Bibel in neuer Musik: Alle sind Jesus, alle sind Maria

Ein Verwundeter liegt auf einem Bett in einer Art Abstellkammer, um ihn stehen viele traurige Menschen
Regisseurin Lisenka Heijboer Castañón über das Oratorium „The Gospel according to the Other Mary“, ab Samstag in der Wiener Volksoper zu sehen.

In Colm Tóibíns Roman „Marias Testament“ erzählt Maria, die Mutter von Jesus, Jahre nach der Kreuzigung nicht nur ihre Version der Geschichte ihres Sohnes, sondern auch über das Leben der Christengemeinde als politisch Verdächtige in ständiger Lebensgefahr. Lisenka Heijboer Castañón kennt dieses Buch zwar nicht. Aber es passt genau zur Intention, die auch „The Gospel according to the Other Mary“ verfolgt - das Oratorium von John Adams, das sie an der Volksoper inszeniert. „Es geht darum, die bekannte Geschichte der Passion ihren üblichen Erzählern und der Institution der Kirche zu entreißen. Einen neuen Blick darauf zu werfen. Es gibt so viele Marias in der Bibel, aber keine davon darf ihre Geschichte erzählen.“ Und wie auch bei Tóibíns Roman wird hier der Aspekt, dass Jesus und seine Gefolgschaft politisch unerwünschte Aktivisten waren, in den Fokus gestellt.

Die „andere Maria“ ist im Stück eine Mischung aus Maria Magdalena und Maria von Bethanien (der Schwester von Lazarus). Letztere betreibt gemeinsam mit ihrer Schwester Martha ein Heim für arbeits- und obdachlose Frauen – „das sind im Grunde auch alle Marias“, erklärt Heijboer Castañón. Um diesen Marias eine Stimme zu geben, hat Peter Sellars für das Libretto des Oratoriums eine Collage aus verschiedenen Gedichten von hauptsächlich Frauen, aber mit durchgehend feministischem Blickwinkel zusammengestellt. Das sind Texte von so unterschiedlichen Stimmen wie Hildegard von Bingen, June Jordan, Primo Levi, Louise Erdrich und Dorothy Day.

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