Spätestens wenn im Frühling das Sonnenlicht schräg ins Zimmer fällt, sieht man ihn überall – den Staub. Zeit für einen Frühjahrsputz.
Doch kaum ist das letzte Regal in der Wohnung abgestaubt, legen sich schon wieder die ersten Staubkörner auf die gerade noch sauberen Kästen nieder. Der Kampf gegen den Staub gleicht einem Rennen gegen die Ewigkeit, bestenfalls verzeichnet man Etappensiege.
Wir stauben selbst, ob wir es wollen oder nicht. Bei jeder Berührung. Ziehen ähnlich einer Sternschnuppe eine persönliche Staubwolke hinter uns her. Ein Entkommen ist ausgeschlossen. Selbst auf der Raumstation ISS saugen die Astronauten Staub.
Der KURIER hat bei einem Staubexperten nachgefragt, ob alte Besen besser kehren als neue und warum es nicht egal ist, ob der Staubsaugerbeutel leer oder halb voll ist. Den Hausstaub unter der Couch – in dem sich von Hautpartikeln bis zu Milben viel Ungustiöses zusammenrottet – findet der Experte übrigens weniger bedenklich als den Feinstaub in Städten.
KURIER:Sie beschäftigten sich als Chemiker und Philosoph mit Staub. Haben Sie heute auch schon Staub gesaugt, Herr Soentgen?
Jens Soentgen: Nein, ich sauge selten. Aber ich kehre jeden Tag. Hab’ ich heute auch schon gemacht.
Warum das?
Ich empfinde die Luft nach dem Saugen als unangenehm, abgesehen davon mag ich das Geräusch des Saugers nicht. Ich habe zwei Jahre Zivildienst bei der Arbeiterwohlfahrt gemacht. Dort habe ich alle denkbaren Kehr- und Reinigungsverfahren kennengelernt. Und mit allem geputzt, was heute verboten ist. (lacht)
Expertenfrage: Kehren alte oder neue Besen besser?
Ein alter, mit Staubflusen verzierter Besen ist nicht so schlecht und sollte nicht weggeschmissen werden. Der Staub am Besen zieht nämlich den anderen Staub auf dem Boden magnetisch an. Eine gewisse Benutztheit des Besens erhöht also die Effizienz.
Und worauf sollen jene achten, die lieber die Wohnung saugen, als kehren?
Der Staubsauger funktioniert besser, wenn der Beutel schon halb mit Staub gefüllt ist – aufgrund des bereits erwähnten "Magnetismus". Ein zu voller Beutel ist aber auch schlecht, weil dann keine Luft mehr durchkommt. Sauger mit leeren Beuteln saugen auch nicht ganz optimal – fehlender "Magnetismus".
Manche halten es für eine gute Idee, alles einzusaugen, was ihnen in die Quere kommt. Inklusive der Kuchenreste und auf den Boden gefallener Obststücke. Davon kann man nur abraten. Auf diese Weise entsteht im Sauger schnell ein feuchtes Biotop. Schimmel. Riecht man dann spätestens, wenn man den Sauger einschaltet.
Warum zieht jeder Mensch, ähnlich einem Kometen, einen Staubstreifen hinter sich her? Auf Neudeutsch eine "Personal Cloud"?
Die meisten wollen sich das jetzt sicher nicht so konkret vorstellen, aber allein beim Sprechen setzt jeder Partikel frei – und zwar kommen diese aus dem Inneren der Lunge. Beim Singen noch mehr. Noch mehr beim Schreien. Die Tröpfchen sind dann ein ideales Vehikel für Viren. Das weiß man ja alles spätestens seit Corona.
Und wenn wir uns ruhig verhalten, ziehen wir keine Staubwolke hinter uns her?
Doch. Solange wir gehen, stehen und werkeln, stauben wir. Es gibt kein Entrinnen. Ich will niemanden in Panik versetzen, aber so ist das nun einmal.
Selbst auf einer Raumstation wie der ISS?
Ja, auch dort muss gesaugt werden, weil vom ganz normalen Leben, etwa vom Abrieb der Raumanzüge, Staub entsteht. Zukunftsstaub quasi, weil im Weltall ja die neuesten Technologien zum Einsatz kommen. Im Grunde sollte die gemeine Wollmaus längst Polyestermaus heißen. Unsere Textilien bestehen heute oft mehr aus Plastik als aus Wolle – damit sind entsprechende Mikropartikel im Lurch eingezogen.
Dicke Luft
In jedem Liter Luft finden sich Tausende Partikel, die der Mensch einatmet. Ob feine Tröpfchen, Bakterien, feine Sandkörnchen, Rußpartikel, Pflanzenpollen oder Fetttröpfchen aus der Pfanne, in der ein Schnitzel gebraten wird. Täglich atmet der Mensch 10 bis 25 Kubikmeter Luft ein – mit allem, was darin enthalten ist.
Aerosole
Normalerweise wird ein gesunder Mensch mit dem täglichen Staub gut fertig. Ungesund kann "die Suppe", die wir einatmen werden, wenn sie etwa durch viele Kraftwerke, Autos oder Öfen verdreckt ist. Oder wenn in Innenräumen viele Kerzen brennen, Schimmel gedeiht oder Kranke husten oder niesen.
10Mikrometer Nase, Mundhöhle und Rachen filtern Partikel, die nicht größer als 10 Mikrometer sind, normalerweise effektiv weg. In der Staubforschung gilt deswegen der Grundsatz "je kleiner, desto gemeiner". Der sogenannte Ultrafeinstaub (kleiner als 0,1 Mikrometer) kann es tatsächlich bis in die Lungenbläschen schaffen.
Die Wollmaus
In Österreich "Lurch" genannt, besteht in der Regel zu 20 Prozent aus fasrigen Teilchen, Bröseln aller Art und Herkunft sowie aus mineralischen Partikeln. Grau sind sie auch, weil sie quasi mit menschlichen Hautschuppen eingepudert sind. Je nach Umgebung findet man im Lurch auch tote oder lebendige Milben, Bakterien, Viren oder Schimmelpilze.
Gibt es Unterschiede zwischen dem Lurch unter der Wohnzimmercouch und jenem in anderen Zimmern?
Im Vorzimmer ist mehr mineralischer Staub, vor allem im Winter, durch Split, Salz und auch Abriebpartikel von der Straße. In Kinderzimmern ist viel Staub, weil dort viel Bewegung ist, etwa auf Betten gesprungen wird. Da kommt es unter dem Bett zu einem ähnlichen Phänomen wie bei Seegras, das sich im Wellengang zusammenballt. Durch die Luftbewegungen unter dem Bett wächst die Wollmaus schnell zu einer bemerkenswerten Größe heran.
Warum ist die Wollmaus grau, obwohl wir relativ wenig grau im Alltag haben?
Wenn man sich traut, näher an die Wollmaus ranzugehen, sieht man unter anderem die weißgrauen Hautschuppen in ihr. Dazu kommen Fasern in allen Farben. Eine additive Farbmischung, die unter dem Strich grau ausschaut. Der Lurch ist aber gar nicht das Problem. Er hat sich quasi selbst erledigt, liegt am Boden, kommt nicht mehr richtig hoch. Das Problem ist der Feinstaub in der Luft, der gesundheitlich relevant ist und in die Lunge gelangen kann.
Wie viel Staub atmen wir jeden Tag ein?
Viele Tausend Partikel mit jedem Atemzug. Als Aerosolforscher, der das misst, fragt man sich mitunter schon, wie man das alles überleben soll.
Der Luftweg des Menschen ist labyrinthisch aufgebaut, überall sind Schleimhäute und diverse Einrichtungen im Körper sorgen dafür, dass die Partikel nicht im Körper verbleiben. Bei Tieren ist es ähnlich. Die Saiga-Antilope wohnt zum Beispiel in der Steppe und hat eine riesige Nase, die den Staub aus der Luft wegfiltert. Übrigens werden Menschen, die durch den Mund atmen, häufiger krank als jene, die durch die Nase atmen. Es werden weniger Partikel rausgefiltert.
Leiden auch Pflanzen unter dem Feinstaub?
Ja, bestimmte Bäume, wie die Linde, halten den Feinstaub und die Stickoxide in der Luft nur schwer aus und werden schnell krank. Anders als etwa die Platane, die auch wegen ihrer großen Blätter in Städten als Schattenspender beliebt ist.
Müssten wir uns "reinigende Gewitter" freuen, die den Dreck aus der Luft waschen?
Regen ist reinigend, wenn er ruhig ist. Stürmischer Regen wirbelt aber manchmal mehr Staub auf, als er bindet. Das macht Asthmatikern zu schaffen. In Melbourne, Australien, kam es während eines Gewitters 2016 zu einer extremen Häufung von Asthmaanfällen, 1.900 Notrufe wurden innerhalb von fünf Stunden aufgezeichnet, und die Notaufnahmen der Krankenhäuser waren völlig überlastet. Es gab zehn Todesfälle. Großstädte sollte man sich generell weniger wie eine Wüste, sondern mehr wie einen Vulkan vorstellen.
Wie meinen Sie das?
Ein Vulkan spuckt ständig Asche und Gase aus. Das passiert in Städten auch, nur weniger eindrucksvoll. Ob Autos, Gasheizungen, Kraftwerke oder die Industrie – alle stoßen Abgase aus, die eine nicht sehr lebensfreundliche Atmosphäre schaffen. Je mehr Feinstaub in der Luft, desto weniger lang leben die Menschen. Das ist wissenschaftlich erwiesen. In Europa ist es zum Glück gelungen, die Luftqualität wieder zu verbessern. Ich bin sehr für mehr Sauberkeit in der Stadt – auch wenn es lästig ist, jetzt über Alternativem zum eigenen Auto nachzudenken.
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