Trenklers Tratsch: Herbert Föttingers „erratischer Führungsstil“
Wenn Herbert Föttinger sich in Rage redet, kommt er seinem Gegenüber gerne nah. Er verletzt – um es positiv zu formulieren: im Übereifer – jeden Distanzraum. Das hat auch Ihr Tratschpartner erlebt. Aber er konnte es mit Humor nehmen. Zumal er vom Direktor des Josefstädter Theaters nicht abhängig ist. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tun sich hingegen schwer. Sie leiden seit Jahren unter dem Führungsstil.
Nein, nicht alle. Viele haben sich an den herben Ton gewöhnt, sich arrangiert. Und sie schätzen den Zusammenhalt. Denn die Josefstadt: Das ist eine Familie. Das Volkstheater wird von der Kulturpolitik gehätschelt, die wohlbestallte Burg spielt in einer anderen Liga, und in der oft unter ihrem Wert geschlagenen, eher selten für Nestroys nominierten Josefstadt trotzt man allen widrigen Umständen. Gemeinsam.
Mehrheit im Rücken
Ja, in der Josefstadt wird die Familie beschworen. Anderswo gibt es eine hohe Fluktuation, da haut der neue Direktor zwei Drittel des Ensembles raus, um genügend Vertraute in Stellung bringen zu können. Mit einer satten Mehrheit im Rücken braucht man keine Revolte zu fürchten. Die Josefstadt ist anders: Da gibt es Kontinuität und Sicherheit. Sie sind ein gutes Fundament. Und über die Familie lässt man nichts kommen. Was am Tisch gesagt wird, bleibt am Tisch.
So regiert Föttinger, in der Josefstadt groß geworden, als „einer von uns“ seit bald zwei Jahrzehnten. Ohne, dass dessen Verhalten groß thematisiert worden wäre. Man schluckte auch, dass der Direktor mehrfach seine Frau, eine Schauspielerin, mit einer Regie beauftragte. Einerseits, weil die Vertrauten jedes Aufmucken im Keim erstickten. Andererseits, weil man nicht seinen Job riskieren wollte.
Denn statt Pragmatisierungen gibt es Jahresverträge. Und woanders wieder ein festes Engagement zu bekommen, ist verdammt schwer. Der Machtapparat (manche fühlen sich an einen Polizeistaat samt Spitzelwesen erinnert) sorgt dafür, dass man kuscht. Aber dann kulminierte es doch: Anonym meldeten sich im Standard vornehmlich Personen zu Wort, die das Theater verlassen hatten. Von einer „permanenten Angststimmung“ war zu lesen.
Die erwähnten Vorkommnisse schienen eher harmlos. Was die Kulturpolitik, die eigentlich nicht mit der Theaterleitung unter einer Decke stecken, sondern diese kontrollieren sollte, aufatmen ließ. Thomas Drozda, Vorsitzender des Josefstadt-Stiftungsvorstands, gab am 12. September, unmittelbar nach Erscheinen des Artikels, bekannt, „dass kein einzig strafrechtlich relevanter Vorwurf vorliegt“. Dennoch sei eine „lückenlose Untersuchung“ eingeleitet worden: Drozda, ehemaliger Geschäftsführer der Burg und später SPÖ-Kulturminister, beauftragte die ihm gut bekannte Rechtsanwaltskanzlei Dorda. Das Personal der Josefstadt wurde ermutigt, Eingaben zu machen.
System der Angst
Die Allianz Dorda-Drozda ließ jedoch manche befürchten, dass der Bericht dazu dienen könnte, Herbert Föttinger zu entlasten. Es keimte die Angst, dass jede Aussage, wiewohl anonymisiert, gegen mutmaßliche Nestbeschmutzer verwendet werde. Denn: Nichts verlässt den Tisch!
Das Unbehagen war nicht unbegründet. Denn drei Tage später, am 15. September, stellte sich die Ensemblevertretung in einer Presseerklärung hinter den Direktor, der ein „aufopfernder und leidenschaftlicher Theatermensch“ sei: „Die Pauschalverurteilungen, es gebe eine ,Kultur der Angst‘ und ein ,System der Angst‘ weisen wir zurück.“
Die Ensemblevertretung gibt es erst seit Mitte März dieses Jahres. Sie war in Hinblick auf die Suche einer Nachfolge für Föttinger, dessen Vertrag im Sommer 2026 ausläuft, in einer eher chaotischen Wahl ermittelt worden.
Ziel dürfte gewesen sein, Platz und Stimme in der Findungskommission zu erlangen. Dies wurde abgelehnt. Das Gremium informierte die Kollegenschaft darüber am 23. März. Der Stiftungsrat würde sich aber „über unsere Einschätzungen, Ratschläge, Bedenken und Wünsche“ freuen: „Welche Probleme sollten in Zukunft gelöst werden?“ Angeführt wurden u. a. die Punkte „Machtmissbrauch“ sowie „hausinternes Arbeitsklima/Führungsstil“.
Wenn also die heiklen Fragen bereits im März offen da lagen: Wieso schwang sich die Ensemblevertretung Mitte September zu einer Föttinger-Verteidigung auf? Manche im Team haben das Gefühl, dass Gefolgsleute des Direktors das Sagen haben. Als Indiz sehen sie die Vorgangsweise der Vertretung. Denn sie veröffentlichte das Statement ohne vereinbarte „Korrekturschleife“. Aus Zeitnot, sagen die einen. Aus Angst, sagen die anderen.
Die Vertretung verteidigte sich in der Folge am 15. September per Mail: „Wir sind uns bewusst, dass ein differenzierteres Bild gewünscht war und dass einige Menschen sich nicht repräsentiert fühlen.“ Und ein paar Stunden später: „Uns ist bewusst, dass die von uns nicht eingehaltene Abmachung, unser Statement erst nach der Feedback-Runde zu versenden, zu Ärger und Enttäuschung geführt hat.“ Doch der Vertrauensverlust war nicht mehr rückgängig zu machen. Und die Befürchtung wuchs, dass der Dorda-Bericht die Angelegenheit kleinreden könnte.
Er wurde dem Aufsichtsrat am 22. Oktober vorgelegt. Der Titel der APA-Meldung schien die Vorahnung zu bestätigen: „Untersuchungsbericht räumt Vorwürfe aus.“ Die Prüfung hätte, so eine Aussendung des Theaters, „Verbesserungsvorschläge, aber keine juristischen Konsequenzen hervorgebracht“.
Doch zum Schluss steht Brisantes: Im Zuge der Endfassung wurden Dorda und die Agentur Boardconsult „kurzfristig von einer weiteren Rechtsanwaltskanzlei kontaktiert, die ebenfalls Aussagen gesammelt hat, was eine Erweiterung des Berichtes notwendig macht“. Dieser werde daher erst Mitte Dezember fertiggestellt sein.
Sexualisiertes Verhalten
Und er dürfte unrühmlich ausfallen. Denn bereits der 41-seitige Zwischenbericht bestätigt, wie man hört, die Vorkommnisse und das sexualisierte Verhalten. Wenn der Direktor die Abteilungsleiter anschreit, schreien die Abteilungsleiter die Mitarbeiter an. Sprich: Es gibt eine ausgeprägte Hackordnung, die Unternehmenskultur sei fatal.
Zudem zog sich vor zwei Monaten Raiffeisen zurück, wiewohl der Bank im Spielzeitheft 2024/’25 als Hauptsponsor (mit einer sechsstelligen Summe) gedankt wird. Mit ein Grund dürfte gewesen sein, dass sich Föttinger bei der Präsentation Mitte Juni zur Behauptung hinreißen ließ: „Die Josefstadt ist durch mich relativ rot geworden.“ Und: „Wer sagt, dass die Josefstadt bürgerlich ist, der muss ja eh schon irgendwo Lähmungen im Hirn haben.“ Diese Sätze empörten viele.
Leben und Sterben
Und nun kommen die Ergänzungen von Betroffenenanwalt Wolfgang Renzl von der Kanzlei Parlaw hinzu. Aus Misstrauen gegenüber Dorda wandten sich bereits etliche Personen an ihn. „Die Darstellungen der Betroffenen sind authentisch“, sagt er. Renzl bestätigt gegenüber dem KURIER Übergriffe, Demütigungen, Verächtlichmachung sowie die Ausübung von Druck.
Verräterische Details will er keine bekannt geben, da eben alle, die als Quelle identifiziert werden können, mit Nachteilen (von Mobbing bis hin zur Nichtverlängerung des Vertrags) zu rechnen hätten. Nur so viel: Eine Häufung an bedenklichen Vorkommnissen hätte es bei der Produktion „Leben und Sterben in Wien“ gegeben, die Herbert Föttinger mit Gebrüll aus der Taufe hob.
Ein Problem sieht Renzl, der eine Veröffentlichung des Endberichts verhandeln will, neben dem „erratischen Führungsstil“ in der Dreifaltigkeit des Direktors – als Theaterdirektor, Regisseur und Schauspieler (mithin als Kollege von Betroffenen), wobei er „zwischen seinen Rollen laufend gewechselt“ habe.
Und es sei, so Renzl, nicht damit getan, die Vorgänge der Vergangenheit lückenlos aufzuarbeiten: Bei mehreren Betroffenen sei es zu Eingriffen in ihre menschliche Würde gekommen. Die von Drozda angestoßene Aufarbeitung müsse das berücksichtigen und psychologische Begleitmaßnahmen umfassen.
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