Vernetzen statt Verstecken: Perspektiven der Kunst nach Corona
Die Infrastruktur ist geschwächt, doch an Ideen und Initiativen mangelt es nicht. Neue Rahmenbedingungen werden erst geschaffen
11.01.21, 05:00
Die Kunstwelt braucht eine Perspektive.
Die Kunstwelt hat eine Perspektive, sie ist vielleicht sogar der Ort, der auf der Suche nach Perspektiven dringend aufzusuchen wäre.
Wo und wie das gehen soll, ist freilich Quell der Verunsicherung – denn die Pandemie hat den Kunstbetrieb, der im Kern darauf basiert, Menschen und Objekte zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten zusammen zu bringen, massiv erschüttert: Die Ausfälle und Verschiebungen von Messen und Ausstellungen erfassen Branchen von Logistikunternehmen bis zur Museumspädagogik, vom Verlagswesen bis zum Tourismus. Für das Prä-Corona-Jahr 2019 schätzte der von UBS und Art Basel publizierte Branchen-Report die Zahl der direkt im Kunstsektor Beschäftigten auf drei Millionen Menschen weltweit, das Volumen der von der Branche zusätzlich in Anspruch genommenen Dienstleistungen auf fast 20 Milliarden US-$.
Sieht man die Kunstwelt allerdings nicht nur als Wirtschaftsfaktor, sondern auch als jenen Ort, an dem sich eine Gesellschaft über ihre Formen der Repräsentation, über Symbole und Sichtbarkeit unterhält, dann war 2020 ein höchst ereignisreiches, ja richtungsweisendes Jahr.
Denn viele bereits länger virulente Fragen – etwa: Für wen sind Museen da? Wer wird integriert, wer ausgeschlossen? Wer darf mitbestimmen? Ist Kunst nur für Reiche? – bekamen durch die Pandemie, aber auch durch die „Black Lives Matter“-Bewegung (BLM), die Klimakrise und die politischen Spannungen in den USA neue Schärfe. Und während BLM vom Magazin Art Review zur einflussreichsten Kraft der Kunstwelt gekrönt wurde, brachen dem Betrieb weiter seine traditionellen Orte und Rituale der Präsentation und des Austausches – die Biennalen, Galerien und Museumsausstellungen – weg.
In den kommenden Monaten, so lässt sich weniger prognostizieren als folgern, wird die Kunstwelt also danach trachten, ihren ideellen Aufbruch mit ihrer materiellen Infrastruktur in Einklang zu bringen. Das bedeutet keine totale Übersiedlung der Kunst ins Digitale, aber auch keine nahtlose Rückkehr zum Messen- und Biennalentourismus. 2020 hat jedoch die Entwicklung hybrider Formen, Kunst zu präsentieren und zu erleben, massiv befeuert. Die Netzwerke junger Kunstschaffender haben dabei oft Vorteile gegenüber den Maschinerien großer Spektakel.
Wo die Reise hingehen könnte, lässt sich etwa in der Schau „When Gesture Becomes Event“ im Wiener Künstlerhaus (dzt. geschlossen, bis 5. 4.) sehen. Hier geht es ums Thema Solidarität: Mit dem Soziologen Heinz Bude gehen die Kuratorinnen davon aus, dass „Solidarität heute nicht mehr über den Klassenkampf, sondern über die Einsicht des Individuums in seine eigene Verwundbarkeit hergestellt werden kann“.
Sichtbar wird das etwa, wenn Künstlerin Roberta Lima sich mit Erde und Netzwerkkabeln irgendwo zwischen einem Cyborg und einer Pflanze inszeniert, oder wenn die Wiener „Golden Pixel Cooperative“ zum Drachensteigen mit Protest-Symbolik einlädt: Politische Kunst, im öffentlichen Raum wie im Museum, bildet einen Kontrapunkt zu Mob-Manifestationen von Trumpisten oder Corona-Leugnern.
Wie sich auch die Infrastrukturen des Betriebs umstellen, wurde 2020 ebenfalls schon in Ansätzen sichtbar. Die Biennale in Riga etwa verwandelte ihre Räume und Installationen kurzerhand in ein Filmset. Der steirische herbst erfand sich als Medienbetrieb „Paranoia TV“ neu. Die Vienna Art Week strahlte von Simmering aus eine „Ausstellung ohne Zuschauer“ in die Welt. Das Modell der Messe Parallel Vienna, leer stehende Gebäude temporär als Galerien umzuwidmen, wird mittlerweile auch in New York oder Paris als Möglichkeit gesehen, Ausstellungen zu ermöglichen, wo Geld für die Miete permanenter Räume fehlt. Neue Chancen sind hier ebenso denkbar wie neue Abhängigkeiten – zwischen junger Kunst und der Immobilienbranche oder gönnerhaften Großgalerien, die sich ihren Nachwuchs selbst heranzüchten.
Der Kunstmarkt, der 2020 „zwangshybridisiert“ wurde, fährt mit der Umstellung teils nicht schlecht – zumindest, wenn man den Meldungen vieler Auktionshäuser Glauben schenkt. Die Quantität der Online-Versteigerungen wird zweifellos ansteigen, aber nicht unbedingt die Qualität der gebotenen Werke: Marktkenner wie der New Yorker Tim Schneider rechnen eher damit, dass Sammler an ihren rekordpreisverdächtigen Preziosen festhalten, die Kunstkauflust aber mit etablierter „Blue Chip“-Ware oder preisgünstigeren Entdeckungen stillen.
Digitale Formate hinterließen zuletzt zwar oft den Eindruck einer faden Ersatzdroge. Dass sich das Feld professionalisiert, ist aber nicht zu übersehen. Kulturtanker wie das Pariser Grand Palais haben eigene Abteilungen zur Entwicklung neuer Formate gegründet, die sich in virtueller Realität, aber auch in sogenannten „immersiven“ Rauminstallationen abspielen. Weil nicht objektgebunden, können solche Angebote in alle Welt exportiert werden.
Das Erlebnis originaler Objekte wird dadurch nicht sterben. Die Dinge werden nur weniger weit reisen, sondern öfter aus dem lokalen Depot hervorgeholt werden. Und die Kunst wird uns immer öfter dort begegnen, wo wir sie nicht vermutet haben.
So richtig losgehen wird der Reigen der Großausstellungen wohl erst im Herbst. Dann, so das Kalkül vieler Kunsthäuser, sollte man die Pandemie so weit in den Griff bekommen haben dass bereits für 2020 geplante Highlights nachgeholt werden können.
In der Albertina ist dieses Leuchtturm-Event die Schau zu Amedeo Modigliani und Pablo Picasso (Subtitel: „Revolution des Primitivismus“), die nun am 17. September an den Start gehen soll. Das Kunsthistorische Museum zieht ab 5. 10. mit Tizians Frauenbildern nach, das Belvedere – 2021 bleibt das für Wechselausstellungen genützte Untere Belvedere geschlossen – bereitet für Herbst eine Schau über die Dürerzeit vor (ab 22. 10.). Das MAK realisiert ab 15.12. seine Werkschau zu Josef Hoffmann.
Das Kunsthaus Bregenz wird ab 10.7. von dem für seine musikalischen Installationen bekannten Franzosen Anri Sala bespielt; das MdM Salzburg holt ab 13.3. seine Retrospektive des britisch-nigerianischen Künstlers Yinka Shonibare nach.
Mit dervom MAK initiierten „Vienna Biennale“ steht 2021 ein Festival im Zeichen aktueller Umbrüche am Programm (28.5. – 3. 10.). Das KunstHausWien lanciert das Event „Foto Wien“ (10. – 28. 3.). Dazu bekommt Wien neue Kunstmessen: So soll die neue „Spark Art Fair“ von 6. bis 9. Mai über die Bühne gehen.
Dass der internationale Messe-Zirkus wie geplant durchgezogen wird, mag noch niemand garantieren: Das Flaggschiff Art Basel will von 17. – 20. Juni wieder seine Tore öffnen. In der nahe gelegenen Fondation Beyeler stellt dann Starkünstler Olafur Eliasson aus, im Herbst folgt dort eine Goya-Schau.
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