Wiener Stadthalle: Große Shows nur nach Impfung oder "mit Schwimmreifen"
In der Wiener Stadthalle, dem größten Veranstaltungszentrum Österreichs, herrscht gespenstische Ruhe. Dort, wo im Normalfall über 300 Events im Jahr mit rund einer Million Besuchern abgehalten werden, wird bis (mindestens) Ende August kein Künstler und keine Künstlerin die Bühne betreten. „70 Veranstaltungen sind aktuell bis Ende August betroffen. Für etwa 45 wurden bereits Ersatztermine gefunden, acht Konzerte mussten endgültig abgesagt werden und für den Rest werden noch Ersatztermine gesucht“, sagt Wolfgang Fischer dem KURIER.
Fischer, seit 2012 Geschäftsführer der Wiener Stadthalle, im KURIER-Interview über abgesagte Shows, das Rage Against the Machine-Konzert am 12. September, aktuelle Herausforderungen und Chancen für die Zukunft; über Mindestabstände, eine Branche, die in Trümmern liegt und die Bedeutung der Kultur für die Lebensqualität.
KURIER: Eingangs eine Frage, die wohl viele Kartenbesitzer gerade beschäftigt: Findet das Konzert von Rage Against the Machine am 12. September statt?
Wolfgang Fischer: Das Veranstaltungsverbot der Bundesregierung gilt vorerst bis 31. August. Ich fürchte, die Betonung liegt auf vorerst.
Wie viele Einnahmen sind der Stadthalle entgangen?
Bis Ende August wird der Umsatzverlust wohl geschätzte 5 Millionen Euro betragen. Ich bin stolz und froh, dass wir in den vergangenen acht Jahren so gut und erfolgreich gearbeitet haben und 13 Millionen Euro an Rücklagen erwirtschaften konnten.
Wann rechnen Sie mit dem ersten Event nach der Krise?
Das hängt von den entsprechenden gesetzlichen Vorgaben ab. Mit der Notwendigkeit, 20 Quadratmeter pro Besucher vorzusehen, werden noch lange keine Events stattfinden. Große Shows, wie wir sie einmal gewohnt waren, erst dann, wenn es ein Medikament oder wohl eher eine wirksame Impfung gibt; und diese ausgerollt ist – wie lange immer das dann noch dauern wird. Dann müssen sich erst Künstler aus Übersee wieder nach Europa und Besucher zu größeren Menschenansammlungen trauen.
Apropos Mindestabstand: Könnten Konzerte in der Halle D (Fassungsvermögen von 16.000) mit 3.000 Besuchern zur Realität werden oder wäre das rein ökonomisch gar nicht möglich?
Ich vermute, dass die aktuellen Regelungen noch einer entsprechenden Überarbeitung unterzogen werden. Natürlich können auf jener Fläche, wo bei einem der bekannten Stehplatzkonzerte von Justin Bieber bis Lady Gaga 10.000 Menschen stehen, mit den 20 Quadratmeter je Besucher auch nur 1.500 eingelassen werden. Wie man allerdings die Abstände einhält, außer durch verpflichtendes Tragen von überdimensionalen Schwimmreifen mit einem Durchmesser von etwa fünf Metern, ist fraglich. Und die zweite Mathematikübung: Wenn derzeit drei Besucher pro Quadratmeter am Stehplatz erlaubt sind und dann ein Besucher auf 20 Quadratmeter kommen würde, dann müsste, um die gleichen Einnahmen zu erzielen, der Ticketpreis das 60-Fache ausmachen. Damit erübrigen sich Fragen der Zuteilung.
Welche Arbeiten können derzeit in der Stadthalle gemacht werden? Wie sieht es mit den Planungen für die kommende Saison aus?
Jenseits von entsprechenden Sanierungs- und Verbesserungsarbeiten in allen Bereichen der Wiener Stadthalle teilen sich die Aufgaben in drei Phasen. Die Phase des Shutdowns, die des Wiederhochfahrens und dann der Normalbetrieb. Die Phase der langsamen Öffnung ist – wie wir auch jetzt aktuell sehen – schwieriger als das rasche Herunterfahren. Da arbeiten wir an Alternativmodellen, je nach den gesetzlichen Vorgaben. Die Vorschau aufs nächste Jahr sieht derzeit gut aus.
Nehmen Sie aktuell also Anfragen für Shows an?
Natürlich, the show must go on. Aber die Anzahl der Abende pro Jahr ist nicht vermehrbar und was jetzt auf 2021 verschoben wird, steht für die regulär geplanten Tourneen und Shows für dieses Jahr dann eben auch weniger zur Verfügung.
Sie sind mit vielen Veranstaltern ständig in Kontakt. Was bekommen Sie zu hören?
Alles – zwischen zu Tode betrübter Weltuntergang bis Blick nach vorne, mit dem Bemühen, sich entsprechend aufzustellen. Zweifellos tun sich Großkonzerne leichter.
Dazu zählt der Konzert-Gigant Live Nation. Deren deutscher Geschäftsführer, Marek Lieberberg, sagte kürzlich: Die Branche liegt in Trümmern. Sehen Sie das ähnlich?
Es liegt nicht die Branche, sondern die gesamte Wirtschaft in Trümmern.
Was könnte man aus diesen Trümmern machen?
Trümmer muss man wegräumen und Zerstörtes wieder aufbauen – besser und zukunftsweisend aufbauen. Und versuchen, mit neuen Ideen Trendsetter zu sein. Das muss als Chance gesehen werden, denn die Situation ist, wie sie ist. Aus der Krise etwas zulernen, ist wohl eine der großen Aufgaben, über die man jetzt in Zeiten des Shutdowns, wo das Tagesgeschäft nicht 14 Stunden auf einen einprasselt, nachdenken könnte und sollte.
Welche Fragen tauchen bei diesem Nachdenkprozess auf?
Was bleibt digital, wie weit müssen wir hybrid werden? Wann trauen sich Menschen und Künstler wieder unter Menschenmassen? Wann wird das Wir-Gefühl, die „crowd energy“ diese Ängste überwinden? Wollen sie wieder gemeinsam große Momente live, authentisch erleben? Und was können wir dazu beitragen, außer Abstand halten und Masken tragen?
Die Wiener Stadthalle ist meist nur Austragungsort. Konzerte werden von diversen Veranstaltern organisiert, die nun über die weiteren Schritte entscheiden müssen. Ein Vorteil?
Ein derartiger Ausnahmezustand betrifft alle und hier gibt es wohl kaum Vorteile einer Krise. Aber natürlich ist das ökonomische Risiko als Veranstalter größer als jenes des Vermieters, weil auch der Hebel ein völlig anderer ist. Aber um Arbeitsplätze geht es da wie dort.
Unter welchen Voraussetzungen werden Tickets zurückgenommen?
Das ist ein komplexes Thema. Die jetzt getroffene Regelung (mit teils Gutscheinen, teils Auszahlung, Anm.) löst zwar erfreulicherweise teilweise Liquiditätsprobleme der Branche, ist aber auch nicht ganz einfach. Dem Kunden ist die Frage des Veranstalters nicht bewusst. Wir reden bis Ende August von 400.000 Tickets, also 400.000 Menschen, die Geld für eine verschobene oder abgesagte Veranstaltung ausgegeben haben. Und hier ist zweifellos auch eine soziale Komponente zu bedenken, bei derzeit rund 560.000 Arbeitslosen. Dass hier manche nicht sehr glücklich und teilweise schon auch ungehalten auf die Rückzahlung der Kartengelder bestehen, ist nachvollziehbar.
Viele Künstler und Player der heimischen Kulturszene fühlen sich von den politischen Entscheidungsträgern im Stich gelassen. Können Sie die Kritik nachvollziehen?
Natürlich ist in Zeiten einer noch nie da gewesenen Krise eine Priorisierung notwendig und zur Erfüllung der basalen Lebensbedürfnisse braucht es die Kultur vordergründig nicht. Aber was diese für die Menschen bedeutet, ist ja unbestritten und zweifelsfrei. Es gibt auch ein Menschenrecht auf Kultur und Unterhaltung – hier müssen sich alle Kulturschaffenden, -treibenden und -manager entsprechend positionieren. Kultur ist für die Lebensqualität einer Stadt enorm wichtig. Wien wurde zum wiederholten Mal in verschiedensten Rankings als eine der lebenswertesten Städte der Welt gewählt und hier spielt auch das immense Angebot an Kultur und Unterhaltung eine wesentliche Rolle.
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