Für viele heißt es derzeit also: Bitte warten! Vor allem Indie-Labels haben dabei oft das Nachsehen gegenüber großen Plattenfirmen. Übergangen fühlt sich Nadja Haderer, die das in Wien ansässige Label Ink Music betreut, auf dem Bands wie Sharktank, Leyya oder 5K HD ihre Platten veröffentlichen, zwar nicht, aber Fakt ist: „Ich nehme an, dass Major-Labels bei Presswerken Vortritt erhalten, weil sie ein ganz anderes Auftragsvolumen haben als kleine Labels wie wir.“ Haderers Einschätzung wird von Peter Wendler bestätigt: „Natürlich haben die großen Player im Musikbusiness einen massiven Einfluss. Gerade wenn relativ zeitnah neue Alben von absoluten Megastars wie ABBA, Adele, Helene Fischer etc. veröffentlicht werden, sind mehrere Vinyl-Pressen über Wochen im 24/7-Betrieb ausgelastet.“
Manche Presswerke würden aktuell keine Neukunden mehr aufnehmen, berichtet Johannes Piller. Der Musiker und DJ ist Mitbegründer von vlan.radio und veröffentlicht als Kobermann unter anderem auf dem Wiener Label Goldgelb Records. „Als kleines Label oder Künstler, der alles selber macht, hast du aktuell das Nachsehen. Da aber allgemein Ressourcenknappheit herrscht, sind bei allen die Wartezeiten gestiegen. Bei einer aktuellen Produktion, bei der ich beteiligt bin, sind es 28 (!) Wochen, die wir auf eine 12inch in einer Auflage von 200 Stück warten“, seufzt Piller.
Die Engpässe und Unsicherheiten bei der Produktion machen eine seriöse Planung nahezu unmöglich, da die langen Vorlaufzeiten einfach eine große Unbekannte in der Gleichung sind. „Aktuell gibt es bei der Vinyl-Produktion einen Vorlauf von mindestens fünf bis sechs Monaten, sogar auf eine Nachpressung wartet man teilweise ein halbes Jahr. Man muss viel früher zu planen beginnen und entscheiden, ob man überhaupt eine Schallplatte macht – oder nicht“, analysiert Nadja Haderer nüchtern. Weiters können sich Künstler auch immer weniger darauf verlassen, dass ihre neue Platte noch rechtzeitig das Presswerk bis zur geplanten Tournee verlässt.
„Alle, die gerne noch im Sommer ihr Album draußen haben wollen, arbeiten im Moment auf Hochtouren im Studio, um die Deadlines vom Presswerk einhalten zu können“, berichtet Haderer. Wenn man wirklich auf Nummer sicher gehen möchte, „sollte man ein ganzes Jahr einplanen“, empfiehlt Johannes Piller.
Für die Lieferengpässe machen einige die fehlende Infrastruktur verantwortlich: Nach dem Aufstieg der CD in den 1990er-Jahren und dem damit verbundenen Niedergang der Schallplatten-Industrie wurden Presswerke geschlossen, Maschinen verkauft oder verschrottet. Gepresst wurde nur noch im kleinen Stil und in kleinen Auflagen. Wer noch Schallplatten kaufte, war entweder DJ, Plattensammler oder einfach einer, dem das Medium, das Haptische, das Plattenumdrehen am Herzen lag. Die Masse schob hingegen eine dünne Plastikscheibe in einen Schlitz. Seit Jahren machen das aber immer weniger Menschen. Stattdessen wird gestreamt und werden zu Hause wieder verstärkt Schallplatten aufgelegt: Im Vorjahr haben in den USA die Umsätze aus Vinylplattenverkäufen bereits die der CDs überholt. Diese ständig steigende Nachfrage kann derzeit (noch) nicht gestillt werden, woran natürlich auch die Corona-Pandemie schuld ist. Denn viele Presswerke mussten einige Zeit schließen und arbeiten nun die angestauten Aufträge ab. Dann gab es 2020 noch einen zerstörerischen Brand in einem kalifornischen Werk, in dem ein Großteil der global verfügbaren Lackfolien für die Schallplatten-Produktion hergestellt wurden.
Hinzu kommt, dass Vinyl-Pressungen sehr aufwendige manuelle Arbeiten sind. Zwar gibt es inzwischen wieder Unternehmen, die Plattenpressen herstellen. Aber das ist nur ein Faktor in der Herstellungskette. Es fehle neben Karton und Papier auch oft an Fachpersonal, sagt Wendler. Und natürlich seien auch zu wenig Presskapazitäten vorhanden. „Einer Aussage eines Lieferanten von Vinyl-Compound zufolge gibt es weltweit Kapazitäten für 150 Millionen Stück pro Jahr, benötigt werden aber rund 300 Millionen. Es wird aber auf allen Ebenen intensiv daran gearbeitet, die Produktion massiv zu erhöhen“, sagt Wendler. Beim steirischen Presswerk Austrovinyl versuchen aktuell 13 Mitarbeiter 8.000 bis 9.000 Schallplatten pro Woche herzustellen. Derzeit arbeite man an einem Erweiterungsprojekt, „womit wir die Kapazität im ersten Halbjahr 2022 verdreifachen könnten“, blickt Wendler euphorisch in die Zukunft.
Ist die gestiegene Nachfrage in Zusammenhang mit den fehlenden Presskapazitäten der Grund für die gestiegenen Preise? „Nein“, meint Wendler: „Wir als Produzenten bekommen den kleinsten Teil des Kuchens – bei uns bleibt am wenigsten hängen, die Margen sind in den letzten Monaten kaum gestiegen.“ Vieles sei von der Erhöhung der Rohstoff- (Karton und Papier) sowie Energie-Preise aufgefressen worden. „Wir haben unsere Preise seit 2017 nicht erhöht, sehen uns aber – aufgrund der gestiegenen Rohstoffpreise – gezwungen, diese 2022 anzupassen“, sagt Wendler. Soll heißen: Konsumenten werden bald noch tiefer in die Tasche greifen müssen.
Johannes Piller setzt daher verstärkt auf Veröffentlichungen via Kassette, sogenannte Tape-Release. Diese tauchen nun verstärkt wieder auf. „Mensch will ja zusätzlich zum Download etwas in Händen halten. Durch die steigende Nachfrage nach Kassetten gehen aber auch hier die Preise bereits nach oben.“
Schöne runde Scheiben
Buchtipp: Die Schallplatte ist zurück. Das sollte sich mittlerweile überall herumgesprochen haben. Für viele war sie aber auch nie weg, sondern stets ein treuer Wegbegleiter, der nicht nur Musik, sondern auch ein Lebensgefühl transportierte. Von diesem berichtet nun auch das wunderschön gestaltete Buch „Vinyl World – Die Welt ist eine Scheibe“ (teNeues), das Einblicke in die Entstehung der Schallplatte gewährt und den (ausufernden) Lifestyle drumherum bildgewaltig dokumentiert. Dazu versenken Sie am besten den Tonarm mit einem leisen Knistern im Vinyl.
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