Axels Terrasseneintopf: Der Traum von hängenden Gärten

Axels Terrasseneintopf: Der Traum von hängenden Gärten
Tillandsien. Wieder eine Pflanze, die angeblich keine Pflege braucht. Wieder eine, bei der das nur fast stimmt.

Den Menschen zeichnet auch die Fähigkeit aus, von unerreichbar Fantastischem zu träumen. Der Traum vom ewigen Leben etwa oder der vom Fliegen. Oder, dass zumindest die Pflanzen fliegen, wenigstens nicht am Boden herumstehen und erdfrei vom Plafond baumeln.

Hängendes Gärtchen selbst gemacht

Womit wir bei Tillandsien wären. Die äußerst skurrile Bromelien-Gattung (mit der Ananas verwandt) stammt aus Lateinamerika und zählt über 500 verschiedene Arten. Ihre aktuelle Beliebtheit verdankt sie der Mär, ach so pflegeleicht zu sein. Das stimmt aber nur dann, wenn die Bedingungen perfekt sind, man also erfolgreich Lateinamerika im Wohnzimmer imitiert: über 15 Grad warm, aber mit nächtlichem Kalt-Warm-Wechsel (der fördert übrigens die Blühfreude – ja, Tillandsien blühen) und ganz besonders vor allem, Achtung wichtig: der richtigen Luftfeuchtigkeit! Tillandsien wachsen nur selten in Erde (terrestrisch), sondern meist auf anderen Pflanzen (Epiphyten oder Aufsitzerpflanzen, wieder was gelernt) oder auf Steinen (Lithophyten). Wurzeln haben sie nur zum Festhalten, Wasser und Nährstoffe beziehen sie aus der Luft.

Dazu haben sie Schuppen (Trichome) und nach der Menge dieser Schuppen kann man sie einteilen: Jene mit wenigen sind die grünen, die brauchen eher kühle, feuchte und schattige Plätze. Die grauen Tillandsien haben mehr Schuppen (das macht sie grau), sie brauchen auch hohe Luftfeuchtigkeit, aber auch volle Sonne (damit das Licht trotz vieler Schuppen an die Pflanze kommt). Noch mehr Trichome haben die weißen, sie brauchen viel Licht und kaum Feuchtigkeit.

In solcher Umgebung wären Tillandsien tatsächlich pflegebefreit, aber das schafft man höchstens in Küche und Bad. Bei Luftfeuchtigkeit unter 60 Prozent brauchen sie tägliches Besprühen, aber: kalkfrei, am besten nur mit Regenwasser, denn der Kalk verstopft die Schuppen. Die verkleben auch durch zu viel Dünger, den es kaum braucht – höchstens selten wirklich echt sehr wenig Orchideendünger ins Sprühwasser!

Axels Terrasseneintopf: Der Traum von hängenden Gärten

Heißkleber kann die Pflanzen ruinieren, was man aber erst nach einigen Wochen erkennt.

Scheußlichkeiten

Im Prinzip gedeihen zufriedene Tillandsien auch, wenn man sie einfach irgendwo herumkugeln lässt. Das sieht aber noch hässlicher aus als die arg pseudo-kunstvollen Arrangements, die derzeit oft angeboten werden: Tillandsie auf Wurzelholz, Tillandsie auf Porzellanviecherl, mit buntem (!) Glitter (!) besprühte (!) Tillandsien auf Drahtgeflechten(!!!). Dem geschmackssicheren Hobbygartler bleibt nur Basteln.

Das hat dafür den Vorteil, dass die Pflanzen unversehrt bleiben. Meist werden sie mit Heißkleber auf den kitschigen Untergrund gepickt, wodurch die Tillandsie leidet, was sie aber erst nach Wochen zeigt. Kleber ohne Hitze sind hingegen problemlos (härten aber langsamer aus).

Es empfiehlt sich daher, den Kitsch wegzulassen und die Pflanzen mit Schnur oder Draht (nicht zu dünn und rostfrei!) zu umwickeln und aufzuhängen. Wenn eine Pflanze schon keinen Topf braucht, darf man sich den Traum vom freien Wohnzimmer-Boden erfüllen. Passt die Umgebung, bildet sie sogar Ableger aus (Kindeln). Wenn nicht, werden die Blätter rasch braun. Aber weil es Tillandsien derzeit eh überall gibt, kann man den Traum wieder und wieder träumen.

axel.halbhuber@kurier.at

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