliche Anblick Herzrasen, Schweißausbrüche, Atemnot – kurz Panik – aus.
Acht Beine, echte Panik
Um diese Symptome zu lindern, gehen israelische Forscher einen unkonventionellen Weg. Ein Team rund um den Psychologen Menachem Ben-Ezra von der Universität Ariel setzte Spinnenphobiker vor Bildschirme und zeigte ihnen die Comicverfilmung "Spider-Man 2". Verblüffend: Ihre Angstsymptome wurden schwächer. Eine siebensekündige Spinnenszene reichte aus, um die Angstreaktion der Probanden um 20 Prozent zu verringern. In der mehrfach verfilmten Comicreihe "Spider-Man" ist Peter Parker die Hauptfigur. Nach dem Biss einer radioaktiv verseuchten Spinne in seiner Kindheit entwickelt er Superkräfte – und setzt diese gegen das Böse ein.
Ähnliches zeigte sich beim Film "Ant-Man". Hier dreht sich die Handlung um einen Superhelden, der seine Körpergröße durch einen eigens entwickelten Anzug variieren und mit Ameisen sprechen kann. Studienteilnehmer mit Mythophobie – für alle, die es genau wissen wollen: das ist der Fachbegriff für die Furcht vor Ameisen – hatten ebenfalls weniger Angst.
Die Erkenntnisse haben Potenzial: "Interessant sind die Ergebnisse allemal, aber nicht wirklich neu", sagt Johannes Lanzinger, Klinischer - und Gesundheitspsychologe und auf Angststörungen spezialisiert. "Wenn jemand Angst vor bestimmen Dingen hat, mit dem entsprechenden Reiz konfrontiert wird und nichts Schlimmes passiert, ist es plausibel, dass sich seine Angst verringert."
Konfrontation wirkt
Die Konfrontationstherapie, wie diese Methode genannt wird, ist in der Behandlung von Phobien seit Jahrzehnten anerkannt. "Es gibt in der Psychotherapie keine besser belegte Methode, als die Paarung von Exposition und Phobie. In rund 85 Prozent der Fälle geht es den Klienten besser", sagt Lanzinger, der auch das Phobie Zentrum Wien leitet. In den vor zwei Jahren gegründeten Einrichtung behandelt der Psychologe Angststörungen mittels Virtueller Realität (VR). Heißt: Es wird eine interaktive Wirklichkeit per Computer geschaffen, die als real wahrgenommen wird.
Ursprünglich wurden bei der Konfrontationstherapie lebendige Spinnen verwendet. "Das wird immer noch gemacht, viele Therapeuten haben aber keinen Zugang zu den Tieren. Bei der Virtuellen Realität fällt das weg. Bei uns fassen Klienten keine Spinnen an." Bei einer üblichen Behandlung werden erst Bilder und dann Videos des betreffenden Tieres vorgelegt. Dann folgt das virtuelle Erlebnis: Mit VR-Brillen wird ein 3D-Gefühl erzeugt: "Man hat den Eindruck, wirklich mit dem Tier in einem Raum zu sein."
Verkannter Leidensdruck
Oft stoßen Tierphobiker auf Unverständnis, immerhin wird ihre Furcht nicht von echter Bedrohung ausgelöst. "Viele können die Gefühle nicht nachempfinden. Man muss aber verstehen, dass das Problem die Angst selbst ist. Wenn sich jemand fürchtet, fühlt sich das für denjenigen immer schlimm an."
Ben-Ezra ist überzeugt, dass seine Ergebnisse wegweisend sind. Fantasyfilmszenen könnten dort zum Einsatz kommen, wo Behandlungen mit Echttieren nicht möglich und virtuelle Behandlungsmethoden nicht verfügbar oder für Betroffene nicht leistbar sind. Auch als begleitende Therapiemaßnahme kann sich der Experte den Einsatz von Filmen vorstellen. Dies würde die Behandlung von Phobien nicht zuletzt auch entstigmatisieren.
Ben-Ezras Erkenntnisse sind nicht bahnbrechend, wie Lanzinger meint. Daran, dass der Effekt nachhaltig ist, glaubt er nicht. "Es ist zwar erstaunlich, dass sieben Sekunden zu einer Symptomreduktion geführt haben. Um Betroffenen langfristig zu helfen, bedarf es aber längerer und mehrfacher Behandlungen. Sonst wird die Phobie nicht vollständig aufgelöst."
Woher die Furcht vor Spinnen kommt
Die Spinnenphobie, auch Arachnophobie genannt, ist nicht selten: Schätzungen zufolge leiden zwischen zwei und sechs Prozent der Bevölkerung daran. Zu unterscheiden gilt diese von der normalen Angst vor Spinnen, die angeboren ist. Phobische Angst vor Spinnen führt bei einer Konfrontation zur massiven Angstreaktion.
Neben Spinnen zählen Schlangen zu den häufigsten Tieren, die bei Menschen derartige Symptome auslösen. Das ist aus evolutionsbiologischer Sicht sinnvoll: Spinnen und Schlangen sind zwar klein, doch potenziell hochgiftig. Während die Angst vor großen Tieren natürlich ist, hat sich bei diesen Arten eine spezifische Angst entwickelt.
Kommentare