KURIER: Abgesehen vom Zucker: Was macht süße Brote so besonders?
Lutz Geißler: Besonders wird diese Art von Brot durch die größere Vielfalt an Zutatenkombinationen. Ich habe ja neben Mehl, Wasser und Salz zusätzlich noch Fett, Milchprodukte, Ei und Zucker zur Auswahl. Das vergrößert den Kosmos der Möglichkeiten enorm. Die Kultur des süßen Brotes, wie wir es heute kennen, ist sehr europäisch geprägt und wurde in den letzten Jahrhunderten in alle Welt exportiert.
Butter, Ei, Zucker, Vanille, Nüsse oder Trockenfrüchte waren Festtagen vorbehalten, weil sie so selten und teuer waren. Das hat dem süßen Brotbacken einen gewissen Ritus gegeben: Was rar ist, wird besonders. Und zu besonderen Anlässen gibt man sich auch mehr Mühe. Deshalb sind viele süße Brote auch besonders reich verziert, dekoriert oder sehr speziell geformt.
Mit regionalen Unterschieden, wie Sie in Ihrem Buch schreiben.
Aus lokalpatriotischer Sicht sind nur die sächsischen und sachsen-anhaltinischen Stollen „echte“, weil dort im Jahre 1329 der Ursprung liegt und die Evolution vom Fasten- zum Festtagsgebäck stattfand. Sie sind butter-, mandel- und rosinenreicher als andere Stollen. Diese Stollen werden auch nicht in einer Form gebacken, sondern freigeschoben als eingeschnittener, länglicher Laib. Und es gibt lokale Unterschiede, etwa in der Art des Butterns und Zuckerns. Im Erzgebirge wird der Stollen mit einer dicken Wechselschicht aus Puderzucker und flüssiger Butter im Einschnitt veredelt, in Dresden nur mit einer dünnen Puderzuckerschicht.
Um bei Weihnachten zu bleiben: Der italienische Panettone ist in den vergangenen Jahren populär geworden. Gekauft allerdings nur, da trauen sich wenige drüber.
Ja, Panettone ist die Königsdisziplin beim Umgang mit Sauerteig. Dafür sollte man seinen Weizensauerteig schon gut im Griff haben, mehrmals in der Woche auffrischen („füttern“) und Erfahrung mit weichen Teigen haben. Die Herstellung ist nicht trivial, aber wenn sie gelingt, ist einem die Anerkennung seiner Bekannten und Familienangehörigen sicher, weil der Panettone immer besser schmecken wird als Hefegebäcke aus dem Supermarkt, die als Panettone verkauft werden.
Früchtebrot ist dafür uralt, aber wenig beliebt. Warum eigentlich?
Ich würde behaupten, dass viele Menschen bislang einfach nur schlechte Früchtebrote gegessen haben. Wir haben den Kunden unserer Bäckerei einmal die Früchtebrote zum Verkosten gegeben, die ich für das Buch „Süße Brote“ testgebacken hatte. Fast alle haben uns danach im Laden gefragt, ob wir sie ins Sortiment aufnehmen – und das in Hamburg, wo Früchtebrot nun wirklich nicht zur Weihnachtskultur gehört. Der Trick ist, die Früchte ausreichend lang einweichen zu lassen und einen vernünftigen, mit Zeit beschenkten Teig zu verwenden, der in einem ausgewogenen Verhältnis zur Frucht steht.
Sind Ihnen bei der Recherche gravierende Unterschiede aufgefallen?
Man darf sich nicht vom äußeren Erscheinungsbild der Brote täuschen lassen. Wenn ich im Bildverzeichnis des Buches vier ringförmige Brote sehe oder viele Zöpfe, dann heißt das nicht, dass sie identisch schmecken. Im Gegenteil. Ich kann auch ein Buch nur mit Zopfrezepten füllen und alle schmecken für sich harmonisch, aber immer anders als die anderen. Allein die Menge an Ei und Fett verändert so viel am Geschmack und am Mundgefühl, dass jedes Brot im Buch einen eigenständigen Charakter hat, auch wenn es äußerlich einem anderen gleicht.
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