Was, wenn sich die Säle nicht mehr füllen, auch wenn die Maßnahmen abgeschafft sind?
Was, wenn insbesondere jene Bereiche wegbrechen, die schon vor der Pandemie vor allem aus dem Schwung der eigenen Geschichte und einer Kontinuität im Publikum heraus überlebt hatten?
Was, wenn die Pandemie zu einer Verstimmung zwischen Kultur und Publikum führt – weil Letzteres sich auf manche Art allein gelassen gefühlt hat?
Was ist, wenn die Politik in der Krise gelernt hat, dass es auch ohne Kultur geht?
Schwarzmalerei ist eine allzu einfache Übung. Aber auch abseits dieser lohnt es sich nachzudenken, ob in und mit der Kultur nicht gerade mehr passiert als eine vorübergehende Unterbrechung eines Normalzustandes. Denn immerhin erleben wir neben der gesundheitlichen und der gesellschaftlichen Krise auch eine Krise des gemeinsamen Erlebens und eine Krise der Schönheit. Von den beiden Letzten könnte in der Kultur schon etwas übrig bleiben, das nicht so schnell wieder „normal“ wird.
Verstärkt wird dieser Gedanke dadurch, dass die Kultur seltsam ungelenk auf Corona schaut. So scheinen manche Stärken, die die Kultur sonst auszeichnen, in diesen besonderen Zeiten ins Gegenteil umzuschnappen: Etwa, dass sich Werke und Kulturschaffende dem Zeitlosen mehr verpflichtet sehen als dem Leben da draußen. Wenn dieses Leben derzeit mit ganz vielen, sehr existenziellen Herausforderungen einhergeht – die Kultur aber hauptsächlich Antworten auf ganz andere Fragen liefert, droht eine atmosphärische Entfremdung.
Die großen Opern haben mit dem Jetzt so wenig zu tun wie schon lange nicht mehr.
Aber auch die Popkultur bleibt in ihrer Haut gefangen und begleitet das Publikum dezidiert nicht durch diese eigenartige Zeit. Und dort, wo sich etwa die Popmusik mit der Pandemie beschäftigt, bleibt diese Auseinandersetzung unangenehmerweise Weise Allround-Kritikern wie Eric Clapton überlassen.
Wo die Kultur von der Krise redet, redet sie oft von Freiheit. Aber es zeigen sich da die engen Grenzen eines eher eindimensionalen Freiheitsbegriffes, den die Kultur aus früheren Zeiten – aus dem Jahr 1848, dem Rock ’n’ Roll, dem Punk – ins Heute zu übertragen versucht. Da geht es oft um ein Handeln gegen die Mehrheit, um Aufbegehren gegen Autorität, um ein „Nicht mit mir“.
Dieser Wilhelm-Tell-Begriff von Freiheit ist aber in Zeiten, in denen „die da oben“ vielleicht Recht haben, in denen es nicht nur um persönliche, sondern um gemeinsame Freiheit geht, in denen die Ablehnung von Autorität schnell in Telegram-Gruppen endet, hoffnungslos unterkomplex. Mancher Künstler, der sich anhand dieses Bildes von Freiheit als Wissender und Kritischer geriert, kommt alles andere denn als Genie rüber.
Auffällig ist der allseitige Willen zum Alltag, wo es weit und breit keinen Alltag gibt – insbesondere bei manchen Intendanten. Man versucht zu spielen, was man sich eben – zumeist vor der Pandemie – so vorgenommen hat. Aber ist dieses „Weiter wie früher“ alles, was die Kultur im Angesicht einer Zeit, die auf Jahrzehnte prägend sein wird, im Köcher hat? Einfach an den Abo- und Repertoirebetrieb, in dem höchstens die eine oder andere Premiere aufschreckt, nahtlos anknüpfen zu wollen, scheint ein eigentlich erstaunlich biederes Ziel.
Und eine vertane Chance, nachzudenken, wo die Kultur schon vor der Krise neue Ideen gebraucht hätte. Etwa bei den Angeboten für die Jungen, beim Hinterfragen eines eingefrorenen Kanons an Stücken, bei der Vermittlung. Es gibt auch andere Richtungen als zurück.
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