Es macht, das ist bekannt, einen Unterschied, wer etwas sagt. Es macht aber zuweilen auch einen Unterschied, wo etwas gesagt wird. Und dieser feine Unterschied sorgt für Irritationen wie Ärger im Zusammenhang mit der diesjährigen Auftaktveranstaltung der Wiener Festwochen.
Bei der „Rede an Europa“ am kommenden Dienstag will der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm über etwas reden, das dem neuen Festwochen-Chef Milo Rau ein zentrales Anliegen ist. Dass nämlich über den Konflikt im Nahen Osten, der nach dem barbarischen Anschlag der Hamas am 7. Oktober in einen unerbittlichen Krieg mündete, deshalb so unterschiedliche Auffassungen in Europa herrschen, weil man ihn von unterschiedlichen historischen Wurzeln her betrachtet. In Österreich und Deutschland aus dem Grauen des Holocaust heraus; in Frankreich oder England aus der eigenen Kolonialschuld. Deutschland und Österreich erklärten sich daher solidarisch mit Israel, in Frankreich steht das Leid der Palästinenser im Zentrum.
Schon vorab gibt es Kritik am Ort der Rede - der Sponsor ERSTE Stiftung zog sich für heuer zurück.
Diese historische Spannung durch Europa, so Omri Boehm laut einer Vorab-Information, „droht die Europäische Union zu zerreißen“: Das „Spannungsverhältnis zwischen zwei historisch gewachsenen Positionen wird im Zuge der jüngsten Ereignisse im Nahen Osten zunehmend explosiv“.
Dieses Einspeisen des postkolonialen Diskurses in die Israel-Debatte hat bei den Festwochen schon für Verwerfungen gesorgt. Denn im intellektuellen, linken Milieu – siehe auch die US-Universitäten – finden sich, jedenfalls aus österreichischer Sicht, antisemitische Sentiments. Vor allem die ÖVP kritisierte die Festwochen. Rau sagte zuletzt in News, dass rechte Parteien die „berechtigte Sensibilität der beiden Täternationen Deutschland und Österreich instrumentalisieren.“
Nun haben die Festwochen aber auch Probleme mit einem langjährigen Sponsor bekommen. Denn Boehm – soeben in Leipzig mit dem Preis für Europäische Verständigung ausgezeichnet – wird seine „Rede an Europa“ auf dem Judenplatz halten.
Dort fanden schon die beiden vorhergehenden Reden an Europa statt. Dort steht auch das Mahnmal für die jüdischen Opfer der Shoah von Rachel Whiteread. Dass Boehm ausgerechnet auf dem historisch aufgeladenen Platz über den internationalen Gegendiskurs zu Israel sprechen will, daran hatten die Vertreter der ERSTE Stiftung Zweifel angemeldet. Die Verortung der Rede wurde von der Stiftung als in der derzeitigen geopolitischen Lage problematisch angesehen.
Doch bei den Festwochen gab es kein Einsehen: Sowohl Omri Boehm als auch der Judenplatz seien stets außer Frage gestanden.
Die ERSTE Stiftung, in die „Reden an Europa“ bereits seit der Konzeption involviert, zog daraufhin Konsequenzen – und sich zurück: Sie ist, so das offizielle Wording, in diesem Jahr „kein aktiver Partner“. Man nahm sich aus der aktiven Bewerbung der Rede. Das Pressegespräch, das am Montag im Gebäude der Stiftung hätte stattfinden sollen, wurde verlegt – auf Dienstag und in ein gutbürgerliches Kaffeehaus. Die Kooperation mit den Festwochen laufe weiter.
Boris Marte, seit Oktober 2021 Vorstandsvorsitzender der ERSTE Stiftung, will sich auf KURIER-Anfrage nicht zu den Beweg- und Hintergründen äußern. Es ist aber offensichtlich, dass die Stiftung unter Druck geraten ist.
Muzikant würde "Eier werfen"
„Wir haben an vielen Stellen interveniert“, sagt Ariel Muzicant zum KURIER. Der Unternehmer ist Interimspräsident des Europäischen Jüdischen Kongresses und Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses. „Bei Bürgermeister Michael Ludwig wie bei Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler – und auch bei der ERSTE Stiftung.“ Er sage nicht, dass das Programm der Festwochen antisemitisch sei, aber es fördere den Antisemitismus. Angesprochen auf Boehm, sagt Muzicant: „Es ist die falsche Rede am falschen Ort. Wäre ich 30 Jahre jünger, würde ich am Dienstag hingehen – und Eier werfen.“
„Fehlendes Feingefühl“
Die Wiener Kulturstadträtin würde wohl nicht Unmut freien Lauf lassen – im Gegenteil. Auf KURIER-Anfrage „begrüßt sie“ explizit die Wahl Boehms für die „Rede an Europa“. Sie sei vom Rückzug der Stiftung informiert worden, Sponsoring liege aber in der Zuständigkeit der Fördernehmer und „haben auf zugesagte Förderungen der Kulturabteilung keinen Einfluss“.
Aus der SPÖ-Spitze erfuhr der KURIER allerdings, dass Kaup-Hasler wegen der Angelegenheit „mit der halben Stadtregierung“ gesprochen habe. Man frage sich, ob sie und Milo Rau das notwendige Fingerspitzengefühl hätten. Der Aktivismus der Festwochen werde intern sicher Thema sein – aber erst nach dem heurigen Festival.