Erziehung: Konsequenzen ja, Strafen nein

Presse-Journalist Wolfgang Greber schrieb in der Presse am Sonntag: "Mit guten Worten und etwas Gewalt erreicht man stets mehr als nur mit guten Worten."
Nach Shitstorm gegen "Die Presse"-Redakteur: Nicht nur Psychologen sind entsetzt.

Seit 25 Jahren ist es in Österreich per Gesetz verboten, Kindern Gewalt zuzufügen. Und jetzt das: Der Journalist Wolfgang Greber schreibt in der Presse am Sonntag, wie er seinen Sohn erzieht: "Mit guten Worten und etwas Gewalt erreicht man stets mehr als nur mit guten Worten", schreibt er da (siehe auch Kommentar von Doris Knecht). Nein, es gehe ihm nicht um rohe Gewalt. Aber seinen Buben ab und zu übers Knie legen und ihm einen Klaps auf den Hintern zu geben, ist seiner Meinung nach in Ordnung. Dass er dabei auch noch den Namen seines Kindes preisgibt, macht die Sache nicht besser. "Das ist eine doppelte Demütigung", sagt KURIER-Familycoach Martina Leibovici-Mühlberger.

Der Sturm der Entrüstung ließ da nicht lange auf sich warten. ORF-Moderator Armin Wolf "drehte es beim Lesen der Magen um", wie er via Facebook mitteilte. Schließlich wisse er aus eigener Erfahrung allzu gut, was Schläge anrichten. Das Echo auf sein Posting war groß: Tausende haben seine Worte kommentiert und auf ihre Facebook-Seiten gestellt. Die meisten Leser waren entsetzt. Nur wenige glauben an die Notwendigkeit der "gesunden Watsch’n".

Die Redaktion reagiert

Erst am Montag reagierte die Presse. Die Chefredaktion distanzierte sich von dem Text ebenso wie der Autor selbst: "Ich möchte mich in aller Form von meinen Formulierungen im letzten Drittel meines Textes ,Wer Strafe nicht vollzieht, wird unglaubwürdig‘ über körperliche Gewalt als Erziehungsmittel letzter Instanz distanzieren. Sie sind in der Eile der Produktion ungeschickt verfasst worden und können leicht missverstanden werden. Ich halte auch im Namen meiner Frau ausdrücklich fest, dass körperliche Gewalt bei uns zu Hause keinen Platz hat."

Trotz aller Dementi: Der Schaden ist angerichtet. Wohl auch, weil diese Worte eines deutlich machen, wie Leibovici-Mühlberger feststellt: "Das Bekenntnis zur gewaltfreien Erziehung ist in vielen Köpfen und Herzen noch nicht angekommen". Ihre Forderung deshalb: "Wir müssen wachsam bleiben. Psychische und körperliche Gewalt schaden Kindern dauerhaft. Deshalb müssen wir als Gesellschaft unsere Buben und Mädchen vor diesem Leid schützen." Nachsatz: "Seelische Gewalt wiegt oft sogar noch schwerer als Schläge."

Die Folgen der Gewalt

Dort, wo es verbale oder körperliche Hiebe setzt, wird die Integrität eines Kindes verletzt. Das bedeutet großen Stress für das Kind: "Es erlebt sich als ohnmächtig und wird in seinem Selbstwert geschwächt. Es reagiert entweder damit, dass es überangepasst ist oder aber eine chronische Widerstandshaltung einnimmt." Heißt: Auch wenn das Kind brav das macht, was man von ihm erwartet, tut es das nicht aus Einsicht, sondern, um eine Strafe zu vermeiden. "Das ist eine Angst-Dressur", kritisiert der Familycoach. Menschen mit Zivilcourage und Rückgrat erhält man so nicht.

Strafen sollten in der Erziehung also tabu sein. Viele Eltern wissen das. Nur wie kann eine gute Erziehung dann gelingen? Was tun, wenn das Kind sich auf den Boden wirft und schreit? Für Psychologen heißt das Zauberwort "Konsequenz".

Regeln festlegen

Das A und O einer guten Erziehung sind für die klinische Psychologin Sabine Kainz klare Strukturen: "Machen Sie von Anfang an klar, welche Regeln bei Ihnen zu Hause gelten." Werden diese gebrochen, muss es situationsbezogene Konsequenzen geben: "Ist z.B. ausgemacht, dass das Kind eine Serie schauen darf, und es bleibt länger vor dem Bildschirm sitzen, dann bedeutet das, dass das Kind eben am nächsten Tag nicht fernschauen darf."

Oder: "Vor dem Einkaufen wird ausgemacht, dass das Kind sich eine Süßigkeit aussuchen darf. Tobt und schreit es, weil es zwei haben will, gibt es eben gar nichts. Kommunizieren Sie mit dem Kind und sagen, dass das von Anfang an so ausgemacht war."

Manchmal toben Kinder aber auch, weil ihnen Elementares fehlt: "Es ist durstig, müde oder hungrig. Manchmal reicht ein Stück Brot, um den Hunger zu stillen und das Kind ist ruhig. Bevor man also Konsequenzen andenkt, sollte man erst an Befindlichkeiten denken."

Natürlich sollen Eltern mit ihren Kindern Klartext reden, wenn es Grenzen überschreitet: "Doch das muss immer in respekt- und liebevollem Ton passieren", sagt Kainz. Das gilt auch für das tobende Kind: "Reden Sie am besten mit ihm, bevor die Situation eskaliert und alle mit ihren Nerven am Ende sind. Wer 20 Mal sagt, dass jetzt Schluss ist, wird unglaubwürdig. Bestehen Sie auf vorher gemachte Abmachungen."

Der Kollege von der Presse tut einem ein bisschen leid: Über den rollt gerade ein heftiger Shitstorm hinweg. Der Kollege tut einem aber nur ein bisschen leid, nicht sehr, denn für das, was er schreibt, hat er allen Gegenwind verdient, lauten Protest, zornigen Einspruch, manche meinen sogar: eine Straf-Anzeige und die Meldung bei der Jugendwohlfahrt. Denn viel mehr leid als der Redakteur tut einem sein Kind, über dessen Erziehung er am Sonntag berichtete.

Mit wuchtiger Überzeugung beschrieb er dabei, wie er seinem zarten, kleinen Sohn, erst dreieinhalb Jahre alt, Gewalt nicht nur androht, sondern auch antut: Denn "wer Strafe nicht vollzieht, wird unglaubwürdig". Und unter Strafe versteht der Kollege körperliche Züchtigung, konkrete Gewalt: denn "mit guten Worten und etwas Gewalt erreicht man stets mehr als nur mit guten Worten". Er habe "manch gewaltfrei erzogenes Kind erlebt, sie neigen zu Rücksichtslosigkeit und verbreiten oft negative Schwingungen". Dann beschreibt er, wie er sein Kind, wenn es nicht tut, wie er will, anzählt – ihm also mit Gewalt droht – und wenn es auf Drei nicht aus Angst gehorcht, übers Knie legt und "mit leichtem Klopfen" bestraft, oder es am Ohr zieht. Und er hat dabei kein schlechtes Gewissen.

Auch wenn man kein Anhänger antiautoritärer Erziehung ist: Das ist vorgestriger, bösartiger, mitleiderregender Schwachsinn. Ja, Kinder brauchen Strukturen, Regeln, Verlässlichkeit. Aber für systematische und strukturelle Gewalt in der Erziehung gibt es keine Entschuldigung, und darf es auch nicht geben. Kleine Kinder hauen: ein trauriges Armutszeugnis. Der Entrüstungssturm, der über den Redakteur herein brach und die am Montag erfolgte, ziemlich halbherzige Distanzierung seiner Redaktion zeigt etwas – und zwar etwas Gutes: Es gibt für Gewalt in der Kindererziehung keinen gesellschaftlichen Konsens mehr. Der Kollege dachte, ein bisschen sei jetzt wieder ok: Aber das ist es nicht. Diesen Schritt haben wir aus gutem Grund gemacht, diesen Schritt gehen wir nicht mehr zurück.

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