95. Oscarverleihung: Normalität statt Diversität
Der Schall der Ohrfeige war weltweit zu hören. Als Will Smith vor ziemlich genau einem Jahr während der 94. Oscarverleihung seinem Kollegen Chris Rock einen Schlag ins Gesicht versetzte, weil dieser einen geschmacklosen Witz über seine Frau gemacht hatte, schossen die Einschaltquoten in die Höhe. Im Anschluss an den unliebsamen Vorfall stieg die Anzahl der Fernsehzuschauer gleich um eine halbe Million.
Eines kann man daher für die kommende Oscarnacht von Sonntag auf Montag mit Sicherheit vorhersagen: Es wird eine Menge guter (und weniger guter) Scherze über „The Slap“ geben.
Wie bereits in den Jahren 2017 und 2018 führt heuer der Comedian Jimmy Kimmel als Gastgeber durch den Abend. Die erste Anspielung auf das Smith-Rock-Fiasko ließ nicht lange auf sich warten. Für die diesjährige Gala-Show in Los Angeles wurde nicht, wie seit 1961 üblich, ein roter Teppich ausgerollt. Anstelle des roten Klassikers ziert ein Teppich in der Farbe Champagner-Weiß den Weg zum Dolby Theatre.
„Die Entscheidung für einen hellen Teppich beweist: Wir sind zuversichtlich, dass kein Blut fließen wird“, feixte Kimmel beim Anblick des ungewohnten bleichen Läufers. Der Geschäftsführer der Academy, Bill Kramer, sah den Farbwechsel weniger dramatisch. Er begründete ihn damit, dem Schaulauf der Stars über den ... äh ... weißen Teppich einen eleganteren Look verpassen zu wollen.
So oder so, der Kampf gegen die sinkenden Einschaltquoten geht weiter. Um die gefühlt endlos lange Preisverleihung zeitlich zu straffen, hatte sich die Academy im Vorjahr mit der Entscheidung unbeliebt gemacht, in acht Oscar-Kategorien die Gewinner nicht live zu zeigen. Das Protestgeheul war groß, die Gala trotz der Kürzungen über dreieinhalb Stunden lang. Die Academy zeigte sich reumütig: Heuer werden wieder alle Gewinne in allen Kategorien live übertragen.
Damit trotz der Länge niemand vor dem Fernseher wegbricht, sind hochkarätige Music Acts wie Rihanna angekündigt: Sie wird ihren Song „Lift Me Up“ aus „Black Panther: Wakanda Forever“ performen. Lady Gaga befindet sich zwar auch im Publikum, gibt „Hold My Hand“ aus „Top Gun: Maverick“ allerdings nicht zum Besten. Dafür wird Lenny Kravitz die Trauerkolumne „In Memoriam“ musikalisch begleiten.
Kassenmagneten
Eines kann man heuer nicht behaupten: Dass sich in der Kategorie Bester Film nur cinephile Werke tummeln, die kein Mensch gesehen hat.
Im Gegenteil: Gleich zwei fette Kassenmagneten konkurrieren in der Königskategorie. Sowohl „Top Gun: Maverick“ mit Tom Cruise, dessen Riesenerfolg laut Steven Spielberg die Filmindustrie nach der Pandemie vor dem Untergang gerettet hat, als auch James Camerons Mega-Hit „Avatar: The Way of Water“ sind nominiert. Baz Luhrmanns hyperaktiver „Elvis“, mit dem charismatischen Austin Butler in der Titelrolle, zog ebenfalls stark an den Kinokassen.
Jeweils neunfach nominiert sind Martin McDonaghs schwarze Komödie „The Banshees of Inisherin“; und die deutsche Netflix-Produktion „Im Westen nichts Neues“, in der der österreichische Burg-Schauspieler Felix Kammerer die Hauptrolle spielt. Die Chance, dass sie großflächig abräumt und in der Kategorie bester internationaler Film gewinnt, ist sehr groß.
Österreich spielt mit
Apropos internationaler Film: Der heimische Oscar-Kandidat „Corsage“ von Marie Kreutzer wurde nicht nominiert. Dafür steht die österreichische Cutterin Mona Willi auf der Nominierungsliste für bestes Editing. Sie hat Todd Fields exzellentem #MeToo-Drama „Tár“, mit Cate Blanchett in der Hauptrolle, den signifikant eleganten Schnitt verpasst.
Glaubt man den Hollywood-Insidern, hat die elffach nominierte Sci-Fi-Komödie „Everything Everywhere All at Once“ die größten Chancen auf die wichtigsten Trophäen und wird als Gewinner des Abends hervorgehen.
Steven Spielberg gilt als Legende der amerikanischen Filmindustrie und ist mit seinem wohl persönlichsten Film „The Fabelmans“ siebenfach nominiert; trotzdem ist es gut möglich, dass er in den wichtigsten Kategorien wie bester Film und beste Regie leer ausgeht.
Große Hollywood-Player können nicht mehr automatisch mit großen Würdigungen rechnen; auch Filme über das Filmemachen liegen nicht mehr so stark im Trend.
#MeToo scheint ebenfalls kaum noch Thema zu sein. Zwar sind Filme wie „Tár“ und Sarah Polleys Drama „Die Aussprache“, in der sich eine Gruppe von Frauen gegen ihre gewalttätigen Männer wehrt, im Oscar-Rennen. Doch Maria Schraders Investigativ-Thriller „She said“, der die Reportage rund um Harvey Weinstein dokumentiert, ging bei den Nominierungen leer aus. Und das Massenpublikum blieb allen drei genannten Filmen fern.
Auch die Diversität bei den Nominierungen in den Hauptkategorien lässt zu wünschen übrig. Immerhin wurde Michelle Yeoh für ihr Spiel in „Everything Everywhere All at Once“ als beste Hauptdarstellerin nominiert und wäre, im Fall eines Sieges, die erste asiatische Darstellerin, die diesen Oscar bekäme.
Schwarze Schauspielerinnen und Schauspieler sind in diesem Jahr in der Kategorie für beste Hauptdarstellerin oder besten Hauptdarsteller keine im Rennen.
Kommentare