Schönheitswahn: "Liebe Frauen, entspannt Euch"
Sie erzählt, dass sie sich stets als „zu viel“, „zu plump“ und durchschnittlich empfunden hätte. Eines Tages saß Nunu Kaller, 36, im Paradies – an Bord eines Ausflugsboots vor den Philippinen. Statt das türkisfarbene Meer zu genießen, beschäftigte sie sich mit ihrer Bikinifigur.
Ein Schlüsselmoment. Denn plötzlich raunte eine Stimme in ihr: „Spinnst du jetzt komplett?“ Sie beschloss, Figur Figur sein zu lassen und sich erst wieder nach ihrem Urlaub mit dem Dicksein zu beschäftigen. Zurück in Österreich, begann sich Kaller zu fragen, weshalb 96 Prozent aller Frauen rund um den Globus mit ihrem Aussehen hadern. Sie begab sich auf die Spuren vermeintlicher Schönheitsideale, gesellschaftlicher Rollenbilder und dem allseits vorherrschenden Optimierungswahn.
KURIER: Sie erzählen sehr persönlich über das Empfinden Ihres eigenen Körperbilds und damit verknüpfte Erfahrungen. Hatten Sie keine Bedenken, zu viel von sich preiszugeben?
Nunu Kaller: Ja klar hatte ich das, daher habe ich mich bemüht, dass es nicht zu sehr ein Seelenstriptease wird. Dennoch sind einige sehr persönliche Passagen drinnen, weil ich das nicht weglassen kann. Ich kann bei diesem Thema nicht permanent auf andere zeigen und sagen, sie sind schuld oder Social Media sind schuld. Ich muss mich da selbst in den Spiegel schauen, denn da kommt vieles von innen und von meiner Sozialisation. Ich hielt mich immer für kompletten Durchschnitt und da glaube ich, dass jede Frau eine vergleichbare Geschichte hat, jede auf ihre persönliche Art natürlich. Mein Ziel ist es, Nachvollziehbarkeit zu erreichen.
Wo, liegen die Wurzeln der verzerrten Selbstwahrnehmung?
Wir alle haben ein komplett verschobenes Selbstbild, weil uns so wahnsinnig viel vorgelebt wird. Es gibt Studien, wonach wir pro Tag mit bis zu 4000 Werbebotschaften konfrontiert werden. Wir sehen immer dieselben Körpertypen. So sehr man sich bewusst davon distanzieren kann, irgendwann wandert das ins Unterbewusstsein. Man beginnt zu vergleichen. Gerade bei Frauen ist dieses Vergleichen stark verankert.
Sie erklären das mit Evolutionsbiologie. Ist dieses Vergleichen Frauen gewissermaßen in die Wiege gelegt?
Es gibt unterschiedliche Theorien und unterschiedliche historische Erklärmodelle. Für mich hat das sehr viel mit Gleichberechtigung zu tun, und die ist nach wie vor nicht existent. Frauen werden immer noch viel mehr nach dem Äußeren bewertet als Männer. Das ist historisch gewachsen. Das haben wir von Anfang an in uns drinnen.
Es findet ja auch unter Frauen viel Be/Abwertung statt – wie in einem Wettbewerb.
Evolutionsbiologische Studien zeigen, dass manche Frauen, abhängig von ihrem Zyklus, unterschiedlich miteinander umgehen. In dem Moment, wo Frauen ihre fruchtbaren Tage haben, wirken sie auf andere Frauen als Konkurrenz. Dieses gegenseitige Bedrohungsthema ist bei Männern seltener oder wird auf anderen Ebenen ausgetragen. Der Großteil des fehlenden Selbstwerts bei Frauen geht also gar nicht von den Männern aus, sondern von den Frauen selbst. Und von dem, was uns im Patriarchat über die Werbung und die Gesellschaft vorgelebt wird.
Wurde Ihr Leben durch dieses "Zu groß und zu viel"-Gefühl sehr beeinflusst? Wie sehr fühlte Sie sich dadurch eingeschränkt oder haben Sie das einfach verdrängt?
Ich war völlig überzeugt, ich bin der letzte Besen von Wien. Im Nachhinein verstehe ich mich besser. Ich verstehe, warum ich bestimmte Entscheidungen getroffen habe. Und heute würde ich gerne mein Ich von vor zehn Jahren umarmen und sagen: "Hey, das ist es nicht, was du denkst! Alles ist gut!". Dabei geht es nicht darum, mich in den Spiegel zu schauen und zu sagen, ich sei Miss Vienna. Es geht um Selbstakzeptanz im Gegenwind dieser vielen Botschaften, denen wir ausgesetzt sind.
Haben Sie sich auch mit anderen Frauen ausgetauscht?
Ja, natürlich, denn ich habe das Buch ja nicht geschrieben, um mich selbst zu therapieren. In den Gesprächen sah ich, dass es jeder Frau so geht. Die in meinen Augen schönsten Frauen stehen vor dem Spiegel und finden sich hässlich oder zu dick. Kinder, die ich kenne, sitzen da und finden sich zu dick. Das ist keine gesunde Entwicklung. Das ist ein Rad, in dem wir drin sind und aus dem wir dringend raus müssen.
Wie ist Ihnen das gelungen?
Ich habe versucht, es von mehreren Seiten anzugehen. Zum Beispiel habe ich ganz bewusst Frauenmagazine durchgeblättert. Ich bin kein allzu visueller Mensch, habe aber genau erkannt, wo Photoshop eingesetzt wurde und Bilder verändert wurden. Außerdem bin ich ein Web 2.0-Mensch, also in Social Media sehr aktiv. Ich sehe auch die Gefahren. Ich sehe, dass Schülerinnen uncool sind, wenn sie ein Bild hochladen, das nicht mit irgendeiner App verändert wurde. Wenn wir diese Bilder permanent sehen und uns ihnen freiwillig ausliefern, kennen wir das gar nicht mehr anders. Die Realität kann mit all diesen entknitterten und faltenfreien Gesichtern nicht mithalten.
Wie schwierig ist es, sich von diesen Selbstbildern und Glaubenssätzen zu lösen?
Natürlich ist das nicht einfach, in diesem Prozess befinde ich mich immer noch. Der Prozess, im eigenen Körper zu Hause zu sein, dauert. Und zwar sehr lange, da bin ich überhaupt noch nicht am Ziel. Aber ich bin weitaus entspannter und das wirkt positiv auf meine Lebensqualität.
Was genau bedeutet es für Sie, im eigenen Körper zu Hause zu sein?
Frauen verbringen viel Zeit damit, ihren Körper abzulehnen und ihn zu kritisieren. Man sieht die Makel und nie das Schöne. Das heißt, dass man ein Leben lang einen Teil von sich selbst ablehnt. Das finde ich erschreckend, denn das nimmt so viel. Ich fokussiere mich heute nicht mehr so darauf. Das Wort Entspannung ist mir da wichtig. Liebe Frauen, entspannt Euch.
Sie adressieren Ihr Buch an Frauen. Aber vielleicht sollten es ja auch Männer lesen? Männer schmücken sich gerne mit der Schönheit von Frauen…
In dem Moment, wo Frauen da nicht mehr mitspielen, ist ja auch schon etwas geschehen. Mir ist eher darum gelegen, dass Frauen für sich selbst diese Entscheidung treffen können. Sie also auf ihren eigenen Selbstwert draufkommen und merken, wie sehr mit ihrem Selbstwert wirtschaftlich und gesellschaftlich gespielt wird.
Haben Sie in Ihrem Leben schon viele Diäten gemacht? (lacht) An eine bestimmte Diät habe ich mich noch nie gehalten, weil ich zu faul dafür bin. Aber das berühmte FDH (friss die Hälfte, Anm.) immer wieder. Das kenne ich sehr gut. Was uns in puncto Körpergewicht permanent medial vorgelebt wird, an Fit- und Gesund-Bildern, widerspricht dem, was Studien ergeben haben. Das längste Leben haben Menschen mit leichtem Übergewicht. Man kann keinen Zusammenhang herstellen zwischen Übergewicht und Gesundheit. Du kannst eine dicke Frau sein und fit wie ein Turnschuh. Du kannst eine dünne Frau sein, die keine zwei Stockwerke raufkommt, ohne zu schnaufen. Man hat immer im Kopf: Die ist dick, das heißt die ist faul, die ist ungesund, unsportlich. Es geht mir nicht darum, Frauen, die gerne daheim am Sofa sitzen und Chips essen, einen Freibrief zu erteilen. Es geht darum, ein anderes Körpergefühl zu entwickeln. Ich bewege mich nicht, weil ich krampfhaft dieses eine Kilo noch abnehmen möchte, sondern weil ich merke, es tut meinem Körper gut.
Der Trend zur Selbstoptimierung erlebt ja auf dem heiklen Terrain des Alterns seinen Höhepunkt.
Man darf gar nicht mehr alt werden und wenn überhaupt, gibt es nur mehr diese eine Art, wie man alt werden darf. Und zwar total dynamisch und indem man viel jünger wirkt als man ist. Das sind dann diese "tollen älteren Frauen". Da wird schon wieder ein wahnsinnig starker Druck aufgebaut, der uns die Lebensqualität nimmt. Es herrscht ein ganz enges Maß und Ideal, wie man in jedem Alter als Frau zu sein hat. Dieses Ideal wird immer enger geschnürt.
Vielleicht sollte man das künftig mehr in die Erziehung einfließen lassen. Was würden Sie jungen Frauen und Mädchen denn an Botschaften mitgeben wollen?
Es gibt nur eine Version von dir selbst auf dieser ganzen Welt und die ist schon perfekt. Und es gibt einen Unterschied zwischen schön und hübsch. Jeder Mensch hat das Recht, sich schön zu finden. Schön ist vieles, eine Lichtstimmung, ein Lachen, eine Vase kann schön sein. Das, was ich als hübsch in meinem Buch definiere, ist das, was uns vorgegeben wird. Das, was uns medial und gesellschaftlich gezeigt wird, wie wir auszusehen haben – natürlich unterstützt von stark beworbenen Produkten. Und das hat niemand nötig. Echte Schönheit hat nichts mit schönen langen Haaren oder einem schmalen Gesicht zu tun, es ist eine Frage der Ausstrahlung. Und die kommt von der inneren Einstellung.
Buchtipp: "Fuck Beauty! Warum uns der Wunsch nach makelloser Schönheit unglücklich macht - und was wir dagegen tun können" von Nunu Kaller. KiWi-Verlag, 13,40 €
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