Sie, das ist Alice, gespielt von der unvergleichlichen Alba Rohrwacher, Inbegriff von weiblicher Verletzlichkeit und Stärke. Mit ihr mischt sich ein neuer Ton in die leise Midlife-Krisen-Komödie des französischen Regisseurs Stéphane Brizé, der zuletzt mit seiner Trilogie über die moderne Arbeitswelt („Der Wert des Menschen“, „Streik“ und „Another World“) beeindruckte.
„Zwischen uns das Leben“ erzählt von körperlicher und geistiger Erschöpfung, aber auch von den Folgen getroffener Entscheidungen – und den verpassten Gelegenheiten: „Irgendwann müssen wir akzeptieren, dass sich mit jeder Entscheidung manche Türen öffnen und andere schließen. Damit müssen wir klarkommen. Und die Art und Weise, wie das die Figuren in diesem Film erleben, ist so feinfühlig erzählt, dass es jeden anrührt“, erzählt Alba Rohrwacher im KURIER-Gespräch: „So wie es auch mich angerührt hat, obwohl mein Leben so ganz anders aussieht als das von Alice.“
Nachdem Alice von Mathieu verlassen wurde, stürzte sie sich in die Ehe mit einem Provinzdoktor, zog in den kleinen Küstenort und gründete eine Familie. Ihr musikalisches Talent lässt sie im Geheimen schlummern, ihr Geld verdient sie mit Klavierunterricht. All das erzählt sie dem verblüfften Mathieu, der immer noch nicht ganz fassen kann, plötzlich seiner Jugendliebe gegenüber zu sitzen.
Irrer Stress
Als Regisseur Brizé vor gut einem Jahr bei Alba Rohrwacher angefragt hatte, ob sie die Rolle der Alice übernehmen wollte, hatte sie gerade „irren Stress“, wollte den Film aber „unbedingt machen, obwohl Alice so ganz anderes ist als ich. Sie hat sich für ein mittelmäßiges oder laues Leben entschieden, was ihre Gefühle anbelangt. Aber dann beweist sie großen Wagemut. Vielleicht habe deswegen eine große Verbundenheit mit ihr gespürt.“
Alba Rohrwacher wuchs in Italien als Tochter eines deutschen Bienenzüchters und einer italienischen Lehrerin auf. Ihren deutschen Nachnamen hat sie, obwohl die Italiener mit dem „Ror-wak-ker“ kämpfen, nie verändert. Dafür arbeitet sie auch gerne in anderen Sprachen; Französisch sowieso, aber auch Englisch und Deutsch.
Mit ihr hat Stephane Brizé jedenfalls die bestmögliche Besetzung für seine Alice getroffen. Ihr zartes Gesicht verspricht eine Durchlässigkeit der Gefühle jenseits von Schwäche. Rohrwacher kann ihre Zerbrechlichkeit jederzeit in Durchsetzungskraft umschlagen lassen. Zu ihren besten Rollen zählen die in den Filmen ihrer Schwester Alice Rohrwacher – „Glücklich wie Lazzaro“ und zuletzt „La Chimera“.
Auch in „Zwischen uns das Leben“ wird Rohrwachers Fragilität zur Stärke. Von der gepanzerten Erfolgsgeschichte ihres Ex-Freundes unbeeindruckt, zeigt sie ihm die tiefen Verwundungen, die sein Beziehungsbruch hinterlassen hat. Aus dem gemeinsamen Abendessen werden mehrere Treffen – eines davon in einem Altersheim. Dort arbeitet Alice ehrenamtlich und hat sich mit einer 78-jährigen alten Dame angefreundet.
Coup im Altersheim
An dieser Stelle gelang Stephane Brizé ein wahrer Coup: Mitten in seine bittersüße (Ex-)Romanze, in der zwei erwachsene Menschen ihre (gemeinsame) Vergangenheit reflektieren, lässt er plötzlich einen dokumentarischen Moment aufblitzen. In einem Video-Interview erzählt die alte Frau im Altersheim freimütig aus ihrem Leben und davon, wie sie erst in ihren Siebzigern auf ihre große Liebe – eine andere Frau – getroffen war. Diese Liebesgeschichte in der Liebesgeschichte setzt wie eine Explosion neue Gefühlsströme frei und sortiert den Film noch einmal neu: „Die Zusammenarbeit mit den Menschen im Altersheim war wirklich wunderbar“, sagt Alba Rohrwacher. „Sie ist eine der schönsten Erinnerungen, die ich an diese Dreharbeiten habe.“
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