Es gibt aber im „Rat“ zwei Personen, die scharf kritisiert werden.
Milo Rau hat gesagt, dass es in diesem Rat kaum jemanden gibt, mit dem er allumfassend übereinstimmen würde. Es gibt null Toleranz gegenüber Terror. Aber es sollte Toleranz gegenüber Menschen geben, die etwas zu sagen haben, auch wenn manche nicht mit dem einverstanden sind, was sie sagen.
Gibt es diese Toleranz nicht nur in eine Richtung? Entgegen der Ankündigung scheint der „Rat“ nicht das gesamte Spektrum abzubilden, er hat eine deutliche Schlagseite.
Es würde Rau entsetzen, wenn man ihm unterstellte, dass er eine antisemitische Schlagseite protegiert. Das hielte ich für eine maßlose Übertreibung eines Problems, das wir ohne Zweifel haben, nämlich die – sehr periphere – Teilnahme dieser zwei Personen zu rechtfertigen. Ich bin sicher nicht Advokat des ehemaligen griechischen Finanzministers. Der Umgang mit ihm fällt für mich unter Toleranz mit Andersdenkenden. Ich finde, dass wir uns gedanklich und emotional mit der Hauptsache beschäftigen und uns nicht in einigermaßen selbstverliebte Wiener Stellvertreterkriege verlaufen sollten.
Ariel Muzicant sagte zum KURIER, dass die Festwochen nicht antisemitisch seien, aber Antisemitismus fördern würden. Ist das falsch?
Das bezieht sich auf die Diskussion, ob Omri Boehm am Judenplatz sprechen darf. Boehm versucht, Perspektiven zu entwickeln, denen man nachsagen kann, dass sie illusionär sind. Aber er überlegt Perspektiven, die etwas verändern. Und er ist – das ist jetzt nicht das wesentliche Argument – selbst Jude und Israeli. So jemandem das Recht abzusprechen, auf dem Judenplatz eine Rede zu halten: Das würde beleidigend sein, auch wenn Ariel Muzicant das nicht beleidigend gemeint hat. Boehm hat kürzlich auf der Leipziger Buchmesse den Preis zur Europäischen Verständigung erhalten. So jemandem möchte man fünf Wochen später erklären, dass er nicht auf dem Judenplatz reden darf? Wir müssen zeigen, dass in dieser Zeit, in der zu Recht aufgeregt und bei vielen auch schockbehaftet über Israel und Gaza gesprochen wird, jemand guttut, der Perspektiven aufzeigt. Wir können nicht zulassen, dass die einzige Zukunftsvision die Hoffnungslosigkeit ist.
In der Kultusgemeinde gibt es dennoch eine große Debatte darüber.
Ich halte jede Diskussion über jede Idee, die nicht menschenverachtend ist, für gut. Und Milo Rau hat die IKG um ein Gespräch dazu gebeten.
Man hört, dass es Sicherheitsbedenken wegen der Rede gibt.
Es gibt eine Instanz, auf die man hören muss, das ist die Wiener Polizei. Und wenn sie Bedenken hat, dann sind sie zu beachten. Amateurhafte Sicherheitseinschätzungen halte ich für weniger wichtig.
Für wie wichtig halten Sie die Einschätzung der ERSTE Stiftung, die sich von der diesjährigen „Rede an Europa“ zurückgezogen hat?
Die Festwochen und die ERSTE haben eine jahrelange, wirklich gute Beziehung. Ich gehe davon aus, dass diese weiter stabil ist. Dass sich die Stiftung heuer aus der aktiven Rolle zurückgezogen hat, ist ihr gutes Recht. Es ist aber genauso das gute Recht von jedem, die Rede anzuhören – oder nicht zum Judenplatz zu gehen. Wir müssen wieder zur Debatte zurückkehren – und sollten nicht ein Tribunal abhalten.
Genau das macht Milo Rau ja bei den „Wiener Prozessen“. Dort wird erkundet, ob man die FPÖ verbieten soll. Wie unparteiisch ist das?
Er hat schon in der Schweiz einen „Prozess“ darüber abgehalten, ob die Weltwoche (ein viel kritisiertes Schweizer Boulevardblatt, Anm.) der Rassendiskriminierung oder der Verunglimpfung der Justiz schuldig ist. Am Ende wurde sie freigesprochen. Die Debatten waren viel interessanter als das Urteil. Ich glaube nicht, dass irgendjemand da das Gefühl hatte, dass es unklug war.
Sie sprechen Rau also davon frei, bewusst zu provozieren und Problematiken auf die Spitze zu treiben?
Nein! Es wäre auch ganz falsch, wenn er nicht bewusst provozieren wollte. Ich spreche ihn aber davon frei, tendenziös und ungerecht und unfair zu sein. Ein deutscher Journalist hat geschrieben: Wir müssen aus den intellektuellen Schützengräben heraus. Das finde ich ein sehr wichtiges Wort.
Aber dann verwendet Milo Rau die falsche Metapher: Zur Pressekonferenz kamen er und sein Team vermummt, mit den Wollhauben der Protestierenden.
Da gibt es zwei Sichtweisen: Zitierte er den Kämpfer, der im Schützengraben ist? Dann ist das schrecklich und falsch gedacht. Wenn aber die Vermummung ein Bild der Auflehnung und der Revolte gegen die Zustände ist, dann ist sie ein richtiges Zitat. Ich hoffe, dass es im Sinne des zweiten gedacht war.