Venedig-Filmfestival: Ein Wettlauf der schnellsten Gänse

Intrigant: Rachel Weisz in Yorgos Lanthimos' "The Favourite“
Höhepunkte im Wettbewerb: Yorgos Lanthimos' herrlicher Palastsatire "The Favourite" und Alonso Cuaróns Netflix-Film "ROMA".

Das Filmfestival in Venedig hat von seinem großen Rivalen Cannes heuer nicht nur eine Handvoll Netflix-Filme geerbt. Auch einige wichtige „Cannes-Regisseure“, deren Arbeiten in den letzten Jahren an der Croisette ihre Premiere feierten, sind heuer an den Lido gewechselt.

So zum Beispiel der hintergründige Grieche Yorgos Lanthimos, bekannt vor allem als Regisseur von „The Lobster“: Mit seinem neuen Film übersiedelte er nach Italien und liefert damit dem Wettbewerb von Venedig einen herrlichen Höhepunkt.

„The Favourite“ ist eine Sittenkomködie der Sonderklasse, witzig, schlagfertig und anzüglich. Angesiedelt am englischen Hof Anfang des 18. Jahrhunderts, delektiert sich Lanthimos an den schrägen Ritualen einer dekadenten Aristokratie. Überschminkte Herren mit gepuderten Perücken lassen ihre Lieblingsgänse um die Wette laufen, während die Hofdamen Vögel vom Himmel ballern. Inmitten des lästerlichen Getümmels eine weinerliche Königin Anne, die sich von ihren Gespielinnen die wunden Füße und gerne auch mehr massieren lässt.

Ihre Herzdame ist Lady Sarah, eisern und sexy gespielt von Rachel Weisz. Lady Sarah flüstern der törichten Königin die politischen Entscheidungen ins Ohr, flauschige Hasen hoppeln durch die Gemächer. Das Auftauchen einer Konkurrentin (hintertrieben: Emma Stone) bringt neue Dynamik in die Palastintrigen und führt zu scharfzüngigen Auseinandersetzungen .

Lanthimos steigert seine süffisante Barock-Parodie, die an den frühen Peter Greenaway erinnert, zur beißenden Gesellschaftssatire; und fügt seinem Werk einen weiteren Meilenstein hinzu.

Netflix-Kino

Venedig-Filmfestival: Ein Wettlauf der schnellsten Gänse

Charismatisch: Netflix-Film "ROMA” von Alfonso Cuarón

Die erste Produktion der Streaming-Plattform Netflix im Wettbewerb um den Goldenen Löwen ist Alonso Cuaróns „ROMA“. In brillanten Schwarz-weiß-Bildern erinnert sich „Gravity“-Oscarpreisträger Cuarón an seine Kindheit in Mexiko City Anfang der 70er Jahre. Erzählt werden die Familiengeschicke aus der Perspektive des Dienstmädchens, Männer sind durchwegs abwesend.

„ROMA“ entfaltet mächtige Bilder, die eindeutig das Kino suchen. Wie es aussieht, wird Netflix den Film in US-Kinos starten, um ihn für das Oscar-Rennen fit zu machen. Damit signalisiert der Streaming-Dienst seine Bereitschaft, Eigenproduktionen nun eventuell doch auch dem Kino zu überlassen.

Alexandra Seibel

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