Die Insta-Pflanze: Warum der Monstera-Hype nicht abreißt
Vor genau einem Jahr schien der Wahnsinn zu überhitzen. Die Monstera-Designs überwucherten alles. Man sah die löchrig-geschlitzten Blätter auf Ohrringen, Handyhüllen und Fingernagel-Tattoos. Auf Tapeten, Tellern und Pölstern sprießen sie ohnehin seit Jahren. Als dann in London, dem Epizentrum allen überstylten Pflanzenkitschs, im Sommer 2018 ein Monstera-Engpass ausgerufen wurde und die Preise um zwanzig Prozent anstiegen, wurde der Irrsinn derart offensichtlich, dass er zu Ende gehen musste.
Aber eine Monstera überlebt fast alles.
Was für Daniel Rohrauer einer der Hauptgründe des Booms ist: „Das Sortiment an Pflanzen, die bei uns im Zimmer gut gedeihen, ist ja beschränkt und hat sich in den letzten hundert Jahren kaum geändert. Die Monstera ist sehr duldsam“, sagt Rohrauer, der die Botanische Sammlungen der Bundesgärten leitet. Und er setzt nach: „Das heißt aber nicht immer, dass es ihr auch gut geht.“ Denn die Aufsitzer-Pflanze, die im Boden wächst und Bäume nur als Klettergerüst benützt, mag es zwar warm, im dauergeheizten Zimmer fehlt ihr aber die Kälteperiode. Aber solange sie nicht austrocknet (braune Blattspitzen) oder neben kalter Zugluft steht (da geht sie ein), ist die Monstera in den puristischen Wohnungen der Instagram-Generation oft der Blickfang.
Dunkelheit und wenig Licht, vor allem keines von oben, machen ihr nichts aus. Rohrauer: „Deswegen landen wir in der Auswahl ja immer bei den Unterwuchspflanzen der Tropen.“ Entscheidend sei nur eine möglichst hohe Luftfeuchtigkeit und regelmäßiges Düngen. „Die Monstera ist wie fast alle Aronstabgewächse ein Starkzehrer.“
Wiener Schule
Die große Liebe zu solchen Exoten versteht man mit einem Blick in die Geschichte, und die spielt zum großen Teil in Wien. Die Monstera wurde zwar erstmals 1763 in Frankreich beschrieben – bis heute variiert die Zahl der Arten zwischen 30 und 60, sie sind schwer auseinanderzuhalten und noch heute werden sie fälschlich oft als Philodendron verkauft. Als der Wiener Hofgärtner Heinrich Schott 1821 von der großen habsburgischen Brasilien-Expedition zurückgekehrt war, spezialisierte er sich auf die Gruppe der Aronstabgewächse. Seine erarbeitete Grundstruktur von rund 120 Gattungen ist bis heute wissenschaftlich anerkannt. (Anmerkung: Im Rahmen des 450 Jahre-Jubiläums widmen sich die Bundesgärten mit einer großen Ausstellung von 4. bis 27. Oktober den „Pflanzenjägern des Kaisers“, www.bundesgaerten.at). So bekam etwa der Philodendron seinen Namen in Wien, und die Dieffenbachie – benannt nach dem Penzinger Gärtner Joseph Dieffenbach, der zwar nie aus Österreich rauskam, aber ein Händchen für das Tropengrün hatte.
Wie man Kaktus-Stecklinge neu setzt
Als dann Ende des 19. Jahrhunderts die Arbeiterklasse sich langsam Wohnungen leisten konnte, wuchs der Wunsch nach Zimmerpflanzen – daheim und im Büro. Rohrauer: „Vor 1900 sammelte der Hof und mit ihm der Adel vor allem Vielfalt. Das breitere Bürgertum wollte dann auch etwas zu Hause haben – den kleinen grünen Kaktus eben (Lied aus den 1930ern, Anm.).“
Mit dem Wirtschaftsaufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Hochblüte der Liebe zu den genügsamen Exoten. Man konnte nicht nach Mittel- und Südamerikas reisen, also musste der dortige Dschungel zu uns.
Fernseh-Comeback
Aber warum flammte diese Liebe in den vergangenen zehn Jahren wieder auf, wo sich doch heute jeder den Dschungel in High-Definition ins Wohnzimmer holen kann, wenn er schon nicht hinfliegt? Schuld ist das Fernsehen: Die vielfach preisgekrönte Serie „Mad Men“ versetzte im Sommer 2009 die deutschsprachigen Zuseherinnen und Zuseher in den Mid-Century-Modern-Chic New Yorks. Sie spielt erstens in den späten 1950er/frühen 1960er-Jahren und zweitens in Büros, dem Habitat der Monstera und ähnlicher Büropflanzen.
Seit damals ist sie die unangefochtene Nummer eins im Social Media-Dschungel: Unter Hashtags wie #urbanjungle oder #livingwithplants schauen einander Millionen junge, meist städtische Menschen dabei zu, wie sie eine Pflanze hochleben lassen, die vor dreißig Jahren nur mehr Asyl in Behörden und Wirtshaus-Auslagen bekam. Auf Internet-Plattformen werden Stecklinge um zwanzig, größere Exemplare um gut hundert Euro gehandelt. Die Mode-Industrie sprang auf und bedruckte Stoffe mit dem auffälligen Blatt, Designer verwendeten es für alle Gegenstände, siehe Anfang. Neben dem aufstrebenden Öko-Dogma ist der Hauptgrund dafür der immer neue Bedarf an Formen und Mustern – Ananasfrucht, Palme, Kaktus, Farn waren auch schon dran.
„Es muss eben immer was Neues her“, sagt Rohrauer dazu und meint damit das Alte. „Wir leben generell im Zeitalter, in dem nur mehr Altes aufgewärmt wird. Zum Beispiel die Sansevieria (Bogenhanf): Die war in der Großeltern-Generation unfassbar beliebt, und verschwand genau deswegen: Weil man sie der Großmutter zuschrieb. Jetzt ist die Nachfrage ähnlich hoch wie bei der Monstera.“ Auf die Monstera konnten sich früher oder später alle einigen: Großmütter und ihre Enkelinnen, Amtsdiener und Arbeiter, Designer und Hobbygartler.
Dazwischen lagen die Jahre der klaren Architektur und des sterilen Einrichtungsstils. „In den vergangenen zwanzig Jahren hatten die Menschen gar keine Pflanzen, nur Trockenelemente wie Ruten und Stäbe. Jetzt gibt es wieder Pflanzen, aber sie müssen zur Architektur passen.“ Also klare Strukturen, glatte Flächen und wenig Mist durch Laubfall. Beispiel: Die Zamioculcas (Glücksfeder), ebenfalls ein Aronstabgewächs. Dass schwedische Einrichtungshäuser solche Pflanzen günstig anbieten, fördert den Boom.
Unerreichte Frucht
Laut Schätzungen werden in Österreich jedes Jahr Zimmerpflanzen im Wert von gut 150 Millionen Euro verkauft. Und auch wenn die Moden dabei wechseln, sind die Ansprüche dabei ähnlich wie damals: „Die Expeditionen der Herrscherhäuser wollten vor allem blühende und im weitesten Sinn nutzbare Pflanzen finden.“ Nutzbar hieß in diesem Zusammenhang auch haltbarer Schmuck für die riesigen Prunkräume.
Der Glasgarten als Fleischfresser-Ambulanz
Außerdem ist der Name „Monstera“ ungenau: Es geht um die Gattung „Monstera deliciosa“. Deliciosa, weil sie längliche Früchte ausbildet, die nicht nur essbar, sondern köstlich sind. Sie schmecken nach Banane und Ananas, von der sie die Textur hat, nach Zimt, Erdbeere, Traube und Mango. In Amerika wird sie auch „Obstsalatpflanze“ genannt. Rohrauer bremst: „Wie die Blüte ist die Frucht im Zimmer selten. Bei uns im Palmenhaus hat sie welche, aber da wächst die Monstera hoch hinauf und hat Licht.“
Im Angelsächsischen hat ebenfalls der Trivialname den Boom befeuert: „Swiss Cheese Plant“, eine Pflanze, die Käse heißt, weil sie Löcher im Blatt hat, das gefällt Engländern und Amerikanern. Dabei rätseln Botaniker noch immer, warum die Monstera überhaupt Löcher hat. „Die hat sie nur, solange sie nicht wachsen kann, wo sie hinwill: zum Licht“, sagt Rohrauer. Wenn sie die Tropenbäume überragt, ändern sich die Blätter.
Apropos ändern: Irgendwann endet der Hype. Vielleicht kommen dann die Zimmerpalmen wieder. Um die gab es auch mal so ein Griss.
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