Peter Handkes „Zdeněk Adamec“ an der Burg: Hundstage in Humpolec
Fast drei Fußballspiele lang dauerte am Samstag die Premiere von Peter Handkes Einakter „Zdeněk Adamec“, der im Sommer 2020 bei den Salzburger Festspielen seine recht betuliche Uraufführung erlebt hatte. Und die Gäste auf dem Platz des A.F.C. Humpolec in Böhmen schossen viele Tore. Dies geht aus der Anzeigetafel hervor, die im Burgtheater Teil der grindigen Provinzidylle ist, die Aleksandar Denić für Frank Castorf und das siebenköpfige Ensemble gezimmert hat.
Zwischen Bushaltestelle, Straßenlaterne, Zäunen, Ölfässern und einer grün lackierten Holzhütte mit Veranda wuchern Werbeplakate. Sie propagieren das Verbrennen von Körperfett, erwartbar taucht auch der Coca-Cola-Schriftzug auf – in Kombination mit dem Energydrink „burn“. Ein zynischer Kommentar. Schließlich geht es in Handkes Stück um einen jungen Tschechen, der sich am Morgen des 6. März 2003 auf dem Wenzelsplatz von Prag in Brand gesteckt hat.
Sein Vorbild, Jan Palach, hatte 1969 sein Leben als „Fackel“ hingegeben, um ein Zeichen gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die damalige ČSSR zu setzen. Aber nun, 14 Jahre nach Ende des Kommunismus? „Ein Fanal für nichts und wieder nichts?“
Der Narr wird zum Irren
Handke, Widerspruchsgeist und mitunter ein Narr, wollte es genauer wissen. In seinem neuen Spiel vom Fragen beschäftigt sich eine Gruppe zunächst eher beiläufig, dann immer intensiver mit Zdeněk Adamec, geboren in Humpolec, und seinen Lebensumständen. Zentral wird der Abschiedsbrief, in dem der junge Mann die Zustände in der Welt – Energiekrise, Korruption, Kapitalismus – anklagt. Und die letzte Bitte: „Haltet mich nicht für einen Narren!“ Peter Handkes Übersetzung erscheint durchaus plausibel. Castorf aber setzt sich darüber hinweg: Er macht aus dem „Narren“ einen „Irren“.
Und er scherte sich auch sonst wenig. Eigentlich müsste man die Dialoge, wollte man Handke gerecht werden, auf mehrere Figuren mit bestimmten Eigenschaften verteilen, etwa auf den Erzähler, den Zweifler, den Neunmalklug und so weiter. Die Rollen würden, schreibt der Autor, im Verlauf der Begebenheiten klar werden. Doch von den Regieanweisungen hat Castorf nur eine beherzigt: Dass die Spielernamen die Namen der Spieler sind. Das passt eben zu seinem Theater.
Schon zu Beginn herrscht auf der Drehbühne eine Stimmung wie in „Hundstage“: Eine Clique schlägt die Zeit tot – mit Bier und Wodka aus einer Kalaschnikow-Glasflasche. Auf der Leinwand, die immer wieder an der Rampe heruntergelassen wird, sieht man die Übertragung eines Autocross-Rennens in Humpolec. Tschechische Punk-Musik, die sieben jungen Leute beginnen abzutanzen. Ein sehr starker Beginn.
Bis zur letzten Zeile
Bevor Castorf zur Sache kommt – mit dem amüsanten Hinweis, dass „eine Inszenierung bei Frank nie kurz wird“ – muss natürlich, wenn auch völlig unnötig, auf Handkes Position im Balkankrieg verwiesen werden. Daher gibt es auch eine Reklametafel für Zigarettenmarken aus Bosnien und Serbien. Und dann beginnt das Ensemble, den Text runterzuratschen. Oder zu schreien. Und zwar komplett (bis zur allerletzten Zeile des Buches, der Datumsangabe „Juli 2019“). Erstaunlich. Das war bei Elfriede Jelineks Covid-Stück „Lärm. Blindes Sehen. Blinde Sehen!“, das Castorf mit dem gleichen Leading-Team im Akademietheater realisierte, ganz anders.
Aber auch wenn Castorf den Handke-Text zu Gehör bringt, steigen jene, die ihn nicht kennen, aus. Weil z. B. Dialoge mit Rede und Gegenrede unstrukturierte Massen werden. Und weil das Geschehen auf der Bühne parallel läuft. Marie-Luise (Stockinger) ist sturzbesoffen auf Entzug, Mavie (Hörbiger) kriegt die Wehen, Hanna (Hilsdorf) erzählt von der Volksbühne, Marcel (Heuperman) grillt Würstel, Florian (Teichtmeister) kocht Suppe, Mehmet (Ateşçi) schüttet sie ihm über den Kopf, Franz (Pätzold) fragt sich, warum manche den Nobelpreis bekommen. Und alle zusammen würden lieber „Sieben Schauspieler suchen einen Autor“ spielen.
Mensch als Fackel
Castorf baut zwei Songs von Georg Danzer ein, er zeigt Ausschnitte aus dem tschechischen SW-Film „Ende August im Hotel Ozon“ von Jan Schmidt, er lenkt mit seinem Theater der Reizüberflutung (inklusive einer menschlichen Fackel) und der Assoziationen ab. Adriana Braga Peretzki steuert eine aberwitzige Modeschau bei: Das Ensemble trägt immer wieder neue Geschmacklosigkeiten, Latex- und Glitzerkostüme. So schaut man 4 Stunden und 10 Minuten begeistert zu. Auch wenn der tiefgründige Text dem Regisseur, der seinen Schauspielerinnen am liebsten auf die Beine sieht, am Arsch vorbeigeht.
Jubel, teils berechtigt.
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