Wenn man nach einem Aushängeschild des heimischen TV-Journalismus sucht, landet man unweigerlich bei Corinna Milborn: Sie ist Puls4-Infochefin und führt ihre Seher aktuell durch die Corona-Krise – weil es einen Nutzen für die Gesellschaft hat, sagt sie im KURIER-Gespräch.
KURIER: Die Welt ist im Aufruhr, die Menschen wollen informiert werden wie selten zuvor. Wie nehmen Sie das wahr?
Corinna Milborn: Es betrifft nicht mehr nur die, die sich wie immer informieren wollen, was in der Welt los ist – jeder Einzelne ist betroffen von diesen Maßnahmen und muss informiert werden. Das schlägt sich in unglaublichen Seherzahlen bei uns nieder. Auf der anderen Seite werden wir zu einer Drehscheibe zwischen den Seherinnen und Sehern und den Behörden und der Politik.
Inwiefern?
Wir bekommen sehr viele Fragen von Leuten und hängen bei den Politikinterviews meistens einen Teil davon dran. Wir wählen die aus, von denen man das Gefühl hat, sie sind vom Thema her repräsentativ für viele.
Zeigen sich Behörden und Politik da kooperativ? Die haben ja eigentlich alle Hände voll zu tun.
Es ist nicht eingetreten, was ich befürchtet habe, nämlich dass Journalismus in der Krise sehr viel schwieriger wird. Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht, bekommen Interviews. Wir haben auch alle zwei bis drei Tage den Kanzler, den Gesundheitsminister, den Bürgermeister der Stadt Wien, die wichtigen Ministerinnen und Minister da. Alle sind bereit, Seherfragen zu beantworten.
Die Akzeptanz für die drastischen Einschränkungen unseres Alltagslebens ist sehr groß. Wie lange wird das anhalten?
Ich habe grad vor Kurzem einen Artikel gelesen von Anfang Februar, in dem gestanden ist, dass eine Quarantäne wie in Wuhan in einem demokratischen Land absolut undenkbar wäre. Jetzt sehen wir, wie schnell Menschen in der Lage sind zu reagieren, wenn sie verstehen, worum es geht. Ich habe den Eindruck, dass die Leute wirklich sehr diszipliniert sind, verstehen, warum sie das machen, und bereit sind, für das Große und Ganze große persönliche Opfer auf sich zu nehmen. Monatelang geht es aber nicht. Wenn die Leute länger als ein paar Wochen davon abgehalten werden, sich selbst zu versorgen und ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, dann wird es schwierig.
Wir haben im gesamten ProSiebenSat.1-Konzern schon sehr lange Maßnahmen – zum Beispiel eine No-Handshake-Policy und den Aufruf, große Meetings zu vermeiden. Wir sind da Schritt für Schritt reingegangen. Derzeit ist es so, dass wir die Teams in kleine Einheiten geteilt haben, die räumlich getrennt voneinander arbeiten und einander nicht sehen. Das heißt: Wenn jemand angesteckt ist, steckt er oder sie nur sehr wenige Personen weiter an, die man dann gesamt in Quarantäne schicken würde. Wir haben Fieberkontrollen und bei jedem Wechsel von Moderatoren wird alles nach einer genauen Richtlinie desinfiziert. Wir waren mit solchen Maßnahmen früher dran als Einrichtungen im Gesundheitswesen.
Journalistinnen und Journalisten freuen sich über hohes Interesse. Das hat eine Kehrseite: Für die Berichterstatter ist es eine strapaziöse Zeit. Die Menschen müssen anders arbeiten als gewohnt, sitzen oft allein zu Hause statt im Team, es gibt Massen an Nachrichten, die fast ausschließlich schlecht sind. Wie hält man die eigene Seele in Balance?
Ich gehe so damit um, wie auch sonst in Krisen: Ich versuche möglichst viel Sinn für die Allgemeinheit daraus zu gewinnen und das dafür zu nützen, um Menschen zu informieren. Aus diesem Sinn heraus ist es auch erträglich, die vielen schlechten Nachrichten zu konsumieren. Gerade aus Italien und Spanien gehen die Nachrichten wirklich ans Herz. Wir filtern sehr stark, was wir unseren Seherinnen und Sehern zumuten.
Was ist den Menschen an Schreckensbildern zumutbar?
Im Fernsehen haben wir die Möglichkeit einzuordnen und nachzufragen. Man kann bei einer Horrormeldung aus Italien dazusagen, was in Österreich gemacht wird, damit es nicht zu solchen Problemen kommt. Man kann schlimme Nachrichten zwar bringen, aber wir haben rundherum eine Einordnung, die dazu beiträgt, dass man als Zuseher was damit anfangen kann und nicht erschlagen vor dem Fernseher sitzen bleibt.
Wie geht es Ihrem Team?
In unserer Branche gibt es diese Entschleunigung, von der manche sprechen, ja gar nicht. Es ist das Gegenteil – es ist alles beschleunigt und unter erschwerten Bedingungen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern rate ich immer: „Nimm dir zwei Stunden für dich.“ Psychologen geben außerdem den Tipp, schwere Nachrichten auf den Vormittag zu legen, damit die Psyche noch Zeit hat, das bis zum Schlafengehen zu verarbeiten. Das ist natürlich schwierig, wenn man Abendnachrichten macht. Da ist es wichtig, dass man sich nach der Arbeit noch Zeit nimmt. Und: Guter Schlaf ist gut für das Immunsystem (lacht).
Puls24, der neue Nachrichtensender, profitiert von der Coronakrise, oder?
Der Sender wurde in einer politischen Krise, die durch das Ibiza-Video entstanden war, geboren und bei den Wahlen on air gebracht. Wir haben diesen Breaking-News-Modus in der DNA des Senders. Er ist sehr jung und alle, die dort arbeiten, sind es gewohnt, im außergewöhnlichen Modus zu arbeiten. Deswegen funktioniert das dort sehr gut. Medien spüren die Krise enorm – die Stornos in der Werbung sind enorm. Wir sind also keine Krisengewinner. Aber wir sind in der glücklichen Lage, dass unsere Arbeit Sinn macht und von vielen gesehen wird.
Kommentare