Kay Voges kam mit großen Hoffnungen von Dortmund, wo er das Schauspiel geleitet hatte, nach Wien. Doch nichts lief so, wie er es sich ausgemalt hatte. Die Sanierung des Volkstheaters dauerte länger als angekündigt, die Zahl der Abonnenten fiel ins Bodenlose, und wegen der Pandemie konnte der „Chefkoch“, 1972 in Düsseldorf geboren, nicht sein Menü servieren. Aber aufgeben? Gilt nicht!
KURIER: Vor ein paar Tagen ließen Sie einen „Rückblick auf ungefähr 100 Tage Volkstheater“ veröffentlichen. Das stimmt aber nicht ganz.
Kay Voges: Wir sind am 3. September gestartet – und so waren wir Mitte Dezember mit den 100 Tagen durch. Aber ja, leider waren es nur 70 Spieltage, weil der vierte Lockdown dazwischen kam.
Es stimmt trotzdem nicht.
Die zehn Tage Housewarming vor dem Sommer haben wir nicht dazugerechnet.
Sie sind bereits seit dem September 2020 Direktor.
Richtig. Aber die Spielzeit 2021/22 ist meine erste volle Saison. Und in diesen vergangenen 100 Tagen gab es insgesamt 185 Veranstaltungen, darunter elf Premieren und zehn Konzerte.
Das Volkstheater erhielt für 2021 von der öffentlichen Hand an Steuergeld … ?
Knapp 16 Millionen Euro.
Hat es eine adäquate Leistung erbracht?
Was wir in diesen Monaten geleistet haben, ist unbezahlbar. Es war aufgrund der Lockdowns ein Horrorjahr! Ich habe nicht nur einen Spielplan gemacht, sondern vier, und wir haben viele Monatspläne erstellt, die im Mülleimer gelandet sind. Natürlich: 80 Spieltage in einem Jahr – das ist eine Katastrophe! Aber eine Diskussion darüber, ob das jetzt Geldverschwendung ist, ist sehr gefährlich. Manche meinen, dass man, das habe sich in den Lockdowns gezeigt, auch ohne das Theater auskommen könne. Solche Reden werden schon geschwungen, etwa in München. Dort will man den Kulturetat aufgrund der wachsenden Schulden um sechs Prozent senken.
Wie legitimieren Sie also die 16 Millionen Euro?
Man könnte auch fragen: Was haben den Staat die Hotels und die Gastronomie gekostet? Was kosten die Schilifte? Ja, alles kostet wahnsinnig viel Geld – und der Effekt ist gering. Wir befinden uns in einer gesamtgesellschaftlichen Ausnahmesituation. Und konkret zum Volkstheater: Ungefähr 70 Prozent unseres Etats machen die Personalkosten aus. Die Menschen hier wollten arbeiten. Aber sie konnten nicht.
Sie könnten seit 12. Dezember arbeiten. Aber bis zum 7. Jänner ist das Haus ohne Not geschlossen. Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer ist darüber nicht wirklich erfreut.
Cay Stefan Urbanek, der Geschäftsführer, und ich saßen mit dem Vorstand zusammen. Die Frage war: Wie schaffen wir es, nicht in eine Schieflage zu geraten? Das Angebot der Politik ist eben Kurzarbeit. Hinzu kommt: Es ist unfassbar toll, dass einem verschuldeten Theater in der Nachbarschaft geholfen wird. Aber ich habe nicht nur eine künstlerische, sondern auch eine wirtschaftliche Verantwortung. Ich will meinen Beitrag dazu leisten, dass dieses 130 Jahre alte Erbe auch die nächsten 130 Jahre besteht. Daher haben wir uns entschlossen, nicht zu spielen.
Das fiel Ihnen leicht?
Keineswegs. Ich will Theater spielen! Aber mir ist auch ein Stein vom Herzen gefallen. Denn ich habe mir, wie ein Chefkoch, ein Menü überlegt. Und dann konnte ich nicht die Gänge hintereinander servieren, ich war zu permanenter Notstandsverwaltung gezwungen. Daher haben wir gesagt: Wir hören auf, immer nur zu reagieren. Denn das andauernde Umplanen ist kräfteraubend. Sondern ich setze den Punkt, wann es wieder losgeht. Eben ab 7. Jänner mit dem Phantomtheater „Black Box“ – und ab 12. Jänner mit „Ach, Sisi – Neunundneunzig Szenen“. In dieser Stückentwicklung nähert sich Rainald Grebe zusammen mit dem Ensemble dem Mythos Sisi an. Das ist eine unterhaltsame Kuriositätensammlung samt vertonten Gedichten der Kaiserin. Im Jänner und Februar wird es viele Vorstellungen geben: Das ist ein echter Spielplan! Nicht immer auf der großen Bühne, aber an jedem Abend ist hier im Haus was los. Und ab Anfang Februar wird hoffentlich auch unser Kaffeehaus offen sein. Obwohl ich zugeben muss: Wenn ich die Berichte über Omikron lese, bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich tatsächlich das Zepter in der Hand habe.
Franz Patay, Chef der Vereinigten Bühnen Wien, sagte zur „Presse“: „Wir bekommen eine Subvention, also wird auch von uns erwartet, dass wir eine Gegenleistung bringen.“ Fühlen Sie sich nicht verpflichtet, Programm zu machen – sei es zumindest mit Streamings?
Von der Pandemie sind alle betroffen. Aber wir haben eine spezielle Situation: Unter meinen Vorgängern Michael Schottenberg und Anna Badora ist die Zahl der Abonnenten stark zurückgegangen – auf 2.500. Mit der Schließzeit aufgrund der Gebäudesanierung fiel die Zahl, was mich wirklich schockiert hat, auf 250. Es gibt also keinen Besucherstamm mehr. Andererseits: Unsere Auslastung fällt nicht, sie steigt. Denn wir haben bei Null begonnen.
Dass der Besucherschwund auch mit Ihren Angeboten zusammenhängen könnte?
Die Menschen haben ja nicht geschaut, was wir machen, und sind dann weggerannt, sondern sie sind gar nicht erst gekommen. Der traurigste Moment im Herbst war für mich, dass zur Premiere von „Drei Schwestern“ nur 300 Menschen kamen. Trotz eines bekannten Titels der Weltliteratur, trotz der gefeierten Regisseurin Susanne Kennedy. Es wurde hochklassiges Handwerk geboten! Die Mundpropaganda führte dazu, dass mit jeder Vorstellung mehr Besucher kamen. Da haben wir gesehen: Es geht aufwärts! Aber dann kam der nächste Lockdown …
Das angestammte Publikum hätte sicher gerne „Drei Schwestern“ gesehen. Aber es dürfte aufgrund der Erfahrungen unter Badora geahnt haben, dass es nicht den Text von Anton Tschechow geboten bekommt.
Im Rheinland sagt man: Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Aber Wien ist doch eine weltoffene Stadt. Und man will nicht immer das Gleiche essen!
Wiener Schnitzel geht wohl täglich. Und permanent Dekonstruktion: Das ist auch immer das Gleiche!
Wir sind trotzdem eine Menüerweiterung!
Sie haben nun einen „Neustart“ versprochen. Aber ich kann nichts Neues erkennen: Sie bringen, was Sie für den Herbst geplant hatten …
Es ist ein „Restart“. Wir haben, wie ein Flugzeug, gerade abgehoben, mussten aber wieder aufsetzen. Und nun stehen wir erneut auf der Startbahn, um abzuheben. Unter anderem ab 15. Jänner mit „humanistää! – eine abschaffung der sparten“, einer tiefen Verbeugung vor dem Sprachkünstler Ernst Jandl.
Welches Ziel haben Sie für den Rest der Saison?
Wir wollen das Ensembletheater für die Stadt sein. Wir wollen das Volkstheater zum Klingen bringen. Und wir wünschen uns: Wachstum, Wachstum, Wachstum! Mein langfristiges Ziel ist eine Auslastung von 70 Prozent. 500 verkaufte Sitze von 850: Dahin müssen wir kommen! Dafür werden wir kämpfen! Aber ja, das ist wie beim Fußball: Um in der Champions League mitspielen zu können, muss man noch einige Ligaspiele absolvieren.
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