Warum der Mensch so gern vom Mond träumt

Warum der Mensch so gern vom Mond träumt
50 Jahre Mondlandung. Von Goethe und Schönberg bis Wallace und Gromit: Der Mond inspirierte Kunst und Kultur.

Man kennt das: Zwar gibt es Tee und Cracker zu Hause.

Aber keinen Käse!

Da hilft, natürlich, nur eines: Die Reise zum Mond, die Wallace und Gromit, die wunderbaren britischen Knetfiguren, dann auch gleich unternehmen.

Denn man weiß das ja: Das gelbe Ding da oben am Himmel ist aus Käse.

Und Hunger ist ein guter, wenn auch wahrlich nicht der einzige Grund einer Fantasiereise zum Mond.

Inspirationsflut

Der Erdtrabant zieht nämlich nicht nur das Wasser an, sondern auch seit Menschengedenken die inspirationssuchenden Blicke emotional bewegter Kulturtalente (oder eingerauchter Hippies). Und er reflektiert nicht nur das Sonnenlicht, sondern auch die oft banalen, ganz selten hochverfeinerten Hoffnungen, Ängste, Sehnsüchte der Menschen; er ist ein bewältigbares Stockerl, um gedanklich in die unendlichen Weiten dahinter hochzusteigen; und als emotionaler Schutzwall vor dem Weltall sozusagen der vorgelagerte Lido für das Venedig der Erde; er ist Begleiter in den dunklen Stunden, die oft die wichtigsten im Leben sind.

Er ist bedeutungsschwer aufgeladen, als Sinnbild für Liebe, Weiblichkeit in der Romantik, als Angst- und Politik-Ort (in „Iron Sky“ überlebten die Nazis auf dem Mond!) in der Science Fiction, oft auch als mythischer Erdbegleiter, der nichts Besseres zu tun hat, als die Leben der Menschen zu beeinflussen.

Und aus all dem entstand, neben viel klischeebeladener Wegwerfware, eine Unzahl an Meisterwerken, mehr, als sich hier auch nur irgendwie abbilden lässt, deren Wiederkonsum sich anlässlich des Mondfahrt-Jubiläums aber jedenfalls lohnt.

Mondfahrt mit Goethe

Also auf, zum Mond. Dorthin lockt etwa ein Maikäferbein: Der Kinderbuchklassiker Peterchens Mondfahrt führt zwei Geschwister auf dieser doch eigenartigen Suche auf den Mond, wo Wind und Donner und der Regen leben, und die Sterne auf die Kinder aufpassen. Dazu summt sich La Le Lu („nur der Mann im Mond schaut zu“) ganz hervorragend.

So viel Mondnostalgie!

Wer lieber mit Hochkulturwissen aufgeladen gen Weltall blickt, darf sich mit Goethe rühmen: Der richtete ein Gedicht An den Mond, und bringt darin nächtlichen Nebelglanz zusammen mit der Sehnsucht nach Ruhe und Freundschaft, was wenig originell scheint, aber gut das Mond- und Menschenbild des 18. Jahrhunderts zusammendestilliert.

Vorsicht, argumentativ rutschig wird es bei Beethoven: Der nannte nämlich seine Klaviersonate Nummer 17 gar nicht Mondscheinsonate; der marketingmäßig hervorragende Begriff wurde von einem Kritiker, der sich durch die Musik an einen Bootsausflug erinnert fühlte, erst nach dem Tod des Komponisten geprägt.

Genug Romantik? Im seelen- und wahnsinnsverliebten 20. Jahrhundert schauten die Musiker eh lieber auf die dunkle Seite des Mondes.

Arnold Schönberg etwa vertonte 1912 den Gedichtzyklus Albert Girauds zum Pierrot Lunaire, zum mondwahnsinnigen, haltlosen Clownhelden, der sich mondestrunken durch die abstrakte Welt spricht.

Und ja, keine Kulturschau zum Mond kommt an Pink Floyd vorbei: Die britische Band improvisierte nicht nur live den Soundtrack zur BBC-Übertragung der Mondlandung, sondern legte 1973 The Dark Side Of The Moon vor; eines der erfolgreichsten Alben überhaupt und dank des Titels natürlich bei jedem erdenklichen Mond-Kontext rasch bei der Hand. Wir sehen einander auf der dunklen Seite des Mondes, heißt es da im Finale eines Albums, das die emotionalen Komplexitäten (Geld, Zeit, Krieg, Tod) des modernen Lebens bis in den Wahnsinn begleitet. Und nein, es gibt keine dunkle Seite des Mondes, „in Wirklichkeit ist er ganz dunkel“, heißt es zu Recht auf dem Album.

Danke, sagt der Werwolf

Überhaupt ist das angeblich so moderne 20. Jahrhundert nicht so recht vom Mythos Mond losgekommen, insbesondere in der Popkultur. Auch hier gilt er großflächig als Chiffre für die unbeherrschbaren Abgründe und Ängste. Was wäre etwa das prägende Horrorgenre ohne Werwölfe, und was wären die wiederum ohne Mond? Nur dank ihm kann aus dem Fluchbelasteten dann das mordende Monster werden, das Tier im Menschen sich auch in der kontrollierten Moderne noch einen Exzess leisten.

Oder die Angst vor dem Unbeherrschbaren: Schon bei Jules Verne verfehlen die Mondfahrer ihr Ziel; danach gibt es einen reichhaltigen Science-Fiction-Kanon rund um Mondinvasionen, Mondbewohner oder vom Mond ausgelösten Katastrophen.

Exemplarisch etwa: Bei der 70er-Jahre-Fernsehserie Mondbasis Alpha 1 fliegt der Mond nach einer Katastrophe in die Weiten des Weltalls und reißt die Bewohner einer Mondstation mit sich; das ist irgendwie das Gegenteil der Mondlandung.

Letztere fungierte in der Science Fiction durchaus als Entzauberung; seitdem der Mensch auf dem Mond spazieren ging, ist er als Vision doch ein wenig in sich zusammengefallen. Und taugt eher zur Verhandlung dessen, was politisch auf der Erde passiert: Er ist eine Leinwand, auf der die Menschheitskonflikte nachgemalt werden.

Bei Ai Weiwei und Olafur Eliasson ganz wörtlich: Die beiden Künstler schufen ein Projekt, bei dem jeder etwas auf den Mond zeichnen kann, dieser wird zum Ort der Kommunikation mit „dem Rest des Universums“.

Warum der Mensch so gern vom Mond träumt

Dieser Rest bleibt auch ein halbes Jahrhundert nach der Mondlandung noch unerreichbar. Sehen wir uns in 50 Jahren dann auf der dunklen Seite des Weltalls?

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