Groissböck ist um viele Engagements umgefallen. Sind Sie eher solidarisch mit der Regierung, die das Schließen der Veranstaltungsstätten verordnet hat, oder mit all den freischaffenden Sängern, Musikern, Schauspielern und Kabarettisten, die dadurch in eine Notlage geraten sind?
Da gibt es, wie bei so vielem im Leben, keine klare Antwort. Wenn in einer Extremsituation ein harter Lockdown nötig ist, dann ist er eben nötig. Er trifft uns alle. Dass sich viele Künstler alleingelassen fühlen, verstehe ich. Aber es gibt auch eine Entwicklung, die wir Kulturschaffende mitzuverantworten haben: das Überhandnehmen der Spaß- und Ich-Gesellschaft. Wenn man dann als Mitglied der Spaß- und Ich-Gesellschaft plötzlich die anderen zu Hilfe ruft, finde ich das schon eigenartig. Musik hat mit Geben und Nehmen zu tun. Und nur zu nehmen: Das hatten wir jetzt vier Jahre im Weißen Haus. Hinzu kommt, dass wir Kulturschaffenden uns in den letzten Jahrzehnten vielleicht zu wenig mit der Frage beschäftigt haben, welche Relevanz Kunst hat oder haben sollte. Wir hatten es uns zu bequem eingerichtet. Zumindest in Europa. Nun führt uns die Pandemie dieses Versäumnis sehr heftig vor Augen.
Sie meinen, dass Ihr Orchester in Cleveland immer auf dem Prüfstand war?
Wir mussten immer argumentieren, warum wir relevant sind. Ansonsten würden wir nicht mehr existieren. Ich sage daher: Runter vom hohen Ross, raus aus dem Elfenbeinturm! Denn wenn die Kunst nicht mitten in der Gesellschaft verankert, im Bewusstsein vorhanden ist, hat sie eben irgendwann auch keine Relevanz mehr.
Dann müssten Sie mit der Arbeit von Bogdan Roščić, dem Staatsoperndirektor, eigentlich sehr zufrieden sein.
Ja! Ich finde grandios, was er macht. Er hat eben nicht alle viere von sich gestreckt. Und er weiß, dass Kunst auffallen muss. Die Staatsoper ist daher auch jetzt präsent – im Fernsehen mit Premieren und mit der Lichtinstallation auf der Fassade. Ja, so macht man das!
Sie waren von 2010 an Generalmusikdirektor, verließen das Haus aber aufgrund von Differenzen mit Dominique Meyer, dem Vorgänger von Roščić. Tut es Ihnen leid, dass Sie den Job nicht jetzt innehaben?
Ich habe Bogdan Roščić nach seiner Ernennung kennengelernt – und festgestellt: Mit ihm könnte ich wirklich gut zusammenarbeiten. Aber ich dirigiere ja ohnedies wieder an der Staatsoper.
Zum Beispiel die „Elektra“. Sie haben die Oper bei den Salzburger Festspielen zusammen mit den Wiener Philharmonikern in der Felsenreitschule zu Gehör gebracht – und wenig später an der Staatsoper. Welcher Orchestergraben ist denn besser geeignet?
Die Musiker hören sich gegenseitig in der Staatsoper besser, das ist überhaupt keine Frage. Aber die Felsenreitschule ist einfach sensationell für Produktionen mit großer Besetzung. Sie wird zu einem magischen Raum. Denn dort wird der Klang noch mehr aufgefächert. Ich bin ein echter Fan der Felsenreitschule geworden – nicht erst seit der „Elektra“, sondern schon davor bei der „Salome“. Der Raum spielt permanent mit. Das ist etwas Faszinierendes!
Ist es nicht nach wie vor erstaunlich, dass die Festspiele stattfinden konnten?
Es braucht immer jemanden, der vorne anzieht und nicht aufgibt. In Salzburg ist das Helga Rabl-Stadler, die Präsidentin. Ohne sie hätten die Festspiele nicht stattgefunden. Die zieht an – und ihr Team zieht dann eben mit. Und dadurch gerät etwas in Bewegung. Auch Bogdan Roščić ist so jemand. Ich finde es schade, dass die anderen Bundestheater, die Volksoper und die Burg, nicht mehr Initiativen zeigen.
Dieser Tage hätte im Burgtheater eine Paraphrase auf Mozarts „Zauberflöte“ des Kommandos Himmelfahrt Premiere haben sollen. Ist der Ort der richtige?
Jeder darf und soll sich mit der „Zauberflöte“ beschäftigen, wenn er es ernst meint. Es gibt bei ihr drei Ebenen: das Wiener Volksstück, die Opera seria und den philosophischen Hintergrund. Man muss allen drei Teilen gerecht werden. Ich plane für Cleveland eine Produktion zusammen mit Nikolaus Habjan und sah mir daher den Teaser für „Zauberflöte – Eine Extravaganza“ auf der Burgtheater-Website an. Danach war ich einfach nur deprimiert.
Warum denn?
Die Macher sondern nur eine Plattitüde nach der anderen ab. Und die Behauptung, dass die „Zauberflöte“ ein schlechtes Stück sei, empört mich! Sie ist nicht ohne Grund eine der meistgespielten Opern. Es geht um etwas nach wie vor Gültiges: die Versöhnung von Gegensätzen, die Sehnsucht nach Harmonie. Aber dem Kommando Himmelfahrt scheint es darum zu gehen, die „Zauberflöte“ zu einer Revue verhunzen zu wollen. Viele Künstler fordern, dass die alte Normalität wieder einkehren soll. Nein, diese Normalität will ich nicht! Ich will die Kunst nicht in diese billige Unterhaltungsmaschinerie hineinmanövriert sehen. Dieses schrille Heischen nach Aufmerksamkeit hatten wir ohnedies schon zur Genüge! Wir sollten uns mit großer Kunst ernsthaft auseinandersetzen. Das ist nicht retro, das ist nicht konservativ, das hat mit Tiefgang zu tun!
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