Die Firma hat derzeit vier Produktions- und vier weitere Verkaufsstätten in Wien und Ansfelden: Im Interview kündigt Gragger seinen kompletten Rückzug aus Oberösterreich an.
KURIER: Gestern wurde Ihre Insolvenz bekannt. Wie geht es Ihnen heute?
Helmut Gragger: Nicht gut, eh klar. Das geht nicht spurlos an einem vorbei. Es geht mir schon länger nicht gut.
Wann hat sich die Krise abgezeichnet?
In unserer Produktion in Ansfelden haben bis Sommer drei Bäcker gearbeitet: Einen musste ich kündigen, der hat im August aufgehört, daraufhin haben die anderen zwei gekündigt. Es hat sich niemand auf die freien Posten beworben: Ich musste die Arbeit für drei Bäcker machen – geholfen hat mir ein 78-jähriger Pensionist, jener Mitarbeiter, der bei uns am längsten arbeitet.
Ich habe dadurch die Standorte in Wien vernachlässigt: Die Lage hat sich immer mehr zugespitzt und es ging einfach nicht mehr so weiter.
Wie haben Sie Ihre Mitarbeiter von einem möglichen Job-Verlust informiert?
Am 1. Dezember habe ich die Mitarbeiter informiert: Die Reaktionen waren unterschiedlich – von geschockt bis Wut und Krankenstand.
Aus der Mitteilung der Kreditschutzverbände KSV1870, AKV und Creditreform geben Sie als Gründe für die Insolvenz Umsatzausfälle in und nach der Corona-Krise sowie gestiegene Energiekosten an.
Wir waren vor der Corona-Krise ein gesunder Betrieb mit fast keinen Schulden. Ich habe mit der Krise eine falsche Entscheidung getroffen: Wir haben gesagt, wir halten die Mitarbeiter. Wir haben keine Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt und keine Mitarbeiter gekündigt. Damit wir niemanden kündigen müssen, haben wir auf Pop-up-Stores gesetzt. Wir hatten durch diese Entscheidung "nur" einen Umsatzverlust von 25 Prozent – für Förderungen hätten wir aber einen Umsatzverlust von 30 Prozent gebraucht. Eine falsche Entscheidung.
Handwerksbetriebe haben extrem hohe Personalkosten – wir lagen zwischen 45 und 50 Prozent und liegen jetzt bei 60 Prozent.
Warum?
Wir hatten in den vergangenen zwei Jahren unglaublich viele Krankenstände und eine hohe Fluktuation und konnten das nicht kompensieren. Deswegen haben wir auch geschwächelt und sicher Dinge nicht so gut gemacht, wie es gehört. Ich war nur am Löcher stopfen, weil wir so untypisch sind als Bäckerei – wir backen als Bäckerei selber an den meisten Standorten.
Andere hatten Kurzarbeit oder haben gekündigt: Aber ein Handwerksbetrieb wie wir lebt von den Leuten und wir waren immer ein Werte-Betrieb. Uns waren Werte immer mehr wert als zu optimieren. Kündigen ist nicht einfach – und ich habe gedacht, die Krise hört auf. Ich hätte nicht gedacht, dass wir so lange in diesem Ausmaß die Pandemie spüren werden.
Die Reisen haben heuer wieder begonnen, die Touristen sind zurück in der Stadt, auch Homeoffice ist weniger geworden. Warum hat sich Ihr Umsatz zum Beispiel am Standort bei der Albertina nicht erholt?
Der Standort in der Spiegelgasse lebte von Büroangestellten, die aber noch immer viel im Homeoffice sind. Und den Wegfall der Touristen haben wir nie kompensiert. Du brauchst in einer Bäckerei 400 bis 450 Kunden am Tag, die sind in der Spiegelgasse nicht zurückgekommen. Aber es war sicher eine Summe aus mehreren Faktoren.
Wieso haben Sie sich nicht kaufmännische Hilfe gesucht?
Wir hatten seit zwei Jahren eine Unternehmensberaterin, aber es geht nicht um Schuld.
Können Sie Beispiele nennen, wie sich die Energiekosten konkret auf Ihre Produktion auswirken?
Bei uns haben sich die Stromkosten verdreifacht. Ein Handwerksbetrieb ist ein sensibler Betrieb: Wenn man schon Personalkosten von 60 Prozent hat und dann Energiekosten von 8 bis 10 Prozent, aber die Umsätze heuer noch immer nicht sind wie 2019, das Jahr vor der Krise, gerät alles aus den Fugen und man stopft nur noch Löcher und springt ein.
Sie haben 2010 in Wien eröffnet: Sie waren der erste Boutique-Bäcker, der offen über Qualitätsverluste in Ihrer Branche gesprochen hat, und auf Handwerk aus dem Holzofen gesetzt hat. Seitdem kamen mit Georg Öfferl und Joseph Brot weitere prominente Spieler auf den Markt. Man hatte eigentlich den Eindruck, dass es in Wien genug Interesse an hochwertigem Brot gibt.
Das glaube ich noch immer. Aber wir sind natürlich nicht alleine, wir haben uns auch nie so gut verkauft wie Öfferl und Joseph Brot, haben nicht in diesem Ausmaß auf modernes Design gesetzt. Das Marketing hat uns sicher gefehlt.
Wie geht es jetzt weiter? Wie schaut derzeit Ihr Tag aus?
Ich arbeite seit August jeden Tag 16 Stunden, seitdem ich keine Mitarbeiter für Ansfelden gefunden habe. Das muss ich in nächster Zeit noch weiter machen. Es ist ein "Vollschas", aber ich gebe nicht auf. Vielleicht ist die Insolvenz eine Chance, dass wir uns auf die Kernkompetenz konzentrieren und reduzieren. Wir müssen kleiner werden und noch mehr in die Tiefe gehen, denn die Zeiten werden nicht leichter.
Heißt das, dass Sie Standorte schließen werden?
Ja, wir werden nur noch auf dem Vorgartenmarkt, in der Spiegelgasse und der Wiedner Hauptstraße vertreten sein.
Sie ziehen sich aus Oberösterreich zurück?
Ja, wir werden Oberösterreich komplett schließen. Wir haben in Ansfelden die Produktion, diese wird auch geschlossen. Ich mache nur mehr in Wien weiter.
Sie haben zahlreiche Bäckereien in Afrika und am Balkan aufgebaut. Wie geht es dort weiter?
Wir haben uns in Österreich immer für Lernschwache eingesetzt und angestellt. Fast alle Projekte sind abgeschlossen – Albanien ist noch offen. Die Bäckereien in Afrika sind eigene Firmen vor Ort und von der Insolvenz nicht betroffen. Die psychische Belastung für meine Familie und Mitarbeiter ist enorm. Man darf nicht scheitern. Ich war immer ein korrekter Mensch – ich habe mich nie bereichert: Jetzt brauche ich Hilfe, damit ich weitermachen kann.
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