Wo liegt Nofretete? Das Rätsel hinter der Wand

 
Ein Forscher glaubt, dass hinter Tutanchamuns Grab ein weiteres liegt – das der Nofretete. Jetzt haben ihn die Ägypter eingeladen, um seine Hypothese zu prüfen.

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"Ich habe in den vergangenen 18 Monaten an nichts anderem gearbeitet. Und das vergangene Jahr versuchte ich, mich selbst zu widerlegen. Es ist mir nicht gelungen. Je länger ich darüber nachdachte, desto schlüssiger wurde alles." Das sagt der Archäologe Nicholas Reeves im Interview mit dem KURIER. Er vermutet, dass hinter der Nordwand des Tutanchamun-Grabes (King Valley 62/KV 62) der eigentliche Eigentümer der Grabkammer liegt. Und das könnte niemand geringere als Nofretete sein. Ihr Stief- und Schwiegersohn Tut wurde dann in einer Art Vorkammer beigesetzt, schreibt Reeves in seiner 16-Seiten-Publikation "The Burial of Nefertiti?".

Wo liegt Nofretete? Das Rätsel hinter der Wand

Der Wissenschaftler ist vorsichtig: "Vorerst ist es ja nur ein Hypothese. Ich hoffe, dass ich sie testen kann." Darüber bestimmen Ägyptens Politiker. Und die signalisieren Zustimmung: " Nicholas Reeves Studie kann nicht ignoriert werden", sagt der zuständige ägyptische Minister, Mamdouh al-Damaty. "Er hat mich sehr freundlich eingeladen, ihn zu besuchen", verrät Reeves. Al-Damaty kündigte jedenfalls an, dass man mit dem Forscher im September ein wissenschaftliches Symposium veranstalten und danach ausgesuchten Experten gestatten werde, per Radar das Tut-Grab auf dahinterliegende Hohlräume abzusuchen.

Rückblick

Der Ägyptologe erinnert sich gut, wie ihm im Februar 2014 erstmals etwas schwante: Er studierte die hochauflösenden Bilder und 3-D-Scans, die die spanische Firma Factum Arte von den Wandmalereien und der Oberflächenstruktur der Kammer des Tut-Grabs gemacht hatte. Die Fotos dienten als Vorlage für eine originalgetreue Replika der Ruhestätte Tutanchamuns am Westufer von Luxor. "Als ich die Präzisionsscans betrachtete, entdeckte ich Linien – rechtwinkelig verlaufende Risse." Je genauer Reeves hinschaute, desto deutlicher formten diese Linien die Umrisse zweier Durchgänge – einer an der Westwand der Kammer, einer an der Nordwand. Daraufhin nahm sich Reeves den Grabkammer-Plan vor: "Ich bemerkte, dass eigentlich eine Kammer fehlte." Die Gräber der ägyptischen Pharaonen der 18. Dynastie folgen alle ähnlichen Gesetzen: "Normalerweise gibt es vier Nebenkammern, angeordnet auf 2, 4, 8 und 10 Uhr", sagt Reeves. Hier aber fehlen die Kammern auf 4 und 10 Uhr. Die Linien auf der Westwand korrespondieren mit der Stelle, an der ein Eingang zu einer Kammer auf 10 Uhr liegen würde.

Auch die Ausrichtung von KV 62 ist ungewöhnlich. Normalerweise winden sich Königsgräber in ihrer Abfolge von Korridor, Vorkammer und Hauptkammer nach links. Nicht so KV 62. Reeves Konklusio: "Tuts Grab ist ein Grab in einem Grab. Es war ursprünglich ein Durchgangsgrab, das sich nach rechts dreht – das genaue Gegenteil aller sonstigen Königsgräber. Die drehen sich nämlich nach links. Ein rechtsdrehend angelegtes Grab ist das einer Königin. Wir kennen das von Hatschepsut."

Nun machte sich der Ägyptologe auf die Suche nach einer Königin, die vor Tutanchamun gelebt hatte und eines prächtigen Grabes würdig gewesen wäre.

Reeves und viele andere Archäologen gehen heute davon aus, dass Nofretete neben Echnaton erst Ko-Regentin und später – als geheimnisvoller Pharao Semenchare – Allein-Regentin war. "Vielleicht liegt tatsächlich Nofretete als Semenchare hinter dieser Wand", schließt er. "Das Hauptargument, das ich gefunden habe, liegt aber in den Wandmalereien begründet. Die Nordwand war dekoriert und in Gebrauch, ehe Tut auftauchte. Die Figuren, die dort aufgemalt waren, gehörten zum ursprünglichen Grabbesitzer, der dahinter begraben liegt."

Die Bilder müssten demzufolge Nofretetes Nachwelt-Vorbereitung zeigen – und nicht die Tutanchamuns. Die Figuren sind beschriftet, deshalb hat nie jemand die Zuordnung angezweifelt. Doch an der Nordwand wurde der gelbe Hintergrund, auf dem die Namen stehen, erst nach den Figuren aufgetragen, was unüblich sei. Alle Namen, die womöglich vorher dort standen, liegen damit unter der gelben Farbschicht verborgen. Auch das Gesicht des Tutanchamun zeige eher Züge, wie man sie von den späten Porträts der Nofretete kenne.

Seit Reeves Hypothese publik wurde, ist die Ägyptologen-Zunft wie elektrisiert, einige halten die These für plausibel, andere halten dagegen. Gewissheit wird nur eine geophysikalische Untersuchung um die bekannten Kammern herum bringen. "Damit lässt sich schnell und zerstörungsfrei herausfinden, ob sich dort weitere Hohlräume befinden", sagt Reeves.

Ausblick

Wenn ja, wird es kompliziert. "Eine seit mehr als 3000 Jahren hermetisch abgeriegelte Kammer hat es in der modernen Archäologie noch nicht gegeben", sagt Reeves. "Einfach aufbrechen geht nicht. Schon die Luft, die darin enthalten ist, steckt voller Informationen." Der Archäologe wünscht sich eine internationale Konferenz, ehe etwas passiert. "Wir brauchen das ganze Wissen, das wir weltweit bekommen können, nicht nur von Ägyptologen, sondern auch von Technikern und Naturwissenschaftlern."

Sollte Reeves recht behalten, dürfte das auch die Ägypten-Esoteriker beflügeln: Die Engländerin Dorothy Eady – sie hielt sich für die Reinkarnation der Tochter von Pharao Sethos – hatte nämlich behauptet, dass ihr der königliche Vater verraten habe, dass sich das unversehrte Nofretete-Grab nahe jenem von Tutanchamun befinde. Und zwar an einer Stelle, an der man nie danach suchen würde.

Wo liegt Nofretete? Das Rätsel hinter der Wand

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