Die Geheimnisse der Venus von Willendorf

Und schon jetzt sind sie sicher, dass der bisher angenommene Ursprungsort Stránská Skála, ein Hügel nahe Brünn, falsch ist.
Die berühmte Statuette bekommt ein neues Heim und wird weiter erforscht.

Unter enormen Sicherheitsauflagen wird ein etwa 10 mal 15 Zentimeter großes Holz-Etui in die Universität Wien gebracht. Im Schlepptau: zwei Sicherheitsleute und etliche Wissenschaftler. Mit spitzen Fingern, die in weiße Handschuhe gehüllt sind, entnehmen sie der Schachtel mit dem blauen Samt-Innenleben und der Aufschrift "1908" eine kleine Skulptur – die Venus von Willendorf. Wir schreiben den 8. Jänner 2013 und die Steinzeit-Statuette von Weltrang wird zum ersten Mal seit ihrer Entdeckung durchleuchtet.

Das Gestein nennt sich Oolith

Die Geheimnisse der Venus von Willendorf
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"Wir haben die Venus in ganz hoher Auflösung gescannt", erzählt Gerhard Weber. Er ist Spezialist für virtuelle Anthropologie und blickt zufrieden auf 1440 Mikro-Computertomographie-Aufnahmen der alten Dame. "Schon während der Untersuchung hat sich gezeigt, dass die Gute innen nicht so homogen ist, wie man sich das vorstellt. Das Gestein nennt sich Oolith, besteht aus vielen kleinen Körndln und ist je nach Fundstelle ganz unterschiedlich", erzählt er. Mit den Geologen des Naturhistorischen Museums (NHM) will Weber jetzt klären, woher das Material der berühmten Ur-Eva kommt. Und schon jetzt sind sie sicher, dass der bisher angenommene Ursprungsort Stránská Skála, ein Hügel nahe Brünn, falsch ist.

Forscher wissen heute, dass Rohstoffe auch in der Steinzeit weit reisten: Transportwege bis zu 300 Kilometer waren keine Seltenheit. Diesen Radius nehmen die Wissenschafter nun als Maßeinheit, und suchen nach Oolith-Lagerstätten. An die 30 haben sie bereits ausgemacht. Proben von dort sollen gescannt und mit den hochaufgelösten Venus-Bildern verglichen werden, so der Plan.

300 Arbeitsstunden stecken in ihr

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Heute kennt man etwa 200 Frauenstatuen, 60 davon Altersgenossinnen unserer Venus. Apropos Alter: Neueste Forschungen haben Frau von W. erheblich altern lassen: "Der ganze Zeithorizont von Willendorf wurde neu untersucht und datiert. Ergebnis: Er ist 4,5 Jahrtausende älter", sagt Anton Kern, im NHM Herr über die Prähistorischen Säle, deren Prunkstück die Venus ist.

Über die weiß die Forschung mittlerweile einiges: Venus-Expertin Walpurga Antl-Weiser schätzt, dass nicht weniger als 300 Arbeitsstunden in ihr stecken. "Das ist viel Zeit, die jemand für den Rest der Gemeinschaft unansprechbar war und nicht anderes tun konnte." Antl geht davon aus, "dass die ganze Gruppe Verständnis dafür haben musste, damit so etwas entstehen konnte. Ich denke also, dass solche Figuren für alle große Bedeutung hatten."

Dieser Bedeutung wird nun auch im NHM Rechnung getragen: Im Rahmen der Neugestaltung der Prähistorischen Säle hat Frau von W. ein neues Venus-Kabinett bekommen, das ab morgen besichtigt werden kann. Die neue Alters-WG teilt sie sich mit der 36.000 Jahre alten Fanny von Strazing, die die zweitälteste menschliche Darstellung überhaupt ist.

"Schematisch-degenerierte Figur, kein Gesicht, nur dick und feminin. Wohlstand, Fruchtbarkeit". So steht es im Grabungstagebuch unter August 1908 über jene Statue nachzulesen, die später weltberühmt werden sollte: Die Venus von Willendorf.

Nach nur einer Woche Arbeit an der Donau wurden nicht die Forscher, sondern ein Arbeiter fündig: In einer Tiefe von 25 Zentimeter stieß er auf eine elf Zentimeter große Statuette. Unter dem Schmutz kam eine völlig mit rotem Farbstoff bemalte Frau zum Vorschein – damals die erste komplett erhaltene Frauenfigur aus der Steinzeit.

Mit ihren 29.500 Jahren zählt diese Dame zu den weltweit bekanntesten Kunstwerken aus Österreich – und auch zu den wertvollsten. Über die Versicherungssumme schweigt das Museum beharrlich.

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